Piñera ist der schlechteste Präsident in der Geschichte Chiles

Bild: INDH Chile

Neoliberale Politik und Staatsterror lassen Zustimmung auf sechs Prozent sinken. Bundesregierung schickt weiter Polizeiausbilder

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Die Unterstützung für die Regierung des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera ist nach monatelangen Protesten auf ein Minimum von sechs Prozent gesunken. Ein schlechteres Ergebnis hat in der Geschichte der chilenischen Republik noch kein Präsident erreicht. Das geht aus einer unlängst veröffentlichten Umfrage der chilenischen Denkfabrik Centro de Estudios Políticos (CEP) hervor. Selbst unter Anhängern der rechten Parteien oder des Mitte-rechts-Lagers findet Piñera demnach nur noch eine Zustimmung von gut 23,3 Prozent. Im Vergleich mit den Werten vom Mai vergangenen Jahres bedeutet das für Piñera einen Einbruch von 43 Prozent. Die Ablehnung der amtierenden rechtskonservativen Regierung ist auf 82 Prozent hochgeschnellt.

Mitte Oktober vergangenen Jahres war es in Chile zu spontanen Demonstrationen gegen die vierte U-Bahn-Preiserhöhung innerhalb weniger Monate gekommen. Die Proteste entwickelten sich rasch zu einem Flächenbrand. Inzwischen protestieren Chileninnen und Chilenen fast täglich gegen die soziale Ungleichheit und für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Das derzeitige Grundgesetz des südamerikanischen Landes stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur (1973-1990).

Piñera reagierte mit heftiger Repression und rief zeitweise sogar den Ausnahmezustand aus. Später lenkte er ein und entschuldigte sich dafür, nicht auf die Belange der Demonstranten eingegangen zu sein. Zugleich schlug er ein sozialpolitisches Reformprogramm vor, das vielen nicht weit genug geht. Er nahm eine Regierungsumbildung vor und versuchte - allerdings mit mäßigem Erfolg - politische Gespräche mit Parteien zu führen.

Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften sind seit Ausbruch der Proteste mehr als 20 Zivilisten getötet worden, mehr als tausend Menschen wurden verhaftet. Das Nationale Institut für Menschenrechte (INDH) hat zahlreiche Fälle von Folter und sexuellem Missbrauch in der Haft nachgewiesen. Nach der Umfrage des CEP halten über 60 Prozent der Chileninnen und Chilenen die berüchtigten Carabineros für verantwortlich, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben.

Kritik kommt inzwischen selbst von der konservativen Presse. Seit Ausbruch der Sozialproteste am 18. Oktober seien 100 Tage vergangen, Chile sei aber noch weit von der Normalität entfernt, schrieb die Tageszeitung Clarín. Das Blatt konstatiert, dass erstmals nicht die Frage der inneren Sicherheit im Zentrum der innenpolitischen Debatten stehe: "Stattdessen stehen die Forderungen, die in den letzten Monaten auf der Straße am lautesten erhoben wurden, an erster Stelle: Renten, Gesundheit und Bildung." In 30 Jahren der Messungen stand die Kriminalität noch nie an fünfter Stelle der Prioritäten des Landes, zitiert die Zeitung Ricardo González vom CEP.

Die massive Gewalt gegen Demonstranten hat erheblich zum Verfall der Umfragewerte der Piñera-Regierung beigetragen. Nach einem Bericht des Nationalen Instituts für Menschenrechte (INDH) haben 372 Teilnehmer der Proteste bei Schusswaffeneinsätzen der Polizei Traumata oder Augenverletzungen erlitten, 33 weitere verlorenen ihr Augenlicht teilweise oder komplett. Gesundheitsminister Jaime Mañalich sprach dennoch von Einzelfällen: "Es wurden einige wenige Verletzungen beobachtet, die aber wegen ihrer Folgen, die mit Schlägen mit stumpfen Gegenständen verbunden sind, Relevanz besitzen."

Rodrigo Bustos, juristischer Leiter des INDH, wies darauf hin, dass 405 Personen mit Augenverletzungen innerhalb von 90 Tagen nicht als Einzelfälle bezeichnet werden können. Bustos stimmt mit der Ärztekammer darin überein, dass die Enthemmung beim Vorgehen der Carabineros die Hauptursache für die schweren Verletzungen ist. "Das ist äußerst ernst: Wir haben gesehen, wie die Polizei in vielen Fällen direkt auf Demonstranten geschossen hat", so Bustos.

Anders als Frankreich, das die Polizeikooperation mit Chile angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen eingestellt hat, schickt die Bundesregierung nach wie vor Polizeiausbilder in das südamerikanische Land. Nach Ansicht von Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, "werden Polizistinnen und Polizisten, also Sicherheitskräfte, dabei unterstützt, ihren humanitären Verpflichtungen nachzukommen."