Rechtsextreme nun sogar im spanischen Parlamentspräsidium

Spanisches Parlament. Archivbild: Ministry of the Presidency. Government of Spain

Bezeichnender Politikstil: Die VOX-Abgeordneten rangeln mit denen der abgestürzten Ciudadanos um gute Plätze im Zentrum des Parlaments

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Es ist eigentlich nur eine Anekdote, aber sie macht einen Politikstil deutlich, der mit einer stärkeren rechtsextremen Vox-Partei nun im spanischen Parlament Einzug gehalten hat. Nachdem Spanien vor gut drei Wochen zum zweiten Mal in diesem Jahr ein neues Parlament gewählt hat, hat sich am Dienstag zum zweiten Mal das Parlament konstituiert.

Der Rechtsruck innerhalb des rechten Lagers hat dazu geführt, dass die rechten Ciudadanos (Cs) massiv abgestürzt sind und die ultrarechte Vox zur drittstärksten Kraft im Land aufsteigen konnte. Mitglieder beider Formationen lieferten sich ein unwürdiges Schauspiel. Da die Sitzordnung bei dieser Sitzung nicht festgelegt ist, stürmten Parlamentarier von Vox und Cs auf die "guten" Plätze vor den Kameras, man schrie sich an und es kam zu Rangeleien.

Der linke baskische Parlamentarier Jon Inarritu berichtet von "Beleidigungen" und "Geschubse", da Vox die Sitze in der dritten Reihe im Zentrum des Parlaments eingenommen hat, wo bisher die rechten Cs-Parlamentarier saßen. "Es kam einem vor wie im ukrainischen Parlament", twittert er: "Die Legislaturperiode fängt ja gut an." Der Vorgang wurde schließlich in allen Medien breit debattiert.

Dramatisch ist aber nicht die Rangelei, sondern die Tatsache, dass es die Volkspartei (PP) verhindert hat, dass ein Sperrgürtel um die ewiggestrigen Anhänger der Franco-Diktatur gezogen werden konnte. Der Versuch der restlichen Parteien, die Rechtsextremen aus dem Parlamentspräsidium herauszuhalten, gelang deshalb nicht. Und so wurde Ignacio Gil Lázaro sogar vierter Vizepräsident des Parlaments. Wie der Vox-Parteigründer Santiago Abascal stammt auch Gil Lázaro aus der PP, war 33 Jahre Parteimitglied und Mitbegründer, bevor er zu Vox wechselte.

Die PP hätschelt ihre Abspaltung weiter, will sie nicht isolieren. Denn sie regiert in Andalusien, Murcia und Madrid in Koalitionen mit der Cs-Partei, die aber ohne die Tolerierung der Rechtsextremen sofort abstürzen würde. Deshalb treibt die PP die Normalisierung einer Partei voran, um die wohl überall in Europa demokratische Parteien einen großen Bogen machen würden.

Allerdings stehen die drei Regionalregierungen wegen des Konkurrenzkampfs zwischen Vox und Cs auf tönernen Füßen. Vox arbeitet weiter daran, die nationalistischen Cs komplett auszuschalten. Zunächst will Vox durchsetzen, dass ihre Parlamentarier dauerhaft im Kongress die Sitze im Zentrum einnehmen. Die Konkurrenten der Cs sollen als Hinterbänkler unsichtbar werden.

Wird es Entspannungsgesten von Sánchez geben?

Dass Vox zum Höhenflug ansetzen konnte, lag an der erratischen Strategie vom geschäftsführenden Ministerpräsident Pedro Sánchez und dem nun zurückgetretenen Cs-Chef Albert Rivera. Sánchez hatte eine Linkskoalition mit Unidas Podemos nach den Wahlen im April noch in der Hoffnung abgelehnt, sein Ergebnis bei den vierten Wahlen in nur vier Jahren verbessern zu können. Rivera, mit dem eigentlich er koalieren wollte, hatte dies schroff abgelehnt und sich weit am äußersten rechten Rand positioniert.

Während Rivera die Cs fast in die Bedeutungslosigkeit geführt hat, blieb der Erfolg für Sánchez aus. Das hat aber zur Stärkung der Rechtsextremen geführt, die nun mit 52 Parlamentariern vertreten sind. Mangels Alternativen versucht Sánchez nun die Linkskoalition, die er zuvor verschmäht hatte, obwohl die Vorzeichen nun noch deutlich schlechter sind.

Angewiesen ist er nun auf noch mehr Unterstützung aus Katalonien und dem Baskenland. Ohne die Stimmen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) ist an eine Regierungsbildung nicht zu denken. Anders als im Frühjahr fordert die ERC nun aber als Gegenleistung klare Verhandlungen über den Konflikt in Katalonien, da es sonst zu den fünften Neuwahlen in nur vier Jahren kommt.

Die will Sánchez nun offenbar mit aller Macht verhindern. Bei den Gesprächen mit der ERC kommt er der Partei nun langsam entgegen. Seine Sozialdemokraten (PSOE) erkennen erstmals an, dass man es mit einem "politischen Konflikt" zu tun hat, der auch politisch gelöst werden müsse. Bisher hat auch die PSOE auf eine polizeilich-juristische Bekämpfung der Unabhängigkeitsbewegung gesetzt.

So wurde in einem hanebüchenen Schauprozess unter anderem den ERC-Chef Oriol Junqueras zu einer Haftstrafe von 13 Jahren wegen einem erfundenen "Aufruhr" verurteilt. Das Ministerium für Staatsanwaltschaft von Sánchez hielt und hält weiter am Vorwurf der Rebellion fest und hält die Strafen für zu milde. Klar ist aber, dass die ERC, die bereit ist, Sánchez entgegen zu kommen, ihren Wählern kaum eine Unterstützung verkaufen kann, sollte die Repressionsstrategie fortgesetzt werden. Es muss zu Entspannungsgesten kommen.

Die Führer der großen spanischen Gewerkschaften CCOO und UGT den ERC-Chef Oriol Junqueras im Gefängnis von Lledoners besucht, um ihn zu einer Unterstützung der Linkskoalition unter Führung von Sánchez zu bewegen. Sie haben ihre Werbetour schließlich in der ERC-Zentrale in Barcelona fortgesetzt und hatten sicher Versprechen von Sánchez im Gepäck.

Man darf gespannt sein, ob es nun Entspannungsgesten gibt. Da gäbe es die große Möglichkeit, den politischen Gefangenen Freigang zu gewähren, worüber in den nächsten zwei Wochen von den zuständigen Institutionen entschieden wird. Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen fordert ohnehin die Freiheit der Gefangenen, deren Grundrechte verletzt werden.

Eigentlich müsste Junqueras nicht im Gefängnis, sondern er müsste im Europaparlament sitzen. Das ist auch die Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dort wird über die Frage am 19. Dezember entschieden. In den allermeisten Fällen schließen sich die Richter dem Rechtsgutachten des Generalanwalts an.