Warschau: "Tausend Roben" gegen "Maulkorbgesetz"

Bild: Jens Mattern

Rund 30.000 Menschen protestierten am Samstag unter dem Motto "Recht auf Unabhängigkeit, Recht auf Europa" gegen das sogenannte "Maulkorbgesetz"

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Mit dem "Maulkorbgesetz" will die polnische Regierung die Richter im Land disziplinieren. Richter und andere Juristen liefen erstmals in der polnischen Geschichte in Roben vom Obersten Gericht zum Sejm, dem Nationalen Parlament. Begleitet wurden sie von Richtern aus 22 europäischen Ländern und vielen polnischen Bürgern. Es sollte ein Schweigemarsch sein, doch ab und zu skandierte die Menge "Freie Gerichte".

"Die Polen sind Menschen, die die Freiheit lieben. Und die Freiheit können nur unabhängige Gerichte und unbefangene Richter der Republik Polen garantieren, europäische Richter", ruft Waldemar Zurek, ein Mann in Robe Richtung Warschauer Präsidentenpalast von einem Lastwagen mit Lautsprechern. Hinter ihm befindet sich ein Demonstrationszug mit Europafahnen. Den Anfang machen Menschen in Roben, einige halten auf Englisch die Namen ihrer Herkunftsländer hoch: "Estonia", "Germany", "Ireland".

Initiiert wurde der Protest von der polnischen Richtervereinigung "Iustitia" sowie weiteren Organisationen. "Die Politiker wollen Einfluss haben, welche Urteile die Richter fällen, das ist der wichtigste Punkt", meint Bartolomej Przymusinski, Pressesprecher der Vereinigung auf Anfrage zu dem Gesetz, das im Sejm bereits verabschiedet wurde.

Dieses Gesetz sieht vor, dass Richter dafür verurteilt werden, wenn sie untersuchen, ob ein anderer Richter rechtgemäss berufen wurde. Wir rechnen mit der Solidarität anderer Länder. Der politische Einfluss auf die Gerichte ist eine Krankheit, wenn diese nicht aufgehalten wird, dann kann sie sich in ganz Europa verbreiten.

Bartolomej Przymusinsk

Die Novelle ist eine Gegenmaßnahme der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) zum Urteil des Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dieses hatte im Herbst das Oberste Gericht in Warschau beauftragt zu untersuchen, ob die Nominierung von Richtern in der "Disziplinarkammer" und dem "Landesrichterrat" rechtmäßig wäre (Heute die Richter, morgen Du).

Die beiden Organe gelten als wichtige Instrumente der Justizreform, die die Gewaltenteilung aushebeln will, das Oberste Gericht hingegen kann relativ unabhängig agieren.

Die Ansprache des Krakauer Richters Waldemar Zurek war darum an den Präsidenten Andrzej Duda gerichtet. Denn dieser wird aller Voraussicht nach das Gesetz bald unterschreiben. "Heuchelei" warf das Staatsoberhaupt den protestierenden Richtern vor, schließlich gab es eine Selbstverpflichtung der Richter, an Demonstrationen nicht teilzunehmen. Diese verteidigten sich mit den "außerodentlichen" Umständen.

Für das Regierungslager sind die meisten der protestierenden Richter "Postkommunisten", was die Entmachtung von Gerichten und Disziplinierung und Degradierung von Richtern rechtfertige. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte jüngst in einem Interview mit der "Welt", dass die kommunistischen Richter in den Neunziger Jahren ihre Nachfolger geschult hätten.

Wer in diese zweifelhaft erstellte Kategorie fällt, der erfährt Druck. Gegen den Richter und Rechtsprofessor Krystian Markiewicz, den Vorsitzenden der Vereinigung "Iustitia", sind nach eigenen Aussagen bereits 60 Disziplinarverfahren im Gange.

Protest von Regierungsanhängern

Druck gab es auch auf der Straße. Die Wut einiger hundert Regierungsanhänger entlud sich dann in Rempeleien, Beschimpfungen wie "Diebe" an Journalisten und Juristen, die zur Pressekonferenz im Obersten Gericht vor dem Marsch wollten.

Eugeniusz Piotrowski, Rentner, und ehemaliger Schleifer, der ein Schild "Kaste raus" (gemeint sind die Richter) vor sich hielt, war gesprächsbereit: "Die PiS hätte in unserem Land längst für Ordnung gesorgt, wenn sie (die Richter) nicht wären." Noch 700 Richter wären aktiv, die beim Kriegszustand 1981 im Amt gewesen seien, als die kommunistische Führung die Solidarnosc verbot und Militär auf die Straßen sandte. Es ist das alte Hadern damit, dass es nach 1989 keine wirkliche Aufrechnung mit kommunistischen Verbrechen gegeben hat.

Eugeniusz Piotrowski. Bild: Jens Mattern

Der rechte Flügel der Massenbewegung und Gewerkschaft Solidarnosc unterstützt heute die Regierung und er will, dies sagen auch seine Transparente, keine Einmischung von außen - gemeint ist auch die EU.

José Igreja Matos wird darum diese Menschen nicht erreichen. Der Präsident der Europäischen Richtervereinigung erklärte im Eingangsbereich des Obersten Gerichts: "Das ist kein Problem eines Landes, das ist ein europäisches Problem."

Bild: Jens Mattern

Anwesend war auch der Türke Yavuz Aydin, der als anerkannter Flüchtling in Belgien lebt: "Ich schlief als Richter ein und wachte als Terrorist auf", kommentierte er die Säuberungen gegen die Richter in der Türkei im Jahre 2016 und appellierte eindringlich an die Polen, für ihre Unabhängigkeit zu streiten.

Dazu gehört Stanislaw Debowski, ein älterer Herr, einst Solidarnosc-Mitgründer in Biala Podlaska, einer Mittelstadt in Ostpolen. "Die EU-Gesetze wurden unterschrieben, an die sollte man sich halten", meint er und hält bereitwillig seine Europafahne in die Kamera. Ihn treibt die Sorge um, dass Polen langfristig aus der Europäischen Union ausgeschlossen werden könne. Aufgrund der Eingriffe in das Justizsystem hat die EU-Kommission bereits mehrere Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen laufen.

Ob sich die politische Führung in Warschau von der Demonstration beeindrucken ließ, ist noch offen. Wichtig ist für den Parteichef Jaroslaw Kaczynski, dass der zumeist loyale Andrzej Duda erneut das Präsidentenamt behalten kann, die Wahlen sind im Frühjahr angesetzt. Bis dahin wird die PiS von zu radikalen Schritten vielleicht Abstand halten.

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