Griechenland: Strafmaß im Siemens-Prozess verkündet

Mehrjährige Zuchthausstrafen für Heinrich von Pierer und Vertreter der Siemens-Niederlassung; mehrjährige Gefängnisstrafen für Manager. Ob sie Strafen fürchten müssen, steht auf einem anderen Blatt

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Am Montag wurden in Athen die Strafen für die verurteilten Beteiligten im Rahmen des so genannten "Siemens-Skandals" verkündet. Knapp zwei Wochen zuvor erfolgte der Schuldspruch. Dies bedeutet noch nicht den endgültigen Schlusspunkt einer Affäre, deren juristische Aufarbeitung 2005 vom 4. Spezialuntersuchungsrichter Nikos Zagorianos ins Rollen gebracht wurde.

Hohe Zuchthausstrafen

Heinrich von Pierer, von 1992 bis 2005 Vorstandsvorsitzender und von 2005 bis zum 25. April 2007 Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG, wurde zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Siemens Manager Thomas Ganswindt muss laut Urteil für dreizehn Jahre ins Gefängnis. Jörg-Michael Kutschenreuter soll ebenso wie Reinhard Siekaczek, Hanz Jankerman, Wolfgang Rudolph und Franz Richter für sieben Jahre hinter Gitter.

Die Vertreter der griechischen Niederlassung von Siemens traf es noch härter. Der ehemalige CEO Michalis Christoforakos erhielt ebenso wie Christos Karabelas, Prodromos Mavridis und Giorgos Skarpelis fünfzehn Jahre Zuchthaus als Strafmaß. Der Banker Jean Claude Oswald aus der Schweiz muss für vierzehn Jahre büßen. Die übrigen Verurteilten erhielten Strafen zwischen vier und dreizehn Jahren.

Kaum einer der Verurteilten läuft Gefahr, sofort seine Haftstrafe antreten zu müssen. Das Gericht wird noch in dieser Woche entscheiden, für wen der Angeklagten die erwarteten Revisionsanträge strafaufschiebende Wirkung haben. Zudem befindet sich ein Großteil der Verurteilten überhaupt nicht in Griechenland, sondern zum überwiegenden Teil in Deutschland.

Dort wurden die meisten auch für Straftaten im Zusammenhang mit der Siemens-Affäre bereits verurteilt. Anders als in den bereits abgeurteilten Prozessen ging es in Athen jedoch nicht direkt um Korruption. Dieses Vergehen wäre aufgrund des buchstäblich auf den letzten Drücker von der Regierung Alexis Tsipras am 1. Juli 2019 verabschiedeten neuen Strafrechtskodex verjährt. Das Gericht hatte dies für alle Angeklagten festgestellt.

Die Verjährung bedingte, dass Thodoros Tsoukatos, nach eigenem Geständnis aus dem Juli 2008 Empfänger von einer Million Mark 1999 seitens Siemens an die Regierungspartei PASOK gezahltem Schmiergeld, beim laufenden Prozess straffrei ausging. Tsoukatos gehört ebenso wie der frühere Minister Tasos Mantelis zum politischen Personal, das juristisch belangt wurde. Mantelis erhielt in einem abgetrennten Prozess im Mai 2018 wegen Geldwäsche eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren, musste diese aber nicht antreten.

Ebenso wie bei Mantelis fußt die aktuelle Verurteilung der Angeklagten auf den Straftatbestand der Geldwäsche, beziehungsweise der Begünstigung der Geldwäsche. Dieses Vergehen wird in Griechenland vom Gesetzgeber besonders scharf verfolgt. Der Grund ist, dass es juristisch die einzige Handhabe gegen korrupte Minister ist. Denn diese profitieren bisher mit einem in der Verfassung verankerten Paragraphen von einer auf "zwei Sitzungsperioden des Parlaments" verkürzten Verjährungsfrist.

Die Verurteilung wegen Geldwäsche bedeutet auch, dass die Verurteilten sich nicht auf eine vorher in Deutschland erfolgte juristische Aufarbeitung des Falles im Zusammenhang mit Korruption berufen können.

Ein jahrzehntealter Fall

Im spezifischen Fall geht es um die Digitalisierung des damals staatlichen Telekommunikationsriesen Organismos Tilepikoinonion Elladas (OTE) und um Verträge, die zum größten Teil in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts sowie im Rahmen der Olympischen Spiele von Athen 2004 ausgeführt wurden. Ins Rollen kam die Affäre in Griechenland aufgrund von Ermittlungen in Deutschland, welche im Zusammenhang mit Siemens Korruptionszahlungen über knapp 1,3 Milliarden Euro für die Erlangung internationaler Aufträge ans Licht brachten.

Seitens der Politik wurde die Aufklärung lange behindert. Das komplizierte Recht, welches faktisch korrupte Politiker vor Verfolgung schützte, tat ein Übriges. Schließlich konnten zahlreiche Verdächtige, wie Christoforakos und Karabelas unter denkwürdigen Umständen kurz vor ihrer sicheren Festnahme ausreisen.

Die Gerichte in Griechenland haben sich noch nicht damit beschäftigt, ob es ausländischen oder inländischen Konzernen oder Unternehmen überhaupt möglich war, ohne Schmiergeldzahlungen an Politiker Aufträge zu erlangen. Sie haben auch nicht aufgearbeitet, wie eng einige der heute Verurteilten privat mit immer noch regierenden Personen des politischen Lebens verbunden waren.

Was müssen die Verurteilten fürchten?

Die verkündeten Strafen klingen drakonisch. Allerdings sind die verurteilten deutschen Staatsbürger, darunter auch Christoforakos, vor dem Arm des griechischen Gesetzes sicher, so lange sie sich in Deutschland aufhalten. Entsprechende Auslieferungsanträge wurden bislang regelmäßig abgelehnt.

Schwierig wird es, wenn Griechenland internationale Haftbefehle beantragt, und die Verurteilten somit bei Auslandsreisen Gefahr laufen, festgenommen und ausgeliefert zu werden.

Schließlich bleibt den Verurteilten noch die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. In der Regel beschert dies Wirtschaftsstraftätern in Griechenland die Aussetzung des Strafvollzugs. Zudem fallen die Urteile in höherer Instanz meist erheblich milder aus. Ein aktuelles Beispiel ist der Hellas-Power-Energa-Skandal, bei dem es um mehr als 250 Millionen Euro Schaden für die griechische öffentliche Hand geht.

Die teilweise erstinstanzlich zu sehr langen Haftstrafen verurteilten Hauptakteure der Affäre befinden sich mittlerweile alle auf freiem Fuß. Einer von ihnen, Aristidis Floros, war in erster Instanz zu einundzwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Das Berufungsgericht urteilte unter Anerkennung dreier strafmildernder Umstände auf eine Strafe von fünf Jahren, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gerichtlich gepfändeten Konten der Akteure der Energa-Affäre wurden ebenfalls wieder frei gegeben.

Die einschlägige Erfahrung mit der juristischen Aufarbeitung von Korruptionsfällen und Untreue zu Lasten der Staatskasse zeigt, dass die in erster Instanz strengen Urteile mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den nächsten Instanzen gekippt werden. Andererseits sorgen die verkündeten hohen Haftstrafen ebenso regelmäßig für ein kurzfristiges Gefühl der Genugtuung bei den einfachen Bürgern.