Einbindung der Ukraine in das westeuropäische Stromübertragungsnetz?

Kernkraftwerk Chmelnyzkyj. Foto: VargaA. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Während die Verzögerung bei Nord Stream 2 der Ukraine helfen soll, weiter Transitgebühren zu kassieren, will der Westen die Ukraine vom russischen Stromnetz abtrennen

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Seit der Abtrennung der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine gibt es kaum noch Stromlieferungen zwischen der Ukraine und Russland. Aus historischen Gründen ist der ukrainische Stromnetzbetreiber Ukrenergo jedoch bis heute auf sogenannte Primärregelleistung aus Russland angewiesen.

Kiew soll nun dem erklärten Feindstaat Russland beim Strom den Stecker ziehen. Zumindest westliche Sicherheitspolitiker und besonders die USA drängen darauf, dass Kiew die elektrische Westbindung rasch in die Tat umsetzt und ein integrierter Teil des kontinental-west-europäischen Elektrizitätsverbundnetzes wird.

Künftig soll der Strom von der Atlantikküste bis zum Donbas frei und ungehindert fließen und entsprechend gehandelt werden können. Dass das Stromnetz bis 2025 mit dem Netz der EU synchronisiert wird, soll Teil der europäischen Integration der Ukrainesein. Die technischen Modalitäten sind im Entso-E-Abkommen zwischen dem staatlichen Netzbetreiber "Ukrenergo" und Entso-E, dem Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber, aus dem Jahre 2017 festgelegt.

Ist die Einbindung umgesetzt, wird die Ukraine vom historisch gewachsenen Elektrizitätsregime mit Russland und Belarus abgekoppelt. Ob dieser Stromverbund jedoch realisiert werden kann, ist inzwischen wieder unsicher geworden. So sträubt sich Polen gegen Billigstrom-Konkurrenz aus dem Nachbarstaat und die ukrainischen Oligarchen können einer Übernahme von EU-Regularien und Klimaschutz-Auflagen nicht besonders viel Sympathie abgewinnen, auch wenn das Stromnetz im westeuropäischen Verbund stabiler zu betreiben wäre.

Billige Stromerzeugung mit abgeschriebenen Kernkraftwerken

Der Ukraine will man den Ausbau ihres Netzes mit der Möglichkeit schmackhaft machen, dass sich künftig lukrative Stromexportmöglichkeiten Richtung Westen ergeben, verfügt die Ukraine doch nach der Explosion von Tschernobyl im Jahre 1986 immer noch über 15 Kernreaktoren, die nach einer Ertüchtigung des Übertragungsnetzes auch Strom in den Westen liefern könnten, was die Fantasie westeuropäischer Stromhändler durchaus beflügelt.

Und so forciert man auf westlicher Seite den Netzanschluss der Ukraine an das in der Entso-E organisierten westeuropäische Verbundnetzes, das inzwischen auch das Netz der Türkei in seinen Verbund aufgenommen hat.

Doch so ganz wohl scheint man sich mit der Einbindung alter osteuropäischer Kernkraftwerke in das europäische Verbundnetz nicht zu fühlen. Speziell in Deutschland haben die Stromversorger mit dem Kapitel Kernkraft inzwischen weitgehend abgeschlossen und so beantwortet der deutsche Branchenverband der Versorgungswirtschschaft BDEW schon seit geraumer Zeit keine Anfragen zum Thema Kernkraft mehr, sondern verweist auf den Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD), den Nachfolger des 1959 gegründeten Lobbyverbandes "Deutsches Atomforum e. V." (DatF).

Und so scheint es für manchen Marktbeteiligten gar nicht so nachteilig zu sein, wenn es bei der Einbindung des ukrainischen Elektrizitätssystems nicht so zügig abläuft, wie dies von der atlantischen Politik gewünscht wird. Die Ukraine muss zuerst mal in die Lage versetzt werden, das Landesnetz stabil auf der Frequenz von 50 Hertz halten zu können. Gelingt dies nicht sicher, so könnte ein instabiles ukrainische Netz nach einer Einbindung in des westeuropäische Verbundnetz dieses durchaus aus dem Gleichgewicht bringen, was bis zum allseits gefürchteten Black-Out führen könnte.

Um dieses Risiko zu vermindern, will man das ukrainische Stromnetz über verstärkte Leitungen in Richtung Ungarn, der Slowakei und Polen einbinden und sowohl die Netzeinbindung als auch die Kraftwerke auf westlichen Standard nachrüsten.

US-Politik und Kernkraftlobby versuchen sich durchzusetzen

Bevor die Einbindung ins westeuropäische Stromnetz realisiert werden kann, muss das ukrainische Netz für jeweils etwa eine Woche im Winter und im Sommer im Inselbetrieb, als ohne Anbindung an das russische oder das westeuropäische Verbundnetz betrieben werden. Das die Ukraine zwischen den beiden Testläufen wieder mit dem russischen Netz synchronisiert werden muss, lässt sich dieser Testbetrieb nur realisieren, wenn Russland diesem Prozedere zustimmt. Ob diese Zustimmung erfolgt, ist bislang keineswegs sicher.

Wieviel Geld die Zusammenführung des ukrainischen Stromnetzes mit dem westeuropäischen Netz der Politik oder den westeuropäischen Strommonopolen noch wert ist, lässt sich derzeit kaum abschätzen. Zu den Protagonisten der Einbindung zählen westliche Investoren um Hans Schweickardt, den früheren Chef des Schweizer Energiekonzerns Alpiq, dessen Stern sich in der Schweiz allerdings im rapiden Sinkflug befindet und der es jetzt nochmals wissen will.

Gemeinsam mit den schwankenden Riesen, dem staatlichen französischen Energiekonzern EdF und dem kürzlich aus der Insolvenz von einem kanadischen Investor übernommenen US-Atomkonzern Westinghouse will Schweickardt 1000 Megawatt Leistung für den Stromexport nach Polen und weiter ins Baltikum mobilisieren, was der Ukraine harte Euros liefern könnte, mit welchen man die Modernisierung von Kraftwerken und Infrastruktur im Land finanzieren könnte.