"Das Boot" fährt in vermintem Terrain

Das Boot. Bild: ZDF und Nik Konietzny

Nazi-Verstrickung der Wall Street ist unerwünschtes Thema

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass deutsche Journalisten bei U-Boot-Themen oft im Trüben fischen, ist eher die Regel als die Ausnahme (Deutsche Medienfront hält U-Boot unter der Wasseroberfläche, Enten und U-Boote). Aber auch bei historischen U-Boot-Themen eifert man noch immer dem preisgekrönten Kollegen Relotius nach. Aktuell blamieren sich die Edelfedern beim Kommentieren des Remakes von "Das Boot". So erregen sich die "Experten" über die Figur eines an Bord genommenen amerikanischen Geschäftsmannes, der während des Kriegs Geschäfte mit den Deutschen macht.

"Amerikanische Kapitalisten als Kriegstreiberverein - ist das noch kreative Freiheit oder schon Geschichtsklitterei?", sorgt sich Der Spiegel. "Was könnte da in den kommenden Folgen noch passieren, damit das Geschichtsbild der Serie nicht geprägt sein wird von revisionistischen Grübeleien!", zetert die Zeit. Bei der Springerpresse hält man die "angebliche Kriegs- und Rüstungsfinanzierung der Wehrmacht durch amerikanische Magnaten" für "so ziemlich das Dümmste, was in so einem Bereich, im fiktionalen Zeitgeschichtsfernsehen in den letzten Jahren ausgestrahlt ist."

Hitlers amerikanische Geschäftsfreunde

Tatsächlich ist das Drehbuch näher an der historischen Wahrheit, als es Guido Knopp und die Springerpresse erlauben. Rockefellers Standard Oil und Texaco lieferten Brennstoffe und Additive sogar noch nach Kriegseintritt der USA an Nazi-Deutschland aus. Deutsche U-Boote wurden heimlich sogar auf See vor Spanien mit US-amerikanischem Treibstoff aufgetankt.

Dass die Wall Street an der Aufrüstung des Dritten Reichs exzellent verdiente, machte 2003 die preisgekrönte ARD-Dokumentation "Hitlers amerikanische Geschäftsfreunde" einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Soweit in der ZDF-Serie ein solcher Kriegsgewinnler vom Präsidentenamt träumt, traf dies für die mit Nazi-Deutschland verstrickten US-Milliardäre Prescott Bush und Joseph Kennedy zu.

Hollywood

Die Bildungslücke der deutschen Journalisten ist schon deshalb erstaunlich, weil sogar das US-amerikanische Populärkino solches prominent thematisierte.

In "Indiana Jones - Der letzte Kreuzzug" (1989) sieht man einen New Yorker Milliardär "Donovan", der Indy erst entführen lässt, um ihn mit der Beschaffung des Heiligen Grals zu beauftragen, heimlich aber mit Hitler paktiert. Der Name spielt auf William "Wild Bill" Donovan an, einem ehemaligen General und Jurist, der während des Zweiten Weltkriegs mit einer Clique rechtskonservativer Milliardäre im Rockefeller Center den US-Geheimdienst "Office of Strategic Services (OSS)" gründete. Zur Ideologie des OSS gehörte neben dem aktuellen Feind vor allem die Bekämpfung des Kommunismus sowie Kontrolle über faktische Kolonien der Konzerne vor allem in Süd- und Mittelamerika. Donovan bot mit seinen OSS-Leuten bei den Nürnberger Prozessen seine Unterstützung an, bis Robert H. Jackson, Hauptanklagevertreter der USA, auffiel, dass Donovan in Wirklichkeit Verfahren gegen Nazis sabotierte.

Donovans Freunde hatten sich bis zum Angriff auf Pearl Harbour offen für Nazideutschland eingesetzt und versucht, die USA aus dem Krieg herauszuhalten. Etwa Henry Ford, der antisemitische Hetzschriften verlegte und sich mit hohen Auszeichnungen des Führers schmückte. Oder Verleger Henry Luce, dessen Time Magazin Hitler 1938 zum "Mann des Jahres" kürte. Und vor allem die Rockefellers, die das deutsche Ölgeschäft nahezu kontrollierten. Die Milliardäre wurden von der auf Auslandsgeschäft spezialisierten Anwaltskanzlei Sullivan & Cromwell koordiniert, deren Leitung den einflussreichen Republikanern John Foster Dulles und Allen Dulles oblag. Die Kanzlei hatte nach dem Ersten Weltkrieg den Wiederaufbau Deutschlands mit US-Anleihen ("Heidelberg Bonds") finanziert, und für eine deutschfreundliche Stimmung lobbyiert. Sie repräsentierte in den USA u.a. das deutsche Chemie-Kartell IG Farben. Zum Aufbau einer deutsch-freundlichen Stimmung setzte man deutsche Komponisten und Künstler auf den Spielplan.

William Joseph ('Wild Bill') Donovan, Head of the OSS. Bild: NARA

Auch im Kinofilm "Rocketeer" (1991) kämpft der gute Amerikaner gegen einen schlechten, den deutschfreundlichen Filmstar "Neville Sinclair". Diese Figur ist von Errol Flynn inspiriert, dem aufgrund einer Freundschaft mit einem rechten Österreicher Präferenzen zu Nazis nachgesagt wurden. Offen zu Deutschland bekannte sich hingegen Atlantiküberquerer Charles Lindbergh, der für das von den republikanischen Milliardären gegründete "America First Comitee (AFC)" auftrat, um eine Kriegsteilnahme der USA zu verhindern. 1941 ließ Lindbergh wissen, die Kriegstreiber seien "die Briten, die Juden und die Regierung Roosevelt". (An dieser Stelle wurde ein Satz über den Westernstar John Wayne entfernt, der Autor überprüft die Angaben. Anm. d. Red).

A Night at the Garden

Eine substantiierte Auseinandersetzung mit den amerikanischen Nazi-Milliardären blieb das US-Populärkino jedoch schuldig. Dafür thematisierte die 2019 für den Oscar nominierte Dokumentation "A Night at the Garden" eine 1939 durchgeführte Großveranstaltung des Amerikadeutschen Bunds, der in New York 20.000 US-Nazis im Reichsparteitagsstil empfing und Antisemitismus bediente, der damals auch in den USA durchaus salonfähig war.

Weniger bekannt ist, dass auch die Kanzlei Sullivan & Cromwell am 26.06.1940 eine Gala im Waldorf-Astoria ausrichtete, um mit der werten Mandantschaft den Sieg von Nazi-Deutschland über Frankreich und Polen zu feiern. So verdiente die Clique der Wall-Street-Milliardäre an der Produktion von Panzern, Lkws und Fliegern, für die in den zu General Motors gehörenden Opel-Werken in Rüsselsheim und Brandenburg und in den Kölner Ford-Werken gefertigt wurde, auch IBM und ITT verdienten an der deutschen Kriegswirtschaft. IG Farben und Rockefellers Standard Oil vereinbarten heimlich eine Fortsetzung der Zusammenarbeit sogar für den Fall eines Kriegs. Patente wurden an Standard Oil übertragen, damit diese im Kriegsfall weiterbestehen konnten.

Wenn der Spiegel schwadroniert, Hitler habe keine Anleihen bedient, offenbart dies naive Vorstellungen vom Kriegsgeschäft. Tatsächlich verdiente etwa General Motors prächtig an der deutschen Aufrüstung. Henry Ford hatte auch kein Problem mit Zwangsarbeitern. Den Geschäftsmännern boten die Investitionen in Deutschland auch bei Verlust steuerlich interessante Abschreibungsmöglichkeiten.

Auch der Kriegseintritt der USA erwies sich für die US-Tycoons als gutes Geschäft, denn die Kanzlei Sullivan & Cromwell hatte neben der Öl-Industrie auch die US-Stahlindustrie organisiert. General Motors ließ sich außerdem für die Bombardierung des Brandenburger Opel-Werks vom US-Steuerzahler mit 32 Millionen US-Dollar entschädigen. Ford, dessen Kölner Werke nahezu ausgespart wurden, bekam nur eine halbe Million, schon wegen zweifelhafter Berechnungsmethoden.

Unter der Wasseroberfläche

In der ZDF-Serie nun geht es um den Sohn eines Rüstungsunternehmers, der von Zürich aus heimliche Rüstungsgeschäfte machte. In einem zweiten Beitrag assoziiert Die Zeit mit dieser Figur den zwielichtigen Investmentbanker Prescott Sheldon Bush, offenbar belehrt durch einen Leserkommentar. Das Blatt erspart seinen Lesern allerdings den Hinweis, dass Familie Bush über ihre Beteiligung an der IG Farben auch an der Zwangsarbeit in Auschwitz mitverdiente. Bushs Vermögen wurde seinerzeit sogar wegen Handel mit dem Feind eingefroren. Doch nicht Bush war in der Schweiz in geheimer Mission unterwegs, sondern dessen Anwalt: Allen Dulles.

Prescott and Dorothy Bush 1952. Bild: NARA

Der Ex-Diplomat, der am Versailler Vertrag mitgewirkt hatte und mit deutschen Industriellen bestens vernetzt war, unterhielt als Mitarbeiter des neuen Geheimdienstes OSS in der eingeschlossenen Schweiz eine nur lässlich getarnte Anlaufstelle für Geschäftsleute und Spione. Während die Legende besagt, Dulles habe im Interesse der USA spioniert, ist es ein offenes Geheimnis, dass er für seine Mandanten das schmutzige Geschäft mit Nazi-Deutschland weiter betreute.

Hinter dem Rücken seines Präsidenten verhandelte Dulles heimlich mit Nazi-Größen über einen Separatfrieden, um mit Deutschland gegen Stalin zu marschieren. Die Vertuschung seiner Schweizer Geschäfte betrieb Dulles später bei den Nürnbergern Prozesses. Roosevelts Plan, Dulles wegen Verrats anzuklagen, starb mit dem Präsidenten. Als Schatzmeister der Republikaner finanzierte Dulles 1953 die Wahl von Eisenhower und kontrollierte die dunklen Geheimnisse der Wall Street in seiner neuen Funktion als CIA-Direktor (Das Schachspiel des Teufels) und faktischer Vorgesetzter des deutschen Geheimdienstgenerals Gehlen.

Die Bildungslücken der Spitzenjournalisten dürften auf einen weiteren Kriegsgewinnler zurückzuführen sein, nämlich John McCloy. Der einflussreiche Bankier, der in die Familie Adenauer eingeheiratet hatte, vergab fleißig US-Kredite an die deutsche und italienische Industrie und wohnte 1936 den Olympischen Spielen in der Loge des Führers bei. Nach dem Krieg half er als Hoher Kommissar nicht nur eifrig beim Vertuschen des peinlich gewordenen Deutschlandgeschäfts, sondern gründete mit seinen industriellen Vorkriegsfreunden auch den deutsch-amerikanischen Lobbyverein Atlantik-Brücke, das wichtigste Karriere-Sprungbrett für Politiker und Journalisten (Blinde Flecken in transatlantischer Loge).