Die Klimamigration gibt Rätsel auf

Lager für Flüchtlinge aus Darfur im Tschad, 2005. Bild: Mark Knobil / CC-BY-2.0

Klimawandel und Migration verlaufen nicht symmetrisch zueinander

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Der globale Temperaturanstieg verlängert in nördlichen Breiten die Vegetationsperiode. Fröste nehmen ab, Erträge nehmen zu. Wärmeliebende Pflanzen wie Wein gedeihen besser. Neue, an den Klimawandel angepasste Saaten können ausgebracht werden. Die vermehrte Verdunstung über dem erwärmten Atlantik kommt in der Sahel-Zone als Regen hernieder. Die erhöhte CO2-Konzentration in der Luft hat einen Dünge-Effekt. Der Klimawandel kennt Gewinner.

Der Turm der Wissenschaft hat viele Kammern, und in der Tat schallt es aus einer so heraus. Mainstream ist das nicht. Gut und schlecht, Ursache und Wirkung lassen sich im wissenschaftlichen Diskurs schnell umdrehen. Quid pro quo? Sind die Extrem-Ereignisse "sozial konstruiert", oder sind sie im zyklischen System der Natur sich entwickelnde Gewalten? Ist die globale Zunahme der Migrationsströme eine Klimafolge, oder ist der Klimawandel lediglich "Risikoverstärker" sozialer und politischer, ethnischer und religiöser Konflikte in Entwicklungs- und Schwellenländern?

Der belgische Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Docquier wandte sich in einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität gegen Simplifizierungen in der These vom Zusammenspiel von Klimawandel und Migration. Es gilt, bei den Opfern der Klimaveränderung genauer hinzuschauen. Die transnationale Süd-Nord-Migration, die europäische Empfängerländer im Visier hat, stellt nur einen kleinen Ausschnitt der weltweiten Wanderungen dar.

Was in der europäischen Wahrnehmungs-Stereotypie zum Bild eines "Flüchtlings an sich" ausgemalt wird, stellt im Weltmaßstab eine relativ kleine privilegierte Gruppe dar. Diese Gruppe verfügt über die Mittel und sozialen Netze, um überhaupt auswandern zu können. Bei ihnen sind ein höheres Einkommen und ein höherer Bildungsstand die korrelierten Determinanten. Docquier verweist auch gleich auf die Sogwirkung, die die Abwanderung für Sende- und Empfängerländer hat. Ein Braindrain zieht Humankapital von den Entwicklungsländern ab.

Für den weitaus überwiegenden Teil der Flüchtlinge kommt jedoch eine transnationale Migration als Anpassungsstrategie an klimabedingte Ereignisse nicht in Frage. Ihnen fehlt schlicht die Liquidität. Es sind "trapped populations". Sie müssen die Risiken und Wirkungen aushalten, was sich etwa bei Überschwemmungen in vergleichsweise höheren Todesraten niederschlägt. Sie ziehen nur so weit weg wie unbedingt notwendig. Die Binnenwanderung beschränkt sich auf ihre Region oder ihr Land. Docquiers Schlussfolgerung ist eindeutig und forschungsleitend: Es ist nicht von Klima-Migration zu sprechen, sondern von Klima-Armut.

Mit dieser Interpretation steht Docquier nicht allein. Kerstin Schmidt-Verkerk1 folgert: Es ist unwahrscheinlich, dass der Klimawandel zu mehr internationaler Migration führen wird. Klimawandel und Migration stehen in keinem automatischen Zusammenhang Damit ist die General-These erschüttert, eine CO2-Reduktion würde in dem Maße die Fluchtgründe beseitigen wie sich das Klima normalisiert. Selbst wenn die Reduktion gelänge: Die Armut bliebe.

"Klima-Apartheid" nennt es der Bischof von Kapstadt, wenn die einen es schaffen, die Krisengebiete zu verlassen, die anderen nicht. Die klimatischen Bedrohungsszenarien sind höchst real, werden aber in der ökologischen Debatte zur Camouflage sozialer Spaltungen in unterentwickelt gehaltenen Ländern benutzt.

Auch die ärmeren Bevölkerungsschichten verfügen trotz erhöhter sozialer und gesundheitlicher "Vulnerabilität" über begrenzte Anpassungsstrategien. Sie kehren zurück, wenn die Umstände es erlauben. Zu dieser "zirkulären Migration" gehört, dass einzelne meist männliche Familienmitglieder sich auf die Suche nach entfernten Arbeitsstellen auch über die Grenzen hinweg begeben und ihren zurückgebliebenen Angehörigen Geld überweisen, sofern sie in den Städten etwas finden. Der schöne Berliner Görlitzer Park hat sich zum Ärger der Anwohner zu einem Drogen-Umschlagplatz entwickelt. Die Dealer unterstützen jedoch aus ihren Einnahmen ihre Angehörigen in afrikanischen Ländern. Die Anpassungsstrategie, in Städten Zuflucht zu suchen, missglückt auf alle Fälle für diejenigen, die in Slums landen.

Arme haben in unterentwickelten Ländern keinen Zugang zur Politik, das heißt: Sie haben weder in den politischen und Verwaltungsstrukturen noch in den lokalpolitischen Netzwerken eine Stimme. Wenn sie sich nach dem Rückgang von Überschwemmungen an den Wiederaufbau machen möchten, kann es passieren, dass ihnen ihr Land genommen und in einflussreichere Hände übergegangen ist.