Rede-, Lehr- und Forschungsfreiheit auch für Hochschulen? - Zur Petition EINSPRUCH

Erste Reihe von links: Judith Butler / Bild: Public Domain, Noam Chomsky / Bild: Andrew Rusk / CC-BY-2.0, Hannah Arendt / Bild: Public Domain. Zweite Reihe von links: Marek Edelman (Mitanführer des Aufstands im Warschauer Ghetto, später Facharzt für Kardiologie; lebenslang Anhänger des jüdischen Arbeiterbund und Antizionist) / Bild: Public Domain, Naomi Klein / Bild: Mariusz Kubik / CC-BY-3.0, Pinchas Elijahu Verleger (Talmudgelehrter, Agitator gegen den Zionismus, von der SS auf der Straße erschossen; Onkel eines der Initiatoren dieser Petition) / Bild: Public Domain.

Professoren sehen in bisher nicht denkbarem Ausmaß die für unsere Hochschulen bis dato gegebenen akademischen Grundfreiheiten bedroht. Eine Petition soll das verhindern

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In allen derzeit 32 Mitgliedsländern der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA, Zentrale Berlin) wird eine schon seit längerem propagierte "Arbeitsdefinition Antisemitismus" (deutsch) Schrittchen für Schrittchen als verbindliche Grundlage öffentlichen Redens und Denkens etabliert. Diese von Anfang an nicht unstrittige Definition ist inzwischen auch von der deutschen Regierung und vom Bundestag als Sprachnorm akzeptiert. Und nun soll diese Sprachregelung nach einem Beschluss der HRK vom 19. November 2019 auch an allen 268 deutschen Hochschulen als bindend gelten.

Mit diesem Beschluss, so der von Telepolis bereits dokumentierte Einspruch der Professoren Georg Meggle (Analytischer Philosoph, Leipzig & Kairo), Norman Paech (Politikwissenschaft & Öffentliches Recht, Hamburg) und Rolf Verleger (Neuropsychologe, Lübeck), maßt sich die HRK eine Kompetenz an, die ihr nicht zusteht, und bedroht - wie sich in Form von Einschüchterungen und Veranstaltungsverboten schon in der bisherigen Praxis zeigt - in einem bisher für unsere Hochschulen nicht denkbarem Ausmaß die grundgesetzlich garantierten Freiheiten der Rede- und der Lehr-und Forschungsfreiheit.

Dem weiteren Verfall dieser Rechte treten die Professoren mit einem APPELL an alle HRK-Mitglieder (= alle Hochschulrektoren) und einem vorrangig - aber nicht ausschließlich - an alle akademischen Hochschulkollegen gerichteten Aufruf zur Unterstützung einer Petition entschieden entgegen. Telepolis dokumentiert im Folgenden beide Texte und die PETITION selbst.

Appell an alle HRK-Mitglieder

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat auf ihrer Mitgliederversammlung vom 19. November 2019 einen Beschluss gefasst, der für alle Hochschulen und auch für die gesamte politische Situation in Deutschland schwerwiegende Folgen nach sich ziehen könnte. Es geht um nichts weniger als die Rede- und Forschungsfreiheit an unseren Hochschulen und Universitäten.

Die Entschließung hat zwei Teile. Der allgemeine Teil entspricht genau der mit dem Titel "Kein Platz für Antisemitismus" zu Recht geforderten Ablehnung einer jeden Form von antisemitischer Diskriminierung; im speziellen Teil begrüßt die HRK die von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) schon seit längerem propagierte sogenannte "Antisemitismus-Arbeitsdefinition" ausdrücklich und möchte "sie an allen Hochschulstandorten etabliert sehen". Dieser spezielle Teil widerspricht diametral dem Selbstbild der HRK, wonach "die deutschen Hochschulen … Zentren der demokratischen Kultur, Orte des Dialogs und Stätten der Vielfalt" sind - und wohl auch weiterhin sein sollten.

Die Übernahme dieser Definition bedeutet, dass jede kritische grundsätzlichere (z.B. an Menschenrechten und am Völkerrecht orientierte) Kontroverse über Israels Palästina-Politik bereits semantisch - und in diesem speziellen Fall somit auch gleich moralisch - als "antisemitisch" abgewürgt werden kann.

Auf diesen Widerspruch habe ich in meinem Telepolis-Beitrag "Sprachregelung für unsere Unis? - Einspruch!" (29. Nov 2019) aufmerksam gemacht und den Präsidenten der HRK mit einem (a.a.O. veröffentlichten) Brief darum gebeten, diesen Teil der Entschließung auf seine rechtliche Basis hin überprüfen zu lassen - liegt es wirklich in der Kompetenz der HRK, allen Hochschulmitgliedern vorzuschreiben, wie sie reden sollen? - und kraft seiner Richtlinien-kompetenz dafür zu sorgen, dass dieser Teil der Entschließung an unseren Hochschulen und Universitäten dezidiert nicht als Norm umgesetzt wird.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Widerspruch von der HRK-Mitgliederversammlung entweder gar nicht bemerkt oder einfach zu wenig bedacht worden ist. Eine logische Unaufmerksamkeit, wie sie selbst Wissenschaftlern immer mal wieder passiert - ein Fehler, den zu beheben diesen aber dank der sie angeblich auszeichnenden strengeren Rationalitäts¬standards doch nicht allzu schwer fallen sollte. Leichter jedenfalls als z. B. den im Bundestag und in anderen Politikfeldern Tätigen. Zu Fehlern als Fehlern zu stehen und diese dann auch zu reparieren galt in unseren Kreisen schließlich bislang als Tugend.

Der Zweck dieses Schreibens ist es, nach Ihrem Präsidenten hiermit auch Sie als ein Mitglied der HRK - und zugleich ad personam - um Ihre Bereitschaft zu einer möglichst schnellen Revision dieses Teils Ihrer Entschließung zu bitten.

Meinem Einspruch haben die zwei Kollegen Norman Paech (Hamburg) und Rolf Verleger (Lübeck) bereits ihren jeweils eigenen folgen lassen. Weitere werden - insbesondere nachdem sich die eklatante Unzulänglichkeit der am 19. November 2019 von der HRK unterschriebenen "Arbeitsdefinition" mehr und mehr herumzusprechen beginnt - mit Sicherheit folgen. Wir werden jedenfalls alle von uns erreichbaren Hochschulkolleginnen und Kollegen um die Unterstützung einer entsprechenden an die HRK gerichteten Petition bitten.

Mit freundlichen Grüßen - auch im Namen meiner Kollegen Paech und Verleger

Georg Meggle

Zusatz: "Und uns Petitions-Initiatoren ist es SEHR wichtig zu betonen, dass sich unsere Petition NICHT GEGEN DIE HRK wendet, vielmehr diese auf einen Punkt aufmerksam machen soll, von dem wir glauben, dass er der HRK bei ihrer Beschlussfassung (auch unter dem verständlichen Halle-Schock) in ihrer ganzen Tragweite gar nicht bewusst war. Vielleicht wird die Tragweite JETZT etwas klarer, nachdem der derzeitige US-Präsident mit einem Dekret genau dasselbe durchsetzen will, was die HRK mit ihrer Resolution auch ohne jeden direkten Zwang von außen etabliert sehen möchten - eben die von uns monierte Übernahme der fragwürdigen IHRA-Definition."

Aufruf zur Unterstützung der Petition EINSPRUCH + Begründung

Jede Art von Diskriminierung ist verwerflich: Also auch der Antisemitismus = die Diskriminierung von Juden. Davon geht auch die Entschließung "Kein Platz für Antisemitismus" der Hochschulrektorenkoferenz (HRK) vom 19. November 2019 aus. Diesen allgemeinen Teil der HRK-Entschließung teilen wir - Georg Meggle (Leipzig & Kairo), Norman Paech (Hamburg) und Rolf Verleger (Lübeck) - voll und ganz.

Gerade deshalb erheben wir gegen den Rest dieser Entschließung Einspruch. Denn dieser fordert, dass eine zu klar politischen Zwecken propagierte und zu Recht höchst umstrittene "Arbeitsdefinition-Antisemitismus", nachdem diese durch die Bundesregierung und den Bundestag akzeptiert wurde, nunmehr auch noch "an allen Hochschulorten etabliert werden", d.h. auch dort zur verbindlichen Grundlage unseres Sprechens, Denkens und Forschens gemacht werden soll.

Unser Einspruch gegen diese HRK-Entschließung erfolgt aus zwei Gründen: einem eher formalen, und einem inhaltlichen. Wir protestieren dagegen, dass sich die HRK anmaßt, für unsere Hochschulen überhaupt verbindliche Sprachregeln verordnen zu können; und wir protestieren gegen die mit der "Arbeitsdefinition" einhergehenden konkreten Restriktionen (z.B. Veranstaltungsverbote) für ein auch am Völkerrecht und den Menschenrechten orientiertes öffentliches Nachdenken über die seit über 50 Jahren praktizierte Besatzungspolitik Israels.

In beiderlei Hinsicht sehen wir unsere Grundfreiheiten der Rede und der Forschung bedroht. Und dies ausgerechnet von Seiten der HRK, der "Stimme der Hochschulen"; während die Hochschulen doch, wie die HRK zu Recht auch selber sagt, die "Zentren der demokratischen Kultur, Orte des Dialogs und Stätten der Vielfalt" sein sollten. Hierin sehen wir einen eklatanten Widerspruch. Ein Widerspruch, welcher der letzten HRK-Mitgliederversammlung offensichtlich entgangen ist.

Wir appellieren daher an den Präsidenten der HRK sowie an alle Mitglieder der HRK - d.h. an alle Rektoren/innen der dort vertretenen 268 deutschen Hochschulen - , den über die Verurteilung jeglichen Antisemitismus hinausgehenden Teil dieser Entschließung zu revidieren und nicht zuzulassen, dass von oben verordnete Sprachregelungen - und zudem auch noch solche ersichtlich mangelhaften - an unseren Universitäten zur verpflichtenden Norm gemacht werden.

Wir bitten hiermit unsere akademischen Kollegen/innen aus allen Fachrichtungen: Unterstützen Sie unseren EINSPRUCH mit Ihrer Unterschrift unter diese an die HRK-Leitung gerichtete Petition! Bitte geben Sie in der "Kommentar"-Spalte Ihre fachliche Zugehörigkeit und Ihre (ehemalige) Hochschule an.

Begründung

Gelten unsere Grundfreiheiten der Redefreiheit, der freien Meinungsbildung und der Forschungs- und Lehrfreiheit auch für unsere Hochschulen?

Wer das bejaht, für den braucht es für die obige Bitte um Unterstützung keine weiteren Begründungen. Wir selbst haben unsere eigenen Beweggründe in den folgenden öffentlichen EINSPRÜCHEN gegenüber der HRK bereits ausgeführt - persönliche Gründe und generelle, inklusive Kritik an der "IHRA-Arbeitsdefinition". Die von uns erwähnten Restriktionen für ein auch am Völkerrecht und den Menschenrechten orientiertes öffentliches Nachdenken über den Israel/Palästina-Konflikt sind nicht nur eine Befürchtung für die Zukunft, sondern bereits in den letzten Jahren zunehmende Praxis, die nun durch den HRK-Beschluss Legitimation beanspruchen könnten.

Zur Petition EINSPRUCH