Keiretsu-Killer Ghosn wirft japanischer Justiz Verschwörung vor

Carlos Ghosn, als er noch Nissan-Chef war. Foto: Norsk Elbilforening. Lizenz: CC BY 2.0

Der ehemalige Nissan- und Renault-Chef hat sich in den Libanon abgesetzt

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Gestern hielt der ehemalige Nissan- und Renault-Chef unter großer internationaler Medienaufmerksamkeit seine erste Pressekonferenz ab, seit er sich Ende Dezember in den Libanon absetzte (vgl. Ghosn aus Japan geflohen). Zu den genauen Umständen seiner Flucht wollte er dabei allerdings keine Auskünfte geben - angeblich, um die daran beteiligten Helfer zu schützen. So bleibt vorerst offen, ob er sich tatsächlich in einem Schrankkoffer für Musikinstrumente und Konzertanlagen aus dem Land fliegen ließ, ob ihm die französischen Behörden heimlich einen zweiten Pass ausstellten und wie viel Geld so eine Flucht in einem Privatjet kostet.

Stattdessen warf Ghosn der japanischen Justiz die Beteiligung an einer Verschwörung gegen ihn vor. An der seien neben Staatsanwälten und Nissan-Managern auch Politiker beteiligt, die ihn "loswerden" wollten, um eine stärkere Einflussnahme des französischen Staats auf den japanischen Konzern zu verhindern. Dabei nannte er zwar die Namen von Nissan-Managern wie Hiroto Saikawa, aber nicht die von Politikern. In diesem Zusammenhang ließ er durchblicken, dass er seine mutmaßliche Nichtauslieferung nach Japan gefährden würde, wenn er das täte.

Auch Ermittlungen in Frankreich

Eine Auslieferung Ghosns gilt Beobachtern aktuell als unwahrscheinlich, weil es kein entsprechendens Abkommen zwischen dem Libanon und Japan gibt und weil Ghosn außer über die französische und die brasilianische auch über die libanesische Staatsangehörigkeit verfügt. Offiziell bestätigte der libanesische Justizminister Albert Sarhan bislang allerdings lediglich, dass bei der Beiruter Generalstaatsanwaltschaft ein über Interpol geschicktes japanisches Gesuch einging, das nun geprüft werde.

Agnès Pannier-Runacher, eine Staatssekretärin im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium, versprach Ghosn dagegen, wenn er "nach Frankreich käme", dann würde man ihn "nicht ausliefern, denn Frankreich liefere "niemals seine eigenen Staatsangehörigen aus". Dass Ghosn als Ziel seiner Flucht aus Japan trotzdem den Libanon und nicht Frankreich wählte, könnte nicht nur mit der Luxusvilla zusammenhängen, die er in Beirut besitzt, sondern auch mit Ermittlungen in Frankreich, die im letzten Sommer gegen ihn eingeleitet wurden (vgl. Fall Ghosn: Frankreich schaltet die Justiz ein). Sie betreffen 50.000 Euro, die Renault zufolge eine "zusätzliche Prüfung" erfordern (vgl. Fall Ghosn: Renault schaltet Justiz ein).

Vorgänge sollen anderen Nissan-Managern mindestens ein Jahrzehnt lang bekannt gewesen sein

In Japan war Ghosn bereits am 19. November 2018 wegen des Verdachts auf Verstoß gegen Börsenauflagen festgenommen worden (vgl. Carlos Ghosn soll in Tokio festgenommen werden). Er soll Zahlungen an ihn nicht in vorgeschriebenem Umfang ausgewiesen haben (vgl. Japan klagt gegen Nissan und dessen Ex-Chef Ghosn). Darüber hinaus ist von einem Verstoß gegen Absprachevorschriften mit anderen Vorstandsmitgliedern und dem Decken privater Investitionsverluste mit Firmengeld die Rede.

All diese Vorwürfe weist der 65-Jährige zurück (vgl. Ghosn beteuert vor Gericht in Japan seine Unschuld). Sein Rechtsanwalt Junichiro Hironaka argumentiert, dass die den Vorwürfen zugrunde liegenden Vorgänge anderen Nissan-Managern mindestens ein Jahrzehnt lang bekannt sein mussten, weshalb es "sehr eigenartig" sei, dass die Fragen nicht bereits vorher firmenintern geklärt wurden.

Japanische Justizministerin Masako Mori weist Ghosns Vorwürfe,zurück

Außerdem beklagte sich Ghosn in der Pressekonferenz über die Haftbedingungen in Japan. Die Beschränkung auf zwei Duschen in der Woche, die er in diesem Zusammenhang nannte, wirkt allerdings nicht sonderlich eindrucksvoll, wenn man sie mit dem vergleicht, was Häftlingen in deutschen und amerikanischen Gefängnissen zustößt (vgl. Outsourcing von Folter und Fall Epstein: Journalisten, die fraglos an Selbstmord glauben). Dass man Untersuchungshäftlingen bedeutet, sie könnten ihre Lage nur durch ein Geständnis verbessern, kommt in anderen Ländern ebenfalls regelmäßig vor.

Die japanische Justizministerin Masako Mori wies Ghosns Vorwürfe zu den Haftbedingungen als "einseitig" und zu einer angeblichen Verschwörung als unbewiesen und unzutreffend zurück. Das Motiv, das Ghosn seinem Verschwörungsvorwurf zugrunde legt, ist allerdings nicht ganz abseitig: Der "Keiretsu-Killer", der Nissan nach dem Einstieg von Renault in den 1990er Jahren außer durch die Schließung von vier Werken und die Streichung von 21.000 Arbeitsplätzen auch durch die Kündigung von Zuliefererverträgen aus den roten Zahlen holte (vgl. Alles geht um Ghosn) war - vorsichtig formuliert - nicht bei allen Mitarbeitern seines Konzerns gleich beliebt.

Zudem hatte der jetzige französische Staatspräsident Emmanuel Macron noch als Wirtschaftsminister ein Gesetz erlassen, das das Gewicht der Anteile des französischen Staates an Renault faktisch verdoppelte und bei Nissan die Angst vor der Kontrolle durch einen europäischen Staat schürte (vgl. Nissan: Absage an Fusion mit Renault).

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