Solange der Leerstand reicht

Schriftzug an der Hausfassade, Kastanienalle 86 in Berlin-Prenzlauer Berg. Bild (2008): ctot_not_def/CC BY 2.0

Hausbesetzungen in Ostberlin

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Am Montag räumen die Bullen unser Lieblingshaus. Da gehen wir gerne raus, das macht uns gar nichts aus. Am Mittwoch schon, da machen wir uns richtig fein und ziehen in ihre Bonzenvillen ein.

B-Chor, 1991

Vor fast genau 30 Jahren, am 22. Dezember 1989, erklärte eine Gruppe junger Menschen das Haus in der Schönhauser Allee 20 im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg für besetzt und gab damit den Startschuss für die zweite große Hausbesetzerbewegung in Berlin und die erste Bewegung, an der Menschen aus Ost und West beteiligt waren.

In Erinnerung geblieben sein dürfte am ehesten die Räumung der Mainzer Straße in Friedrichshain - eine der größten Straßenschlachten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Eine Räumung beendet aber eine Hausbesetzung. Und die Räumung der Mainzer Straße, also sogar eines ganzen Straßenzuges, markiert, wenn schon nicht das Ende, so doch mindestens einen dramatischen Wendepunkt der Ostberliner Hausbesetzerbewegung. Der Anfang fand ohnehin woanders statt, in einem Staat, der zum Zeitpunkt besagter Schlacht gerade einen Monat zuvor zu existieren aufgehört hatte.

Die Partei- und Staatsführung der DDR setzte in der Wohnungsfrage im Wesentlichen auf den Bau von Großsiedlungen am Stadtrand und ließ die vorhandenen Altbauten in der Innenstadt schlicht verfallen. Geplant war, diese durch der innerstädtischen Lage angepasste Plattenbauten zu ersetzen, wie man sie etwa in der Friedrichshainer Colbestraße bewundern kann. Um Häuser abreißen zu können, müssen sie leer stehen. Der Stadtbezirk Prenzlauer Berg etwa verlor aus diesem Grund zwischen 1975 und 1985 ungefähr 100.000 Einwohner.

Schwarzwohnen, stille und dann offensive Besetzungen

Doch bevor die Neubauten realisiert werden konnten, war dort erst einmal viel Platz. Seit den 1970er Jahren begannen zunächst Einzelne damit, einfach ungefragt in leerstehende Wohnungen einzuziehen. Das nannte man "Schwarzwohnen". Anschließend zahlten sie die übliche Miete und konnten nach drei Monaten eine Legalisierung verlangen.

Später, in den 1980er Jahren, entwickelten sich diese stillen Besetzungen zum Massenphänomen und es war im Grunde nur eine Frage der Zeit, bis sich ganze Wohnhäuser auf diese Weise füllten, in deren Umfeld dann wiederum ein subkulturelles und, in welcher Weise auch immer, oppositionelles Milieu entstand.

Das Haus in der Fehrbelliner Straße 7 gehört zu den ältesten auf diese Weise besetzten Häusern in Ostberlin. Die stillen Besetzungen begannen bereits 1982, und seit 1987 waren alle Wohnungen besetzt, während in den unbewohnten Erdgeschoss- und Kellerräumen verschiedene Punkbands wie Die Firma, Feeling B oder Rosa Extra probten. Auch das Haus in der Schönhauser Allee 20, das die sichtbare Ostberliner Besetzerbewegung ins Rollen brachte, entstand als Aneinanderreihung stiller Wohnungsbesetzungen und war, so gesehen, erst einmal nicht mehr als eine Fortschreibung einer ohnehin verbreiteten Praxis.

Seit dem Sommer 1989 war es dann vollständig besetzt, und am 22. Dezember 1989 bekannten die Bewohner sich dazu öffentlich, indem sie entsprechende Transparente aus dem Fenster hängten. Die Nachricht von der ersten offensiven Hausbesetzung in Ostberlin machte schnell die Runde und das Haus geriet zur Pilgerstätte für Journalisten, Sympathisanten, Abenteurer und allerlei sensationslüsterne Menschen aus Ost und West.

In der Folge erklärten sich eine ganze Reihe ähnlicher Fälle öffentlich als besetzt und weitere Gruppen junger Quergeister fühlten sich ermuntert, leerstehende Häuser komplett zu übernehmen - zunächst hauptsächlich im Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Für viele Besetzer der ersten Stunde, die sich in der DDR-Wendezeit - und zum Teil schon davor - politisch aus dem Fenster gelehnt hatten, war der Einstieg in die entstehende Hausbesetzerbewegung allerdings auch ein Rückzug aus der "großen Politik".

Ging es während der ersten Phase der Wende für viele noch um einen freiheitlichen Sozialismus in einer reformierten DDR, mussten sie sich zum Jahresende mehr und mehr mit einem nahtlosen Übergang zum Kapitalismus westlicher Prägung und sogar mit der vorher völlig undenkbaren Wiedervereinigung Deutschlands auseinandersetzen.

"Gezwungen, die für uns erreichbaren Werte vor der Preisgabe zu schützen"

Die neuen Bewohner des Hauses in der Friedrichshainer Schreinerstraße 47 begründeten ihre Besetzung am 29.12.1990 denn auch folgendermaßen:

"Die gestürzten Machthaber haben unser Land verraten und verkauft, und die neuen Nicht-Volksvertreter dienen lediglich als lächerliche Konkursverwalter. Durch die totale Grenzöffnung sind dem internationalen Finanzkapital mit seinem Wolfsgesetz, den nationalistischen Blähungen und seiner weltweiten Umweltzerstörung Tür und Tor geöffnet worden. Letztlich wird es versuchen, die Idee des freien Sozialismus - die Selbstbestimmung aller Menschen - in der DDR mit einem gewaltigen Kapitalstrom zu ersticken. Ab Weihnachten 1989 ist die DDR faktisch zum Plündern freigegeben. Darum sehen wir uns gezwungen, die für uns erreichbaren Werte vor der Preisgabe zu schützen."

Der Text erschien interessanterweise in der Westberliner Autonomenpostille Interim und nicht im Ostberliner telegraph, dessen Macher größtenteils selbst in besetzten Häusern wohnten, aber die politische Dimension der entstehenden Bewegung wohl erst später wahrnahmen, während die Westberliner Autonome Szene ohne die Hausbesetzungen Anfang der 1980er eigentlich kaum vorstellbar gewesen wäre, weshalb für sie Hausbesetzungen an sich hochpolitisch waren.

Bis zum Februar 1990 waren bereits etwa 20 Häuser besetzt. Wobei es schwer zu sagen ist, welche Besetzungen sich dabei als Teil der Bewegung verstanden. Neben den Wohnhäusern gab es eine Reihe besetzter Cafés oder Veranstaltungsorte wie der Kulturoperative Eimer in der Rosenthaler Straße in Mitte oder dem Tacheles, und vom Dach der Schönhauser Allee 5 sendete der Piratensender Radio Prenzlauer Berg. Bereits im Januar waren die Besetzer dazu übergegangen, sich in einem sogenannten Besetzerrat zu organisieren.

Zum einen sollte dieser B-Rat gemeinsame Verhandlungen mit dem in Ostberlin regierenden Magistrat und den Kommunalen Wohnungsverwaltungen über eine Legalisierung der Häuser führen, zum anderen musste Schutz organisiert werden gegen häufige Überfälle von Faschisten und Hooligans des BFC Dynamo, der damals FC Berlin hieß und seine Heimspiele im Jahnsportpark am damaligen U-Bahnhof Dimitroffstraße austrug.

Ende Februar 1990 besetzten Ostberliner Rechtsextreme ihrerseits mehrere Häuser in der Lichtenberger Weitlingstraße, von wo aus sie Überfälle auf linke Projekte und andere Ziele in Berlin und in Brandenburg durchführten. Viele der besetzten Häuser glichen deshalb im Laufe der Zeit regelrechten Festungen, mit Treppenbarrikaden, um ein Eindringen der Rechtsradikalen zu verhindern, und Gittern vor den Fenstern der unteren Stockwerke als Schutz gegen Steine und Molotow-Cocktails.

Ab Mitte März änderte sich die Zusammensetzung der Bewegung deutlich. Bis dahin gab es zwar schon Ost-West-Besetzungen in der Köpenicker Straße 137 oder in der Kastanienallee 85/86 und auch die ersten reinen Westbesetzungen in der Brunnenstraße 7 oder in der Tucholskystraße 32, die meisten Hausbesetzer waren aber noch DDR-Bürger. Nach der letzten Volkskammerwahl am 18. März 1990, die allgemein als Plebiszit der DDR-Bevölkerung für den Anschluss der DDR an die BRD gewertet wurde, änderte sich das schnell. Jetzt kamen immer mehr Westberliner in den Ostteil der Stadt, um sich Häuser anzueignen, was in Westberlin durchaus umstritten war.

Westbesetzer in Ostberlin

Dort gab es seit dem Amtsantritt der ersten rot-grünen Koalition im März 1989 eine Renaissance von Hausbesetzungen, wenn auch überwiegend von kurzer Dauer, und in der Interim führte man Diskussionen über den Beitrag, den ein Mietkampf zur sozialen Revolution leisten könnte. Die Westbesetzer in Ostberlin waren im Westen mit dem Vorwurf konfrontiert, dort die linksradikalen Kräfte zu schwächen und einfach den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Ein etwas merkwürdiger Vorwurf angesichts der Tatsache, dass die Zukunft Berlins ohnehin wieder zusammen gedacht werden musste.

Diskussionen in der Interim interessierten aber auch damals schon außerhalb der linken Szene nur die wenigsten. Es zogen nicht nur Autonome nach Ostberlin. Die Wohnungsnot in Westberlin war durchaus real. Es kamen auch Obdachlose, Künstler und viele Studenten, die im Unistreik 1988/89 ihre Institute besetzt hatten und auf den Geschmack gekommen waren. Ende April 1990 waren insgesamt 50 Häuser besetzt. Der Schwerpunkt der Hausbesetzungen lag während dieser Phase im Stadtbezirk Mitte.

Auch die stillen Wohnungsbesetzungen nach DDR-Art grassierten geradezu. Im Frühling 1990 zogen überall kleine Gruppen von Menschen durch die Straßen, die leere Wohnungen suchten, hineingingen und im Eifer des Gefechts manchmal auch bewohnte aufbrachen oder welche, in denen der Frühstückstisch noch gedeckt und nur an der Tageszeitung aus der Vor-Wendezeit erkennbar war, dass die ehemaligen Bewohner ein Jahr zuvor in den Westen übergesiedelt waren.

Richtig in Schwung kam die Bewegung ab Mai. Im Warmen besetzt es sich auch angenehmer. Ende April 1990 gingen "MitgliederInnen autonomer Gruppen aus Ost und West" mit einem Flugblatt an die Öffentlichkeit, das auch in der Interim erschien, in dem sie dazu aufriefen, in Friedrichshain Häuser zu besetzen, um bevorstehende geplante Umstrukturierungen zu verhindern und die dort bereits besetzten Häuser vor "Nazi-Angriffen" zu schützen. Daraufhin kam es zu einem regelrechten Run auf den Bezirk.

Die Mainzer Straße

Innerhalb kürzester Zeit waren zwölf Häuser allein in der Mainzer Straße besetzt. Ständig folgten weitere Okkupationen von Häusern und auch von einzelnen Wohnungen, bisweilen kamen sich die Besetzungswilligen sogar in die Quere und stritten darum, wer denn begehrtes Objekt beziehen dürfe. Die Westberliner Wohnungsnot fand in Ostberlin ihr Ventil.

Bis zum Höhepunkt der Bewegung im August waren mindestens 120 Häuser besetzt. Wahrscheinlich waren es sogar deutlich mehr, die Dunkelziffer dürfte erheblich gewesen sein. Wolfram Kempe, der an den Vertragsverhandlungen in Prenzlauer Berg beteiligt war, spricht von 134 Häusern allein in diesem Stadtbezirk.

Wer im Frühjahr oder Sommer die Mainzer Straße besuchte, konnte sich deren Ausstrahlung kaum entziehen. Ein ganzer Straßenzug besetzt. Überall Transparente und DDR-Fahnen, denen man den gelben Streifen abgeschnitten hatte. Hunderte von Menschen auf der Straße, die Bier tranken, revolutionäre Pläne schmiedeten oder allerlei Schabernack ausheckten.

Die Mainzer strotzte nur so vor Kraft. Im Kampf gegen "die Nazis" ging man deshalb auch zum Angriff über. Es gab Flugblatt- und Plakataktionen gegen die "Nazi-Häuser" in der Weitlingstraße und mehrmals in der Woche militante Angriffe. Ende Juni zog ein Schwarzer Block von etwa 5000 Menschen nach Lichtenberg und lieferte sich eine Straßenschlacht mit der Volkspolizei, die im Weg stand.

Ende Juni beschloss der B-Rat auch die Gründung eines Vertragsgremiums, das nur noch mit dem Magistrat verhandeln sollte. Die gemeinsamen Verhandlungen hatten auch die Aufgabe, die Bewegung zusammenzuhalten. In den besetzten Häusern wohnten schließlich Menschen, die die unterschiedlichsten Ziele verfolgten.

Manche wollten einfach nur ein bezahlbares Dach über dem Kopf, anderen ging es um den Aufbau von Wohnprojekten oder einer alternativen Infrastruktur und für nicht wenige war der Häuserkampf nur ein Vehikel auf dem Weg zur sozialen Revolution oder im Kampf gegen den Imperialismus.