Soleimani war kein iranischer Che Guevara

Screenshot Video: Khamenei.ir/CC BY 4.0

Im Irak und Iran wird den Strategien der iranischen Hegemonie auch von Trump-Gegnern keine Träne nachgeweint

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So schnell kann sich das politische Szenario ändern. Noch vor einer Woche schlagzeilten nicht wenige Medien, nun habe Trump mit der Tötung des iranischen Generals Soleimani einen großen Krieg mit unabsehbaren Folgen ausgelöst. Manche mutmaßten schon, dass er damit von innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken wollte.

Dann kam das große Erstaunen, dass es den Krieg nicht gibt. Dabei müsste sich doch rumgesprochen haben, dass Trump eher der isolationistischen Strömung in den USA angehört und die Wahl unter anderem mit dem Versprechen gewonnen hat, US-Truppen zurückzuholen. Er würde sich wohl vor den Wahlen eher innenpolitische Schwierigkeiten bereiten, wenn er jetzt einen großen Krieg beginnen würde. Aber auch die Isolationisten verzichten nicht auf gezielte Maßnahmen unterhalb eines Krieges. Der Drohnenangriff auf Soleimani und dessen Begleiter war eine solche Maßnahme.

Für einige Tage schien es, als hätte Trump keinen Krieg zu verantworten, doch der Angriff schien für Friedhofsruhe im Iran und im Irak gesorgt zu haben. Vom Regime gelenkte Aufmärsche mit martialischen Aufrufen und Parolen dominierten die Öffentlichkeit und es schien, dass auch ein Großteil der hiesigen Medien sie unhinterfragt übernommen hat. Vielleicht war da doch die Versuchung zu groß, sich wieder mal in Antiamerikanismus zu üben und Trump macht es ja da ja auch nicht schwer.

Dabei wurde vergessen, dass auch manche, die nun wirklich keine Trump-Anhänger sind, den Tod Soleimanis nicht betrauerten. Dazu gehörte beispielsweise eine kleine Gruppe israelsolidarischer Menschen, die in Berlin-Neukölln eine Protestkundgebung gegen eine islamistische Trauerfreier für Soleimani organisiert hat.

Kein nationalistischer Schulterschluss im Iran

Doch die wohl positivste Nachricht kommt aus dem Iran selber. Dass sich nur wenige Tage nach dem vom Regime organisierten Trauermärschen, die die islamistische Volksgemeinschaft dokumentieren sollten, Menschen klar gegen die Verantwortlichen der Islamischen Republik engagieren, zeugt von viel Mut und Selbstvertrauen der Aktivisten.

Die Führung in Teheran hat bekanntlich in ihrer über 40-jährigen Geschichte immer wieder gezeigt, wie sie mit Oppositionellen umgeht. Die Massenmorde an wehrlosen politischen Gefangenen während des Iran-Irak-Krieges sind ebenso ein Beispiel dafür, wie die Morde an Oppositionellen oft auch im Ausland, die die Geschichte der iranischen Republik begleiten. In Zeiten der nationalen Mobilisierung ist die Gefahr für die Oppositionellen besonders hoch.

Dass jetzt trotzdem die Proteste ausgebrochen sind, zeigt auch, dass das Regime längst nicht so fest im Sattel sitzt, wie auch manche Kommentatoren in unseren Medien suggerieren. Natürlich wäre es verfrüht, schon vom Ende der Islamischen Republik auszugehen. Gerade weil die Verantwortlichen wissen, was sie zu verlieren haben, werden sie sich mit allen Mitteln versuchen an der Macht zu halten und dafür wie in der Vergangenheit auch über Leichen gehen.

Flugzeugabsturz nur der Aufhänger der Proteste

Nun wird oft der schnelle Aufschwung der Proteste mit dem Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine in Verbindung gebracht, was sicher nicht ganz falsch ist. Das Regime hat in dem Fall einmal die totale Menschenverachtung gepaart mit politischer Unfähigkeit demonstriert. Schließlich wurde noch steif und fest von den Regimemedien behauptet, ein Abschuss des Flugzeugs sei gar nicht möglich gewesen, als schon längst Beweise für das Gegenteil vorlagen.

Dass nun das Regime den Abschuss zugeben musste, wurde von den kritischen Teilen der iranischen Bevölkerung als Affront angesehen. Dass sie vom Regime belogen wurde, gehört zu ihrem Alltag. Dass es jetzt eine relevante Gruppe nicht mehr hinnehmen will, ist das Erstaunliche und Erfreuliche. Es zeigt, dass dem Regime eine islamistisch-nationale Mobilisierung nicht mehr so ohne Weiteres gelingen kann. Das hat eine Vorgeschichte, die lange vor dem Flugzeugabsturz beginnt. So gab es im Herbst 2019 in mehreren iranischen Städten Demonstrationen, die sich explizit gegen den Expansionismus des Landes wandten.

In einem Solidaritätsaufruf für die Proteste von Mitte November 2019 heißt es:

Populäre Slogans richten sich gegen die terroristisch-antisemitische Expansionspolitik, die Unterstützung für die Terrororganisationen Hamas und den Islamischen Djihad in Gaza: "Unser Geld ist verloren, es wurde für Palästina ausgegeben" oder "Nein zu Gaza, nein zu Libanon, mein Leben für den Iran."

Stop the Bomb

Damit richteten sich die Demonstranten explizit gegen Soleimani, der der Stratege des iranischen Hegemoniestrebens war. Es ist daher höchst geschichtsvergessen, wenn in manchen hiesigen Medien der Eindruck erweckt wurde, der ganze Iran trauere um den getöteten General.

Soleimani für Terror gegen irakische Opposition verantwortlich

Aber nicht nur im Iran weinen viele Soleimani keine Träne nach. Die irakische Protestbewegung, die sich in den letzten Wochen gegen die immer unverhohlenere Einmischung des Iran wandte, hatten den General direkt zum Feind. Der bekannte britische Kriegsreporter Patrick Cockburn schreibt in der Dezember-Ausgabe von Le Monde Diplomatique:

Soleimani war am 2. Oktober in Bagdad gelandet und wurde vom Flughafen mit einem Hubschrauber in die Grüne Zone geflogen, um eine Sitzung des Sicherheitskabinetts zu leiten. Da diese Rolle eigentlich dem irakischen Regierungschef zusteht, handelte es sich um eine überaus krude Demonstration der Macht, die Teheran im Irak ausübt - oder auch ihrer Arroganz der Macht. Als Architekt der regionalen Sicherheitspolitik Teherans ist Soleimani entschlossen, die Einflussmöglichkeiten seines Landes mit allen Mitteln zu erhalten. (…)

Patrick Cockburn, Le Monde Diplomatique

Zudem wird Soleimani für die Zunahme der Repression gegen irakische Oppositionelle verantwortlich gemacht. Darüber berichtet Cockburn in Le Monde Diplomatique:

Um eine weitere Mobilisierung zu verhindern, kappte die Regierung den Zugang zum Internet, was aber nur dazu führte, dass überall in Bagdad kleinere Protestaktionen aufflammten. Meine Kontaktperson in der Medical City schilderte mir, wie proiranische schiitische Milizen in sein Krankenhaus eindrangen und verletzte Demonstranten aus den Betten zerrten und verprügelten. Als er sich bei einem der paramilitärischen Kommandeure beschwerte, bekam er einen Hieb mit dem Schlagstock und die Anweisung, sich nicht einzumischen.

Weil auch die lokalen Medien über die Proteste berichteten, drangen Mitglieder einer proiranischen Gruppe namens Saraya Talia al-Khurasani in mehrere Fernsehstationen ein und demolierten die Sendestudios. Auf den Straßen schoss die Bereitschaftspolizei ihre schweren Tränengasgranaten direkt in die Menschenmenge, was zu zahlreichen schweren und teils tödlichen Verletzungen führte.

Nach Aussagen eines Chirurgen waren viele der Verletzten, die er versorgte, durch gezielte Schüsse auf Kopf und Brust verwundet worden. Die Regierung erklärte zwar, solche Schüsse seien verboten und würden nicht mehr vorkommen, aber sie hatte offensichtlich die Kontrolle über die Sicherheitskräfte verloren. Der exzessive Einsatz von Gewalt erwies sich als kontraproduktiv, denn die Demonstrationen wurden von Tag zu Tag größer. Aber offensichtlich hatte sich die höchste Befehlsinstanz bewusst für das harte Vorgehen entschieden.

Patrick Cockburn, Le Monde Diplomatique

Diese höchste Instanz war Soleimani, der mit den Worten in der Le Monde Diplomatique zitiert wird:

"In Iran hatten wir so was auch, und wir haben es unter Kontrolle bekommen", wurde Soleimani zitiert. Damit meinte er wohl die Niederschlagung der "Grünen Bewegung", die 2009 im Vorfeld der iranischen Präsidentschaftswahlen aktiv geworden war.

Patrick Cockburn, Le Monde Diplomatique

Es wäre der größte Sieg über das von Soleimani verkörperte System, wenn sein Tod die Proteste noch verstärken würde. Zumindest hat sich die vom iranischen Regime verbreitete Propaganda über den nationalen Schulterschluss nach dem Tod von Soleimani schon in der Realität blamiert.

Vor allem Linke sollten bei aller berechtigten Kritik an der Politik von Trump nicht die Augen davor verschließen, dass in der Islamischen Republik Linke und Feministinnen verfolgt und Homosexuelle aufgehängt werden. Sie sollten nicht CSU-Politikern überlassen, die bittere Wahrheit auszusprechen. Und sie sollten aus einem Soleimani nicht einen iranischen Che Guevara machen.