Libyen: Milizen sollen entwaffnet werden

Außenminister Maas bei Khalifa Haftar. Screenshot eines PR-Videos der LNA.

Berliner Konferenz will dafür sorgen, dass Libyen nicht das "nächste Syrien" wird

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Geschätzt 2.000 islamistische Milizenkämpfer aus Syrien sollen sich gegenwärtig in Libyen aufhalten. Eine Zahl, die weitaus höher liegt als bisherige Schätzungen. Auch aus Idlib sollen sie gekommen sein, über die Türkei.

Nach Informationen des Guardian, der sich auf Quellen innerhalb der Milizenallianz Syrische Nationale Armee stützt, haben die Milizenkämpfer 6-Monats-Verträge direkt mit der libyschen Einheitsregierung abgeschlossen - "nicht mit der türkischen Armee". Der Sold soll bei umgerechnet beachtlichen 2.000 Dollar im Monat liegen.

In Aussicht gestellt wurde ihnen darüber hinaus die türkische Staatbürgerschaft und die Übernahme der medizinischen Behandlung im Fall, dass sie verwundet werden.

Nun kann man die Quellen anzweifeln, Aussagen aus Milizenkreisen sind nicht unbedingt verlässlich, doch hat auch der jordanische König Abdullah kürzlich in einem Interview mit France 24 davon gesprochen, dass "mehrere Tausend Hardcore-Kämpfer, 'foreign fighters', Idlib über die Nordgrenze verlassen haben und in Libyen angelangt sind". Die Türkei habe sie geschickt. "Das wird nur noch mehr Unruhe und Verwirrung stiften."

Auch König Abdullah mag sich nicht unbedingt durch eine präzise Wiedergabe der Realität auszeichnen, wie ihm Kritiker vorhalten, dass es ein Problem mit den syrischen Islamisten/Dschihadisten in Libyen gibt, wird jedoch beispielsweise an der Reaktion der Stämme im Süden und Osten Libyens sichtbar. Sie rufen zu einer Schließung der Ölanlagen im Land auf. Weil sie nicht einsehen, dass libysches Geld für Söldner aus Syrien ausgegeben wird.

Erdogan: "Wir schicken unsere Truppen nach Libyen"

Wie auf den Protest der Stämme reagiert wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Aufregung ist ein Exempel dafür, welche Folgen die Einmischung der Türkei birgt. Der Einsatz von ausländischen Truppen mobilisiert Widerstand in Libyen. Gestern hat der türkische Präsident Erdogan angekündigt, dass "wir unsere Truppen nach Libyen schicken, um die legitime Regierung zu bewahren und Stabilität gewährleisten".

Wie viele Mitglieder des türkischen Militärs nach Libyen geschickt werden oder schon dort sind, darüber gibt es noch keine genauen Auskünfte. Wie so viele andere Hintergrundgeschehnisse im nordafrikanischen Krisenland wird dies nicht offen übermittelt.

Klar ist nach Auffassung von Experten, dass die Türkei mit ihren Drohnen und anderen Waffen der Luftwaffe ihres Gegners, der LNA unter Befehl von Khalifa Haftar, schwerste Schäden zufügen kann und sie lahmlegen könnte, was die militärische Schlagkraft der LNA mehr oder weniger ausschalten würde.

Dass die Türkei nicht so einfach zu dieser militärischen Lösung greift, hat mit dem politischen Räderwerk zu tun, das zu den Konflikten in Libyen gehört. Die Türkei kann keinen Solo-Akt unternehmen. Dagegen stehen zum Beispiel die Interessen Russlands, wo es zwar Unterstützung für die GNA und die Türkei gibt, aber auch für die gegnerische Partei unter Leitung Haftars.

Auch Ägypten, das Haftar unterstützt und dessen Führung verstehen ließ, dass die seit Ende vergangenen Jahres offizielle Militärhilfe der Türkei für die GNA einer "Kriegserklärung" ziemlich nahe kommt, weicht auf "Nebenschauplätze" aus. Büros der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Agency in Kairo wurden verwüstet.

Erwähnenswert ist auch, dass Feldmarschall Haftar gestern eine Reise nach Athen unternommen hat. Der griechische Regierungschef nahm dies zum Anlass, um noch einmal seine Gegnerschaft zum maritimen Abkommen zwischen der Türkei und der libyschen Einheitsregierung zu erklären - dabei geht es um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Die Türkei macht mit diesem Abkommen ihre Ansprüche in Zusammenarbeit mit der libyschen GNA-Regierung geltend, die EU lehnt dies ebenso ab wie die Republik Zypern und Israel.

Berlin lädt groß ein (aber nicht Griechenland)

Der griechische Premier kündigte an, dass er gegebenen Umständen einer EU-Friedensabmachung für Libyen nicht zustimmen werde: "Einfach gesagt, wir werden unser Veto einlegen". Dem setzte er hinzu: "Es war ein Fehler, dass wir nicht (zur Berliner Konferenz, Anm. d. A) eingeladen wurden."

Man sieht, die Rahmenbedingungen für die Berliner Konferenz zu Libyen sind kompliziert und weitgefasst. Davon zeugt auch die lange Liste der Eingeladenen, unter denen sich Griechenland gerne befunden hätte:

USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Vereinigte Arabische Emirate, Türkei, Republik Kongo, Italien, Ägypten, Algerien, sowie die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Afrikanische Union und die Arabische Liga. Darüber hinaus werden der libysche Premierminister Fayez Al Sarraj und General Chalifa Haftar ebenfalls nach Berlin eingeladen.

Bundesregierung

Am Ende, so das Ziel der Konferenz, die an diesem Wochenende stattfindet, soll ein Fahrplan für den "politischen Prozess" in Libyen stehen. Als Kernpunkt wird ein Prozess herausgehoben, der zur Entwaffnung der Milizen führen soll. Dafür soll ein Überwachungsmechanismus eingerichtet werden, die nach bisherigem Stand, mit Offizieren der beiden gegnerischen Lager bestückt werden soll.

Ein politischer Fahrplan für Libyen

Anhand der Erfahrungen der letzten Jahre in Libyen sind Beobachter skeptisch, ob die Konferenz den Abstand zwischen einer komplizierten Realität am Boden und den aufgestellten Zielvorgaben überbrücken kann. Zur unübersichtlichen Realität gehören, wie oben nur grob skizziert, die vielen verwickelten Parteien, die Interesse an Libyen haben, inländische wie ausländische, angefangen von Stämmen, lokalen und regionalen Interessen von Milizen über starke Regionalmächte, die Türkei und die Vereinigten Emirate bis hin zu den Großmächten USA und Russland.

Gestern meldete der deutsche Außenminister Maas einen Auftakterfolg. Er besuchte Khalifa Haftar in dessen Hauptquartier im libyschen Bengasi und der starke Mann des international anerkannten Parlaments im Osten Libyens erklärte sich zu einem Waffenstillstand bereit. Wie verlässlich dieser ist und wie lange er halten wird, ist die Crux, mit der auch die Abmachungen der Konferenz zu tun haben werden.

Immerhin, die Skepsis der Libyen-Experten wird durch einen Faktor relativiert. In Berlin werden hochrangige Gäste erwartet, etwa der US-Außenminister Pompeo und sein russischer Kollege Lawrow, diese könnten für relevante Vereinbarungen sorgen und damit für eine Schritt sorgen, der politische Lösungen im Wert steigen lässt, so die - eingeschränkte - Hoffnung von Experten, die mit der großen Aufmerksamkeit begründet wird, die der Konferenz über ihre Teilnehmer zukommt.

Allerdings dürften Zusagen auch wieder verblassen, wenn die Konferenz und Libyen wieder aus der Aufmerksamkeit verschwunden sind.

Das Ziel der deutschen Regierung lautet, "den Strom von Waffen und Kämpfern aus dem Ausland stoppen". Nach allem, was etwa über das "Engagement" und die Interessen der Türkei oder anderseits der Vereinigten Arabischen Emirate bekannt ist - sowie über die mächtigen ideologischen Unterströmungen, mit denen beide Länder verbunden sind (plakativ gesagt: Parteinahme für oder gegen die Muslimbrüder) -, liegt das Ziel in weiter Ferne.