Militärischer BUMMER

Symbolbild: Pixabay License

Wie Amazon, Max-Planck Gesellschaft und die deutschen Autokonzerne gemeinsam die Bundeswehr zur "Facebook-Armee" hochrüsten wollen

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Bis 2024 will die Bundesregierung die deutschen Militärausgaben verdoppeln. Schon in diesem Jahr wurde erstmals die magische Schwelle von 50 Milliarden überschritten - erstmals mehr als für Arbeit und Soziales, die Renten einmal ausgenommen.

Die EU geht einen ähnlichen Weg: Weil durch den Lissaboner Vertrag verboten ist, EU-Mittel direkt für Rüstung einzusetzen, nutzt der soeben berufene EU-Kommissar Thierry Breton, vormals Chef des Militärdienstleisters ATOS, die Industrieförderung zur Aufstockung des Europäischen Verteidigungsfonds.

Alle reden von Digitalisierung, KI und "Sprunginnovation". Was soll konkret für so viel Geld gemacht werden? Zwei Konferenzen in Bremen und Tübingen stellen höchst aufschlussreich die Großmachtpläne des deutschen Militärs vor.

I. "social"(?) military media

"Die Digitalisierung der Bundeswehr" klingt zwar sinnvoll, aber irgendwie auch drollig. Man denkt gleich an Verkleinerung, Reduzierung metallischer Masse, die Ersetzung des realen Abschlachtens durch die Vernichtung virtueller Repräsentanten. Bilder sauberer, fröhlicher Soldaten paradieren vor dem inneren Auge, gut frisierte, sportliche Männer und Frauen, die in den Händen statt stählerner Gewehre aluminiumkaschierte Camouflage-Hüllen halten, mit denen sie ihre Smartphones vor den unerlaubten Attacken verfeindeter Regimes oder einfach nur vor Schlag und Spritzwasser beim Parcour-Jogging schützen.

In ihrer Dienstzeit spielen sie hauptberuflich "Globale Offensive Europa", das 5G-basierte "Wir.dienen.Deutschland"-Update des legendären Taktik-Shooters "Counterstrike". Statt im Schützengraben zu frieren, hocken die Söldner im komfortabel beheizten war room des Potsdamer Einsatzführungskommandos und ballern die "Kommie"-Avatare mit der Lasermouse weg.

Alexa erhält eine wehrtechnische Schwester namens Ludmilla, die in einem paneuropäischen Forschungsvorhaben zur Superwaffe hochgepimpt wird. Sie fungiert per Voicecontrol, sowie unter fest einprogrammierter Umgehung lästiger parlamentarischer Abstimmungen als neuer nuclear football. Das Hiroshima der "Digitalen Offensive" findet in second life statt. Auf den Servern des nunmehr rund um den Erdball militärisch genutzten Linden Lab platzen alle Sims, aus denen das übermächtige und aggressive Fake-Putinograd erbaut wurde.

Die Triebabfuhr der Großmächte geht in dieser friedenspolitisch motivierten Vision der militärischen Cyber-Zukunft ohne Töten vonstatten. Der Pressesprecher des Verteidigungsministeriums twittert, die Digitalisierungsstrategie sei die "totale Humanisierung" der künftigen Kriegsführung. Er hat für seinen Tweet ein Vögelchen bei Crytek animieren lassen, das beim Ausspucken des Satzes in tausend blutrote Pixel zerbirst.

Military Media at its best.

Jene schwindelerregende Verbindung von Plattformkapitalismus, Wehrforschung und Militär, die sich tatsächlich hinter dem Euphemismus von der "Digitalisierung" der deutschen Streitkräfte verbirgt - und den damit einhergehenden, rasend schnellen Abbau von Gewaltenteilung und Demokratie - stellten äußerst facettenreich und durchaus unterhaltsam mehr als 30 Redner auf zwei Konferenzen vor: "Künstliche Intelligenz als Wunderland", organisiert vom "Forum Informatiker für den Frieden", FIFF Bremen (22.-24. November 2019), und "Rüstung Digital - Neue Technologien für neue Großmachtkonflikte" der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., 29. November bis 01. Dezember 2019 in Tübingen, der IMI-Kongress 2019.

II. Zukunfts-Rüstung aus "Stanfordle"

Einen furiosen Einstand in Tübingen gibt Christoph Marischka, der die auf den Kopf gestellte Rüstungs-Konversion am Widerstand gegen das "Cyber Valley" Tübingen verdeutlicht. 2016 bereits hatten sich das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPIS), die Universitäten Stuttgart und Tübingen und große Industriepartner wie Daimler, Bosch, Porsche, BMW, ZF Friedrichshafen, Amazon und Facebook zu einer Forschungskooperation für künstliche Intelligenz zusammen gefunden, die alles bisher Dagewesene in Sachen KI in den Schatten stellen möchte.

Wegen ihres Standortes im schwäbischen Mundartgebiet wird das Bündnis auch liebevoll "Stanfordle" genannt. Doch gemütlich soll es dort nicht zugehen, sondern hurtig, mit KI-Siebenmeilenstiefeln voran zur "Wirkungsübermacht".

Dass die deutsche Spitzenforschung nicht ahnungslos in dieses Tal geraten ist, entnimmt man den Aussagen von Prof. Dr. Martin Stratmann, Präsident der Max Planck Gesellschaft. Er will nach dem Muster des DARPA eine "Agentur für Sprunginnovation" einrichten.

Marischkas vor wenigen Tagen bei PapyRossa erschienenes Buch Cyber Valley - Unfall des Wissens. Künstliche Intelligenz und ihre Produktionsbedingungen ist dringend zur Lektüre empfohlen. Sein Vortrag zeigt deutlich, wie mit dem Schlagwort von der "Sprunginnovation", die wir angeblich brauchen, um nicht vom Osten her überrollt zu werden und zur Bedeutungslosigkeit von Vasallenstaaten anderer Großmächte abzusinken, alles über Bord gefegt wird, was zum Kanon humanistischer Bildung und gesicherter Rechtsstaatlichkeit zählt.

Selbst die Macher von "Standfordle" verhehlen solche Absichten nicht: Roland Berger spricht in seiner Blaupause für das Cyber Valley von der Erschaffung eines "neuen politischen Mindsets". Erhellendes hierzu findet sich auch auf der Aktivisten-Seite:

In Tübingen will Amazon Forschung zu Künstlicher Intelligenz betreiben. Die daraus entstehenden Demokratie- und Freiheitsrechte gefährdenden Technologien verkauft der Konzern schon jetzt an Polizei- & Geheimdienstbehörden weltweit, auch in autoritären Staaten. Dazu bietet Amazon mit "Cloud Computing for Defense" militärische KI-gestützte Clouddienste an, die Methoden des Maschinellen Lernens in die Führungs- und Informationssysteme von Militärs integrieren.

Nocybervalley. Bündnis gegen das Cyber Valley

Wie Amazon und die deutsche Bildungs- und Forschungslandschaft gemeinsam hier "ein befruchtendes Ökosystem für den Technologietransfer" schaffen und sich unter Umgehung von Technologiefolgenabschätzung und sich ohne jede Ermittlung gesellschaftlicher Bedürfnisse auf "disruptive technologies" einschießen, wie die Sprunginnovationen im internationalen Jargon heißen, hat Marischka im November für Telepolis skizziert: EU-Kommission: (Diese) Industriepolitik ist Rüstungspolitik.

Hier entsteht genau jene unheilige Allianz aus Risikokapital, Zukunftspolitik und konzernbasierter Forschung, für die Geschwindigkeit alles ist. Der Schulterschluss zwischen Wissenschaft, Industrie und Militär nennen sie "Interessenskonvergenz", für deren Inwerksetzung die Berater des Verteidigungsministeriums auf die Suche gehen nach "menschlichem Venture Kapital" (Fabian Westerheide von Asgard) - frei nach dem Motto "Verbrennt euch. Wenn ihr es überlebt, seid ihr reich". Vielleicht.

Statt geeichter Regeln für akademische Abschlüsse setzt man lieber auf "Fähigkeiten" der jungen Studierenden und belohnt sie mit Anstellung statt Abschluss. Allgemein, so Martin Kirsch, gilt für die aktuelle Führungsspitze der Armee: "schneller" zum Ziel ist deutlich zu favorisieren gegenüber "besser". Das belegt vor allem eine aktuelle Kampagne mit schmissigen Mark-Zuckerberg-Zitaten. Das eingesetzte Geld ist dabei völlig egal. Wenn zehn Projekte scheitern, schaffen "wir" vielleicht den "Sprung" mit dem elften.

Dazu passend will die Bundeswehr ihr Heer 4.0 zügig "auf einem Bierdeckel" entwerfen. Alles müsse "aus einem Guss" sein - man hört unwillkürlich "hart wie Kruppstahl" - nur eben noch härter: knallhart digital.

In der dazu passenden Marketingabteilung unter cyberinnovationhub.de kann man schlussrichtig Poster mit abgedroschenen Facebook-Slogans finden, die Tempo vor Qualität setzen und die der Hub-Chef Marcel "Otto" Yon, vormals startup-Gründer, "Business Angel" und CEO der Odeon Venture Capital AG, auf Flickr hat veröffentlichen lassen. Wir ahnen, nach welchem Muster die nationale Sicherheit umgebaut werden soll.

BUMMER

Aus dieser Mixtur ergibt sich letztlich genau das, was Jaron Lanier BUMMER ("Behaviours of Users Modified, and Made into an Empire for Rent") nennt: ein System, das jede vernünftige Politik verhindert, das eine sprunghafte Umverteilung aller verfügbaren Mittel von Arm zu Reich bewirkt, das uns alle auf den "Horrortrip" schickt (bummer ist slang für: "unpleasant aftermath of taking hallucinogenic drugs").

Eine ähnlich umfassende, in die Tiefe gehende Analyse, bei der KI und Militarismus als Sprungturm für einen "Köpper" in die Untiefen des Kapitalismus diente, bot der Vortrag von Capulcu, eines Bremer Kollektivs für "digitale Selbstverteidigung", in dem es um social scoring, also um die Aufdeckung, insbesondere aber die darauf folgende Korrektur potentieller Fehler im Nutzerverhalten ging.

Die weitreichenden Verweise auf "libertären Paternalismus" (sog. nudging) und die "dunkle Aufklärung" (dark enlightenment) lassen sich mit einem Zitat des Hyper-Unternehmers Peter Thiel krönen: "Most importantly, I no longer believe that freedom and democracy are compatible" ("Vor allem aber bin ich nicht mehr davon überzeugt, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind").

Der Beitrag von Capulcu führte in der anregenden Gesprächsatmosphäre beim Bremer FIFF-Kongress zu dem nachdenkenswerten Hinweis der im Publikum anwesenden Techno-Feministin Jutta Weber (Uni Paderborn), der "Mensch als Beute" stünde als Einsatz dem "attraktiven Versprechen der Technologien" gegenüber.

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