Rentensteuer "weit entfernt von jeder Vorstellung von Gerechtigkeit"

Grafik: TP

Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands kritisiert die Praxis als "existenzgefährdend"

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Mitte der Nullerjahre hinterließ die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder ein Gesetz, dessen Auswirkungen erst nach und nach spürbar werden: Eine Steuerpflicht auf Renten, die 15 Jahre später etwa fünf Millionen alte Menschen betrifft. 2020 müssen nämlich bereits 80 Prozent der Rente versteuert werden - und der Anteil steigt weiter.

Im November offenbarte Egmont Kulosa, der für "Alterseinkünfte und -vorsorge" zuständige Richter am Bundesfinanzhof (BFH), dass er diese Besteuerung für "evident verfassungswidrig" hält (vgl. Hält die deutsche Rentenbesteuerung?). Seiner Ansicht nach werden dadurch nämlich viele Rentner doppelt besteuert, weil sie die für die Rente aufgewendeten Vorsorgeleistungen nur sehr begrenzt von der Steuer absetzen durften und dürfen.

Erste Klage anhängig

Etwa gleichzeitig fand die Süddeutsche Zeitung heraus, dass Bert Rürup, der seinen Namen für den Rentenumbau hergab, bereits 2007 in einem zusammen mit dem damaligen Rentenversicherungschef Herbert Rische verfassten Brief an den damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und den damaligen Bundeswirtschaftsminister Franz Müntefering warnte, "die Übergangsregelung des Alterseinkünftegesetzes [verstoße] bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung". Eine Änderung der Regeln, die Rürup und Rische deshalb forderten, blieb jedoch bislang aus.

Nun ist beim Bundesfinanzhof in München die erste Klage gegen diese Rentenbesteuerung anhängig. Eingelegt hat sie ein früher einmal angestellter Mediziner. Das Steuerproblem gegen das er klagt, betrifft aber bei weitem nicht nur Ärzte, wie Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, im Handelsblatt vorrechnet, weil auch Personen "mit einer Rente unterhalb der Armutsschwelle Einkommensteuer zahlen müssen".

Problem Grundfreibetrag

Das, so Bentele, sei nicht nur "weit entfernt von jeder Vorstellung von Gerechtigkeit", sondern auch "existenzgefährdend". Sie fordert deshalb eine Erhöhung des aktuell bei 9.408 Euro liegenden steuerlichen Grundfreibetrages auf wenigstens 12.600 Euro jährlich. Dass Rentner den aktuellen Grundfreibetrag als problematisch niedrig empfinden, zeigen auch Äußerungen in Leserzuschriften und Sozialen Medien. Besonders großen Ärger erregt in diesem Zusammenhand das Finanzamt im mecklenburgischen Neubrandenburg, dem die Zuständigkeit für Rentner übertragen wurde, die ihren Wohnsitz im Ausland haben.

Die Selbsthilfegruppe Rentner im Ausland (RIA) weltweit wirft diesem Finanzamt vor, den Grundfreibetrag "nicht von dem zu versteuernden Einkommen abzuziehen, sondern aufzuschlagen". So kämen dann Fälle zustande, bei denen ein Ruheständler mit durchschnittlich 725 Euro Monatsrente in der Zeit zwischen 2007 und August 2019 10.677,60 Euro Steuer und 1.762 Euro Säumniszuschlag nachzahlen soll. Auf Anfrage von Telepolis wies das Finanzministerium von Mecklenburg-Vorpommern einen Nichtabzug des Grundfreibetrages für Rentner im Inland zurück, räumte aber ein, dass für Rentner im Ausland "komplizierte" Abkommen gelten könnten.

"Steuerlast auch bei Verlusten"

Bürgern, die angesichts solcher Probleme versuchen, sich auf dem Finanzmarkt für das Alter abzusichern, dürfen Verluste nach dem Inkrafttreten einer kurz vor Weihnachten verabschiedeten Änderung des Einkommensteuergesetzes nur noch in Höhe von 10.000 Euro steuerlich mit Gewinnen verrechnen. Der Finanzmarktexperten Jan Kellerhoff kritisiert das als "Abkehr vom Netto-Prinzip und der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit": "Während auf der einen Seite durch die BaFin die Nachschusspflicht für Privatpersonen verboten wurde, zum Schutz dieser", bewirke "die kommende Regelung des EStG eben genau diese gegenüber dem Staat […]", der "Risiken unkalkulierbar" mache, indem er "eine enorme Steuerlast auch bei Verlusten" erlaubt.

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