Iran: Macron und Merkel schweigen zur Niederschlagung der Proteste

Bild: Fars News Agency/CC BY 4.0

Der Beitritt von sechs europäischen Ländern zu Instex gibt dazu ein Zeichen, dass man auf Kooperation setzt. Wie weit geht die "europäische Handlungsautonomie"?

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Irans Wirtschaft ist vom Dollar abhängig. Zwar gab es immer wieder Bestrebungen, sich davon zu lösen, aber die Wucht, mit der die US-Sanktionen die zuvor schon angeschlagene Wirtschaft des Landes treffen, zeigt, dass noch kein Rezept gegen diese Abhängigkeit gefunden wurde. Die Proteste, die Mitte November in Iran nach der Erhöhung der Treibstoffpreise ausgebrochen sind, hängen mit den Sanktionen zusammen. Die Öleinnahmen sind drastisch zurückgegangen.

Manche sehen in den Protesten einen Erfolg der US-Strategie des maximalen Drucks. Es ist jedoch ein "seltsamer Erfolg", der viele Tote kostete und keinen neuen Horizont im Konflikt des "Westens" mit Iran eröffnet hat, sondern in weiteren Verhärtungen resultiert. Die Führung in Teheran hat die Proteste wie üblich "beruhigt" und macht ausländische Drahtzieher für die Eskalation verantwortlich.

Instex bekommt neue Unterstützer und Anti-Iran-Hardliner wettern

Nun haben sich sechs europäische Länder - Belgien, Dänemark, Finnland, die Niederlande, Norwegen und Schweden - dazu entschlossen, Instex (Instrument in Support of Trade Exchanges) beizutreten. Das wurde von den Instex-Gründungsmitgliedern Deutschland, Frankreich und Großbritannien begrüßt und von den Anti-Iran-Hardlinern wie Netanjahu ("Sie sollten sich schämen") oder dem US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, erbost kommentiert.

Der französische Außenminister Le Drian sieht dagegen in dem Beitritt der genannten Länder zu Instex eine "wichtige Entscheidung", die die "europäische Handlungsautonomie" zeigen soll oder wird. Instex will die Abwicklung von Handelsgeschäften, die über Dollar laufen, umgehen. Bislang wurde, wie etwa der Guardian aktuell feststellt, "keine Transaktion" ermöglicht. In anderen Berichten ist davon die Rede, dass es einige Handelsgeschäfte mit Nahrungsmitteln oder Medikamenten über Instex gibt.

Doch wird dem beigefügt, dass es dabei um einen Handel geht, der ohnehin nicht sanktioniert ist. Interessant ist die beigefügte Erklärung, dass Unternehmen vor solchen Geschäften zurückscheuen, weil sie befürchten, damit dennoch ins Visier der US-Aufsicht zu kommen. Der große Brocken, der Entscheidendes verändern würde, wäre die Möglichkeit, auch Ölgeschäfte in den Instex-Mechanismus aufzunehmen.

Davor warnen die USA schon seit Sommer aber sehr deutlich und ziehen der "europäischen Handlungsautonomie" enge Grenzen. Das Stopp-Zeichen wurde dem französischen Staatspräsidenten Macron vorgehalten, als dieser versuchte, Irans Ausfall der Ölexporte mit einem Kredit über eine zweistellige Milliardensumme zu lindern.

So ist - aller Aufregung von Grenell zum Trotz - weiter offen, wie die Instex-Initiative einzustufen ist. Zur Stunde bleibt ihre Wirkung hauptsächlich diplomatisch. Sie soll dokumentieren, dass die Europäer an der Atomvereinbarung mit Iran, dem JCPoA, festhalten. Daher auch der Appell an Iran am Ende des Statements des Auswärtigen Amtes zum Beitritt der sechs europäischen Länder:

Die umfassende und effektive Umsetzung der Nuklearvereinbarung mit Iran ist von größter Bedeutung. Iran muss unverzüglich zur vollständigen Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem JCPoA zurückkehren. Wir bekräftigen unsere Bereitschaft, alle im JCPoA enthaltenen Mechanismen zur Beilegung von Streitfragen im Hinblick auf Irans Einhaltung seiner Verpflichtungen nach dem JCPoA in Betracht zu ziehen, einschließlich des Streitschlichtungsmechanismus. Wir bleiben einer Fortführung unserer Bemühungen um eine diplomatische Lösung im Rahmen des JCPoA uneingeschränkt verpflichtet.

Auswärtiges Amt

Ob sich die Führung in Teheran dadurch von ihrem Fahrplan abbringen lässt, der vorsieht, in sukzessiven Schritten Abmachungen des JCPoA auszusetzen, ist fraglich, da Irans Regierung handfestere Unterstützung erwartet.

Dort sieht man die Sanktionspolitik der USA als einseitige Verletzung der Abmachungen und erwartet von den Europäern, dass sie dafür sorgen, dass sie entweder aufgehoben, kompensiert oder umgangen werden. Das, so die Sicht in Teheran, seien Verpflichtungen, die die E3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) mit dem JCPoA eingegangen sind.

Keine scharfen Äußerungen aus Berlin und Paris

Der Handlungsspielraum der europäischen Länder geht bislang aber über Bekundungen des guten Willens nicht hinaus. Der Instex-Beitritt Belgiens, Dänemarks, Finnlands, der Niederlande, Norwegens und Schwedens mag eine Perspektive eröffnen. Die muss sich allerdings mit den wirtschaftlichen Härten in Iran messen.

Schwerer ins Gewicht fallen könnte, dass Macron und Merkel sich auffallend mit Verurteilungen der Art und Weise zurückhielten, mit der im Iran gegen die Proteste vorgegangen wurde. Zwar gab es eine offizielle Erklärung der Regierung in Berlin, wonach "unverhältnismäßig" gegen die Proteste vorgegangen wurde, aber das ist verhältnismäßig diplomatisch und formell.

Das Ausbleiben von schärferen Äußerungen aus Berlin und Paris wurde in Teheran sicher positiv notiert und könnte bei Verhandlungen eine Rolle spielen. Es bleibt allerdings die Frage, ob es überhaupt zu neuen Verhandlungen mit Iran kommt, bis der Wahlkampf in den USA im nächsten Jahr gelaufen ist.

Proteste mit Härte beendet

Indessen bemüht sich die iranische Führung, die Proteste für beendet zu erklären. Zuletzt gab es Demonstrationen von Regierungsanhängern, die die Unterstützung der Mehrheit für die Regierung untermauern sollten. Im "Westen" dominiert die Berichterstattung, die ihr Schwergewicht auf Menschenrechtsverletzungen und das große Ausmaß der Proteste legt (ohne die Sanktionsvorgeschichte miteinzubeziehen), um die Opposition gegen das "Mullah-Regime" herauszustellen. Kritiker dieser Tendenz zitieren Umfragen in Iran, die anderes bekunden, nämlich dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Regierung steht.

Auf Menschenrechtsverletzungen, auf das Einprügeln auf Demonstranten, Verhaftungen und den Einsatz scharfer Waffen wird von den Kritikern der "westlichen Berichterstattung" bedauerlicherweise aber meist nur taktisch eingegangen: wenn es zur eigenen Lagersicht passt. Wenn es zum Beispiel um die Polizeigewalt gegen Gelbwesten-Proteste in Frankreich geht - wofür es ja auch genügend Gründe gibt. Paris steht da auf keinem moralisch erhöhten Posten, um Werte einzufordern.

Einseitige Darstellungen

Doch selbst wenn man dem Bericht der New York Times zur Bilanz der Proteste mit großer Skepsis gegenüberstehen muss - Tenor "brutal, rücksichtslos und schnell" -, allein schon wegen der einseitigen Quellenauswahl und weil damit eine einseitige politische Positionierung gestützt wird, so gilt das freilich auch für die Darstellung der Proteste, wie sie etwa von der iranischen Nachrichtenagentur Fars News gemacht wird.

Aus deren Bericht geht hervor, dass die Proteste sich nach einer anfänglichen Phase mit legitimen Forderungen zu etwas anderem entwickelten: zu konzertierten Angriffen auf wirtschaftlich und strategisch wichtige Punkte (z.B. Banken, Tankstellen, laut Fars News anscheinend auch Militäranlagen). Darin wird ein Muster erkannt, hinter dem ausländische Strippenzieher stecken. So seien auch ausländische Spione, z.B. von der CIA, verhaftet worden, wie eine andere Publikation berichtet, die den Akzent, dass "Terroristen" sich der Proteste bemächtigt haben, noch stärker betont.

Dass sich die USA in solche Proteste einmischen, wäre keine Überraschung, und die propagandistische Tendenz, die in vielen westlichen Berichten deutlich zum Ausdruck kommt, erfasst die komplizierte iranische Wirklichkeit meist nur bei dem Zipfel, der zu den eigenen politischen Haltungen und Anschauungen passt. Dass es die iranischen Medien besser machen, kann man allerdings auch nicht behaupten. Dort werden die Repression und die brutale Gewalt durch die "Ordnungskräfte" aus dem Bild ausgeklammert.

Das Verhältnis zur iranischen Führung bleibt schwierig. Der Weg, der zu einer politischen Entspannung führt, ist sehr schmal, nicht zuletzt, weil das Drehbuch in Washington noch immer voll ist mit Absichten und Träumen eines Regime Change. Der stellvertretende Außenminister Chinas, Ma Zhaosuy, plädierte am Wochenende dafür, dass die Europäer die Umsetzung von Instex beschleunigen. Auch aus Russland kamen im Sommer Zeichen, dass man Instex unterstützen würde.