Hält die deutsche Rentenbesteuerung?

Grafik: TP

Nachdem Bundesfinanzrichter Egmont Kulosa öffentlich eingeräumt hat, dass er die Regelung für verfassungswidrig hält, droht Wolfgang Kubicki der Bundesregierung mit dem Gang nach Karlsruhe

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Die Mitte der Nullerjahre verabschiedete Rentenreform ist nach Ansicht des Bundesfinanzrichters Egmont Kulosa in Teilen "evident verfassungswidrig". In einem Fachnewsletter erklärt der für "Alterseinkünfte und -vorsorge" zuständige Richter am Bundesfinanzhof (BFH), warum er zu diesem noch nicht offiziell gesprochenen fachlichen Urteil kommt.

Seiner Ansicht nach muss man keinen Finanzmathematiker bemühen, um zum Ergebnis zu kommen, dass das von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder angefangene und unter der ersten Großen Koalition von Angela Merkel beendete Werk viele Rentner doppelt besteuern wird, ohne dass sie dies durch eigenes Zutun vermeiden könnten. Geht ein Arbeitnehmer nämlich ab 2040 in den Ruhestand, dann muss er hundert Prozent seiner Rente versteuern. Seine dafür aufgewendeten Vorsorgeleistungen darf er dagegen nur zwischen 2025 bis 2039 - also höchstens 15 Jahre lang - bis zu einem Höchstbetrag als Sonderausgaben von der Steuer absetzen.

Einkalkulierte Doppelbesteuerung würde in Schröders rentenpolitische Linie passen

Aktuell kann er nicht einmal das. Denn zwischen 2005 und 2025 werden diese Vorsorgeaufwendungen von den Finanzämtern nur in schrittweise steigenden Prozentanteilen akzeptiert. Die Politik rechtfertigt das mit dem Argument, dass man ja auch die Rente in schrittweise steigenden Prozentanteilen besteuere.

Allerdings hatten Kritiker schon länger den Verdacht, dass man dabei eine Doppelbesteuerung mit einkalkulierte. Sie würde auf jeden Fall ganz ausgezeichnet in die politische Linie Gerhard Schröders passen, der den Renteneintritt für Schwerbehinderte von 60 auf 63 Jahre erhöhte, die Hinterbliebenenrente von 60 auf 55 Prozent senkte, Renteneintrittsaltervergünstigungen für Frauen und Arbeitslose abschaffte, die Berufsunfähigkeitsrente durch eine Erwerbsminderungsrente ersetzte und die Rentenformel so veränderte, dass dies eine dauerhaften Absenkung des Rentenniveaus zur Folge hatte (vgl. Brüning und die Riesterrente).

Rürup warnte heimlich

2007 warnte Bert Rürup, der seinen Namen für den Schröderschen Rentenumbau hergab, in einem zusammen mit dem damaligen Rentenversicherungschef Herbert Rische verfassten und von der Süddeutschen Zeitung zitierten Brief Angela Merkels damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und ihren damaligen Bundeswirtschaftsminister Franz Müntefering (ebenfalls SPD), "dass die Übergangsregelung des Alterseinkünftegesetzes bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt".

Eine Änderung der Regeln, die Rürup und Rische deshalb forderten, blieb jedoch aus. Als die FDP zwölf Jahre später parlamentarisch beim Bundesfinanzministerium nachfragte, hieß es dort lediglich, "nach Auffassung der Bundesregierung" trete "im Rahmen der Übergangsregelung zur nachgelagerten Besteuerung praktisch keine verfassungswidrige Zweifachbesteuerung auf". Mit konkreten Zahlen belegen wollte die Bundesregierung ihre Auffassung damals nicht.

Nicht "alternativlos"

Dem FDP-Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki nach sollte sie das nun schleunigst nachholen. "Die harte Kritik des BFH-Richters Egmont Kulosa" lässt seinen Worten nach "an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig". Könne das Kabinett "den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit [nicht] unverzüglich ausräum[en]", bleibe den Liberalen "am Ende nur der Gang nach Karlsruhe, um eine unzulässige Belastung der künftigen Rentnerinnen und Rentner zu verhindern".

In Karlsruhe hatten die Bundesverfassungsrichter die Politik bereits im März 2002 explizit gemahnt, bei einer Rentenreform darauf zu achten, dass "eine doppelte Besteuerung" vermieden wird. Diese Warnung dürfte Kulosa im Hinterkopf gehabt haben, als er schrieb, dem Gesetzgeber habe damals "durchaus ein verfassungskonformes Alternativmodell für die Gestaltung des Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung zur Verfügung" gestanden, weshalb "eine Milderung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs unter dem Gesichtspunkt alternativlosen Handelns nicht in Betracht" komme.

Auf die Entschärfung eines anderen, für Rentner sehr unvorteilhaften Teils der Schröderschen Rentenreformen haben sich Politiker von CDU, CSU und SPD am 10. November verständigt (vgl. "Automatisierte umfassende Einkommensprüfung" statt "Bedürftigkeitsprüfung"): Bezieher einer Betriebsrente sollen künftig nur mehr auf den Betrag ihrer Betriebsrente Krankenversicherungsbeiträge zahlen müssen, der über 155,75 Euro monatlich liegt.

Unter der Regelung, die Gerhard Schröder 2004 durchgesetzt hat, müssen Betriebsrentner ihre Rente nicht nur doppelt versteuern, sondern auch den doppelten Krankenkassenbeitrag dafür zahlen. Und zwar auf die gesamte Betriebsrente, wenn diese auch nur einen einzigen Cent höher als die Freigrenze ist. Zog ihr Arbeitgeber die Betriebsrente in Form einer Entgeltumwandlung ein, werden sie sogar drei Mal benachteiligt: Dann bekommen sie wegen eines formal niedrigeren Bruttoeinkommens nämlich auch noch eine niedrigere gesetzliche Rente.

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