Norwegen: IS-Rückkehrerin sprengt Regierungskoalition

Siv Jensen und Erna Solberg. Bild (von 2013): Eirik Helland Urke / Nordiske Mediedager / CC BY-SA 2.0

Eine Frau mit zwei Kindern, die am Samstag auf dem Flughafen in Oslo ankam, brachte Norwegens Regierungskoalition am Montag zum Scheitern

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"Insgesamt gibt es für die Fortschrittspartei keine Grundlage mehr, um die Regierungskoalition fortzusetzen", so Siv Jensen, Chefin der rechtspopulistischen Partei, auf einer Pressekonferenz in Oslo.

Denn Erna Solberg, Ministerpräsidentin und Vorsitzende der Konservativen (Høyre), setzte die Rückführung einer 29-jährigen mit pakistanischer Herkunft und norwegischer Staatsangehörigkeit samt ihrer Kinder aus einem Lager in Syrien durch, da eines der Kinder schwer krank sei. "Wir hätten die Kinder willkommen heißen können, aber wir gehen keine Kompromisse mit Menschen ein, die sich an terroristischen Organisationen beteiligt haben", so die FrP-Vorsitzende Jensen.

Nach norwegischem Recht hätten allein die Kinder das Recht auf organisierte Rückreise gehabt. Die Witwe, die mit zwei IS-Kämpfern verheiratet war und Norwegen 2013 verlassen hatte, wollte die Kinder jedoch nicht allein reisen lassen. Der zweifachen Mutter, die vergangenen Samstag in Oslo eintraf, wird die Mitgliedschaft zu den Terrororganisationen "Islamischer Staat" sowie "al-Nusra-Front", einem al- Qaida-Ableger, vorgeworfen. Zudem war ihr erster Gatte Bastian Vaquez, einer der berüchtigtsten Islamisten Norwegens, der Propagandavideos drehte und 2015 in Syrien umkam.

Sie war die einzige der fünf norwegischen Staatsbürgerinnen in Syrien, die einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Als die Bewilligung Anfang der vergangenen Woche bekannt wurde, gingen vor allem die regionalen Kader der Fortschrittspartei (FrP) auf die Barrikaden, da sie sich auch von der eigenen Partei hintergangen fühlten.

Moralisches Dilemma und Sicherheitsbedürfnis

Denn Minister der Fortschrittspartei wussten über den Beschluss der Regierung schon seit einem geheimen Abkommen im Oktober Bescheid und hatten dies nicht mitgeteilt. Ministerpräsidentin Solberg betonte vergangene Woche, man habe das "moralische Dilemma" "moralisch korrekt" gelöst. Vertreter der Fortschrittspartei warfen ihr dagegen vor, man würde das Sicherheitsbedürfnis der Norweger nicht ernst nehmen. Gleichzeitig sahen sich die Parteimitglieder der Konservativen mit dem Vorwurf konfrontiert, sie hätten keine Moral.

Die 1973 gegründete Fortschrittspartei steht für eine Eindämmung der Einwanderung und für eine härtere Gangart gegenüber kriminellen Migranten wie gegen Islamisten. Nun sahen sich viele führenden Politiker der sich auch als "libertär" bezeichneten Partei von einer "Terroristin" erpresst.

Dem "Genug ist Genug"-Tenor, der auch in den sozialen Netzwerken brodelte, gab Jensen, die als Finanzministerin wirkte, am Freitag erstmals nach, indem sie Solberg einen Forderungskatalog überreichte. Doch als am Wochenende neun prominente Abgeordnete der Partei ein Austreten aus der Regierung forderten, erklärte Jensen nach Gesprächen mit Solberg und einer Telefonkonferenz mit Parteikadern schließlich den Rücktritt. In dem konsensbewussten Land ist es das erste Mal, dass eine Partei aus der Koalition ausschert. Die zweite Regierung Solberg wurde Anfang 2018 gebildet.

Minderheitsregierung ist nun noch kleiner

Regierungschefin Erna Solberg, die auch Vorsitzende der Konservativen ist, kündigte an, die Regierung mit den kleineren Partnern "Christliche Volkspartei" und der sozialliberalen "Venster" weiter als noch kleinere Minderheitsregierung führen zu wollen und bat die Fortschrittspartei weiterhin um Zusammenarbeit im Parlament. Ein Gelingen dieser Konstellation bezweifelt Jonas Gahr Støre, Vorsitzender der norwegischen Sozialdemokraten. Der Politiker warnte vor einem "Chaos der Bürgerlichen" und einer handlungsunfähigen Regierung. Durch den Einfluss der Fortschrittspartei hätte das Sozialsystem in Norwegen gelitten.

Die 50-jährige Jensen, die gerne robust auftritt, erklärte, sie akzeptiere wie ihre Partei Solberg weiterhin als Ministerpräsidentin. Ob die noch kleinere Minderheitsregierung von Solberg tragfähig bleibt, ist somit noch offen.

Denn die einwanderungsskeptische Fortschrittspartei litt unter den Kompromissen, die in der seit 2018 bestehenden Koalition mit den kleineren Christdemokraten und den Sozialliberalen geschlossen werden mussten. Erhielt sie noch 2017 knapp 16 Prozent der Wahlwilligen, lag sie in letzten Umfragen bei 11 Prozent.

Hardliner der Partei mussten sich zurücknehmen, beziehungsweise zurücktreten. So die damalige Justizministerin Sylvi Listhaug, die 2018 vorschlug, Terrorverdächtigen und IS-Rückkehrern umgehend die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Als sie dann auf Kritik der Sozialdemokraten unverhältnismäßig zurückkeilte, musste sie von ihrem Amt zurücktreten.

Insgesamt war die Fortschrittspartei über sechs Jahre an der Regierung Solberg beteiligt, mit deren Partei "Die Konservativen" sie bis 2017 alleine regierte. Sollten keine Neuwahlen anstehen, wird der Storting, das Parlament, erst 2021 gewählt. Die Minderheitsregierung von Solberg hat nur 61 der 169 Sitze im Parlament, Neuwahlen sind nach norwegischer Verfassung nicht vorgesehen.

Jensen: Jetzt für eine "härtere und deutlicher akzentuierte Politik"

Jensen will bis zu den nächsten Wahlen eine "härtere und deutlicher akzentuierte Politik", wie sie gegenüber dem norwegischen Staatsfernsehen NRK ankündigte. Die FrP hat wirtschaftsliberale Wurzeln und war als Opposition zum norwegischen Wohlfahrtsstaat gegründet worden, brachte jedoch seit den 1980er Jahren auch ausländerfeindliche Töne zum Ausdruck.

Im Jahre 2011 geriet sie in Verruf, da der Rechtsextreme Anders Breivit, der Attentäter, der in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordete, eine Zeit lang Mitglied der Fortschrittspartei war. Darauf mäßigte die impulsive Jensen ihren Tonfall und wurde mit ihrer Partei als Koalitionspartner tragfähig. Die studierte Ökonomin und bekennende Thatcher-Anhängerin führt die Partei seit 2006 und wird nun wieder zu bekannter Lautstärke zurückfinden.