Das Terrorismuskonstrukt gegen Katalanen bricht zusammen

David Ros

Seit drei Monaten sitzen unter einem Terrorismusvorwurf Katalanen in spanischen Gefängnissen, die nun sukzessive freigelassen werden

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Mit der "Operation Judas" der spanischen paramilitärischen Guardia Civil wurden am 23. September neun Mitglieder der katalanischen Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) in Katalonien festgenommen und sieben davon zunächst inhaftiert. Fünf CDR-Mitglieder kamen inzwischen auf Kaution wieder frei, zuletzt am vergangenen Freitag Alexis Codina. Er wird allerdings zum "harten Kern" der Gruppe gezählt, der vorgeworfen wird, eine "sezessionistische Terrorgruppe" gebildet zu haben.

Es ist bekannt, dass in Spanien die Auslegung von Terrorismus sehr weit gefasst wird. Fast jede Widerstandshandlung kann zu Terrorismus umgedeutet werden und das geschieht auch. Das führt dazu, wie der Fall von jungen Basken gezeigt hat, dass die Verfahren an ein Sondergerichtshof in Madrid gezogen werden, statt sie am zuständigen Gericht zu verhandeln. Sie werden dort auch weiter geführt, auch wenn am Nationalen Gerichtshof schließlich die Terrorismusvorwürfe fallen.

Aus dem Beschluss zur Freilassung von Codina wird schon jetzt klar, dass bei den CDR-Mitgliedern kein Sprengstoff gefunden wurde: Da es auch keine Anschläge der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung gab, wird auch in dem Beschluss angezweifelt, ob es eine "kriminelle Organisation mit terroristischem Charakter" gibt. Zudem wird erklärt, dass man "kein ausreichend fundiertes Urteil" darüber fällen könne, ob es "sich um terroristische Vorgänge handelt oder nicht". Über die Vorgänge sprachen wir mit dem Wirtschaftswissenschaftler David Ros, dem Onkel von Jordi Ros, der trotz dieser Zweifel und der Tatsache, dass Untersuchungshaft der absolute Ausnahmefall sein soll, wie Germinal Tomás im Gefängnis ist.

Wie bewerten Sie die neuesten Entwicklungen, dass zunächst vor Weihnachten vier CDR-Mitglieder freigekommen sind und schließlich auch Codina. Und der soll, wie auch Ihr Neffe, zum "harten Kern" der Gruppe gehören.

David Ros: Meiner Meinung nach bricht das Verfahren zusammen. Bei niemandem wurden Waffen oder Sprengstoff gefunden. Das wiederholen wir stets. Es sind friedliche Aktivisten für die Unabhängigkeit. Wir haben es mit einem Konstrukt zu tun.

Nun wird nicht mehr von Sprengstoff, sondern nur noch von Materialien zur Sprengstoffherstellung gesprochen. Was wurde denn gefunden?

David Ros: Ich habe keinen Einblick in die Akten und zudem wurden die Ermittlungen lange geheim geführt und werden sie zum Teil noch immer. Wir wissen viel nur aus der Presse. Aber wenn Sachen an die Medien durchgestochen werden, dann steht dahinter natürlich immer ein Interesse. Das muss man bedenken. Bei einem der Säcke allerdings, die in einem Video der Guardia Civil gezeigt wurden, die die Medien gezeigt haben, handelte es sich schlicht um Sägemehl.

Bei den Materialien, die gefunden wurden, soll es sich zum Beispiel um Diesel und Ammoniumnitrat handeln. Das ist Dünger für Mais, Weizen, Gerste ... Einer der Beschuldigten hat ein Landstück, das er bewirtschaftet. Ammoniumnitrat muss mit anderen Stoffen gemischt werden, die streng von den Sicherheitskräften kontrolliert werden, um daraus einen Sprengstoff herzustellen. Ich glaube nicht, dass diese jungen Leute dazu fähig sind.

Mir wurde auch aus berufener Quelle berichtet, dass es nicht einfach ist, daraus Sprengstoff herzustellen, noch dazu wenn man kein Experte ist. Ein befreundeter Chemiker hat mir erzählt, dass er das als Jugendlicher einmal versucht hat und gescheitert ist. So wie ich Jordi kenne, kann ich anfügen, dass er sicher nicht versucht hat, Sprengstoff herzustellen. Es ist bekannt, dass die CDR Aktionen des zivilen Ungehorsams durchführen, Autobahnblockaden, Schienenblockaden … Das hat nichts mit Terrorismus zu tun. Und in dem Video, das von der Vernehmung von Jordi durchgestochen wurde, sagt er zwar viel Unsinn, aber er weist stets entschieden zurück, irgendetwas mit Sprengstoff zu tun zu haben.

Typische CDR-Aktion: "Sit and talk" auf der Autobahn. Bild: CDR

"Psychologische Folter"

Wie kam es dazu, dass Jordi auch Anschuldigungen bei seiner der Vernehmung bestätigt hat, wie an die Presse durchgestochene Videoaufnahmen zeigen?

David Ros: Vor allem die Fahrt nach Madrid hat er als Barbarei bezeichnet. Sie wurden maskiert verfrachtet, zum Teil wurden sie irgendwo auf dem Weg aus dem Wagen geholt. Die Guardia Civil sprach bekannte Folterfälle an. Immer wieder wurde auch mit Konsequenzen für Freunde und Familie gedroht. Ihm wurde sogar ein in Echtzeit aufgenommenes Foto seiner Freundin gezeigt, die gerade in Ibiza war. Die werde gleich einen Flug nach Barcelona nehmen, wurde ihm gesagt: "Du entscheidest, ob sie nach Hause fährt oder wir sie hierher bringen." Man kann das Erpressung oder auch psychologische Folter nennen. Für mich ist das Folter.

Er hatte zudem drei Tage nicht geschlafen, als es zur Vernehmung kam und Jordi wollte schnell aus dieser Lage heraus. So erklärte er viele Verrücktheiten. Er entschuldigt sich sogar bei der Guardia Civil, dass sie wegen ihm Überstunden machen müssten, dass er alles bereue … Er bezeichnet Guardia Civils sogar als Kollegen. Kennt man Jordi, ist klar, dass etwas Gravierendes vorgefallen sein muss, wenn er sich so verhält. Die psychologische Folter habe ich schon angesprochen und dazu die Schlaflosigkeit … Etwas ist geschehen, was seinen Willen verändert hat.

Wieso hatte er nur einen Pflichtverteidiger und wie war das Verhältnis der Familie zu ihm?

David Ros: Die Familie hatte keinerlei Kontakt zu dem Pflichtverteidiger. Wir wussten nicht einmal, wer das ist und wie wir ihn kontaktieren können. Im Fall eines zweiten Pflichtverteidigers, zu dem die Familie aber Kontakt hatte, hat der sie konsequent belogen. Wir haben schnell einen Anwalt des Vertrauens beauftragt. Doch der wurde immer wieder mit Ausflüchten von den Behörden abgespeist. Erst am fünften Tag nach der Verhaftung gelingt es ihm, nach weiterem Hickhack mit den Behörden, endlich mit Jordi in Kontakt zu treten. Hier taucht dann auch der Begriff Barbarei für den Umgang auf. In einem anderen Fall ist es der Familie sogar erst nach 25 Tagen gelungen, dass der Inhaftierte einen Verteidiger seines Vertrauens bekam.

Wieso werden Videos aus den geheimen Ermittlungen durchgestochen?

David Ros: Man will damit ein bestimmtes Klima in der Öffentlichkeit erzeugen. Das Ganze steht in einem politischen Rahmen. Die Verhaftungen fanden kurz vor der Verkündung der harten Urteile gegen katalanische Politiker und Aktivisten statt. Dazu kommen die Versuche, Verbindungen der CDR zu Carles Puigdemont und Terrorismus herzustellen, gegen den ein neuer Europäischer Haftbefehl ausgestellt wurde.

Wie schätzen Sie den weiteren Fortgang ein?

David Ros: Das wird nicht schnell gehen. Es gab den Fall von jungen Leuten in Madrid, die bis zu 18 Monate wegen angeblichem Terrorismus inhaftiert waren.Es stellte sich heraus, dass bei ihnen nur Haushaltsreiniger gefunden wurden. Wichtig ist für die Situation die Rolle der Pflichtverteidiger. Die vier CDR-Mitglieder, die vor Weihnachten freigelassen wurden, hatten eigene Anwälte und haben vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch gemacht. In den Fällen mit Pflichtverteidigern läuft alles anders und viel langsamer. Sie haben viele wichtige Schritte nicht unternommen. Wir haben beantragt, dass wegen der Vorgänge die Aussagen von Jordi für nichtig erklärt werden, weil seine Rechte auf eine effektive Verteidigung verletzt wurden.

Ist nicht erstaunlich, dass bei den vier CDR-Mitgliedern, die vor Weihnachten freikamen, sich auch das Ministerium für Staatsanwaltschaft nicht gegen ihre Freilassung ausgesprochen hat?

David Ros: Das könnte eine Geste der spanischen Regierung sein, da ja Verhandlungen laufen und sie zur Regierungsbildung auf Stimmen der Republikanischen Linken (ERC) angewiesen ist. Aber das sind natürlich nur Spekulationen. Für mich handelt es sich um Geiseln, die in einer politischen Show eingesetzt werden, je nachdem, wie sich die Lage entwickelt.

"Es wird massiver Druck ausgeübt"

Glauben Sie, dass es mit einer von der ERC tolerierten sozialdemokratischen spanischen Regierung eine Verbesserung der Situation gibt?

David Ros: Ich habe natürlich keine Glaskugel und weiß nicht, was passieren wird. Aber ich glaube nicht, dass es zu einer ernsthaften Veränderung kommen wird. Die wäre gegeben, wenn die Menschenrechte geachtet werden, die hier in Katalonien sehr stark angegriffen werden. Das Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, durch die Verfassung geschützt, wird massiv eingeschränkt. Demonstranten werden identifiziert und angeklagt. Es wird massiver Druck ausgeübt. Es sind für eine Regierung natürlich verschiedene Pakte möglich, wo einer für Menschenrechtslage schlechter als ein anderer ausfallen würde. Aber für mich wäre eine grundlegende politische Veränderung, die Menschenrechte über alles andere zu stellen.

Wie erlebt Ihre Familie die Durchsuchungen, Festnahmen und Inhaftierungen?

David Ros: Wir waren auf eine solche Situation nicht vorbereitet, dass am frühen Morgen die Tür eingeschlagen wird. Ich war gerade auf einer Fahrradtour in Frankreich. Mir wurde aber schnell ein Video zugeschickt, das meinen mehrfach am Herz operierten 76-jährigen Bruder zeigte, der die Vorgänge beschreibt, wie die Wohnung gestürmt wurde. Er erklärt: "Wenn sie geklingelt hätten, hätten wir die Tür geöffnet." Zu sehen war dabei auch seine zerstörte Wohnung.

Ähnlich lief das in Jordis Wohnung und der seines Bruders ab, wo der sich gerade aufhielt, die sich auf dem gleichen Stockwerk befindet. Auch dort drangen etwa zwei Dutzend Guardia Civils ein, schwer bewaffnet mit Pistolen und Gewehren. Die Familie wurde ohne Kontakt nach außen mehr als acht Stunden festgehalten, auf die Forderung, einen Anwalt zu bestellen, wurden sie nur vertröstet. Auch Jordis kleinerem Bruder wurde immer wieder mit Waffen auf den Kopf gezielt.

Wir versuchen nun weiter an Informationen zu kommen und Öffentlichkeit darüber herzustellen, dass es sich bei der ganzen Aktion um ein reines Konstrukt handelt. Ich habe zu Beginn der Vorgänge auch nichts verstanden, weil mir Informationen fehlten. Es gibt natürlich auch weniger informierte Leute, die glauben, wenn die Guardia Civil Leute inhaftiert, dann wird da schon irgendetwas dran sein. Allerdings gibt es auch viele andere, die uns nach all den Vorgängen hier in Katalonien unterstützen und schon bei den Festnahmen protestiert haben. Man lässt sich hier nicht mehr an der Nase herumführen.

Klar, wenn ich an die Lage von Jordi denke, nimmt mich das mit. Er sitzt jetzt schon drei Monate in einem Loch. Das ist hart, aber man muss stark bleiben. Das geht allen Familien so und wir versuchen uns gegenseitig zu unterstützen und mobilisieren. Wir versuchen die Unschuld der Betroffenen gegen einen Angriff zu verteidigen.