Iran: Parlamentswahl ohne Wahl

Irans oberster Führer Ayatollah Khamenei beim Freitagsgebet. Bild: Khamenei.ir/ CC BY 4.0

Im Februar wählt Iran ein neues Parlament - die Wahrscheinlichkeit neuer Massenproteste ist groß

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Iran ist im einundvierzigsten Jahr nach der Islamischen Revolution in einer schwierigen Lage. Harte US-Sanktionen, Korruption und teure Auslandseinsätze haben der Wirtschaft schweren Schaden zugefügt. Die Mittelschicht erodiert, einfache Arbeiter und Angestellte kämpfen ums finanzielle Überleben.

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Inflation auch. Mehrfach hat sich in den letzten Jahren die Wut der Bevölkerung auf den Straßen entladen, zuletzt wurden bei landesweiten Massenprotesten im November 2019 Hunderte Menschen getötet und Tausende verhaftet.

Das Jahr 2020 begann mit einer neuen Eskalation, als die US-Regierung den iranischen General Ghassem Soleimani in Bagdad per Drohnenanschlag ermordete und das iranische Militär wenig später versehentlich eine ukrainische Passagiermaschine mit 176 Menschen an Bord abschoss. Ein Ereignis, das einmal mehr die Iraner erschütterte und dafür sorgte, dass auch Regimeanhänger sich zunehmend von der Führung in Teheran abwendeten, deren Rückhalt in der Bevölkerung ohnehin nur noch auf einem höchst wackeligen Fundament steht.

In den Folgetagen demonstrierten in mehreren Städten Studenten und forderten, wie schon die Arbeiter im Vorjahr, den Rücktritt sowohl von Staatspräsident Rohani als auch den von Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei. Zugleich lehnten sie jede Einmischung von außen ab und bezeichneten die US-Interventionen als "imperialistisch".

Die Wahlmöglichkeiten

Die Bürger Irans sind die Hauptleidtragenden der nationalen wie der internationalen Konflikte. Von innen droht ihnen ein repressives Regime, von außen eine Weltmacht mit zweifelhaften Absichten. Zum Jahresbeginn schloss sich eine breite Front aus Kulturschaffenden den Demonstranten an, indem sie verkündeten, das staatliche Fajr Film Festival zu boykottieren, mehrere Mitarbeiter staatlicher Medien kündigten ihre Jobs, weil sie sich nicht weiter an Propaganda und Lügen beteiligen wollen - viele von ihnen stehen daher nun selbst unter Druck.

Am 21. Februar stehen die Parlamentswahlen an. Präsident Rohani forderte den mächtigen Wächterrat in einem Versuch, der Opposition entgegenzukommen und Druck aus dem Kessel zu lassen, auf, erstmals alle Kandidaten zur Wahl zuzulassen. Das wirkt wie die Forderung nach mehr Demokratie, nach mehr Mitbestimmung der Bevölkerung. Aber nur auf den ersten Blick.

Traditionell ist es so, dass die Wahlmöglichkeiten bereits im Vorfeld von Wahlen beschnitten werden. Zwar wird das Parlament und werden auch kommunale Vertreter in freien Wahlen bestimmt. Doch wer überhaupt zur Wahl steht, das entscheidet der Wächterrat, bei dem sich jeder Kandidat vorab registrieren muss. Der Rat ist direkt Revolutionsführer Khamenei unterstellt und steht mit ihm über dem Parlament.

Kandidaten, die zu weit von der staatlichen Linie entfernt sind, werden ausgesiebt und stehen nicht auf dem Wahlzettel. Das heißt: Wer gewählt werden kann, hat weitestgehend die Zustimmung des Regimes. Was der Wächterrat von Rohanis Anregung hält, machte er Anfang Februar deutlich, indem er massenhaft potentiellen Kandidaten die Zulassung zur Wahl verweigerte. Egal also, wie die Wahl läuft, am Ende wird ein dem Rat und dem Revolutionsführer genehmes Parlament stehen.

Und selbst wenn das anders wäre: Jede Entscheidung des Parlaments kann von Khamenei und vom Wächterrat kassiert werden. Übrig bleibt ein geknebeltes und gefesseltes Scheinparlament. Eine echte Demokratie gäbe es nur dann, wenn Khamenei und die Revolutionswächter abdanken oder sich auf formale Posten ohne Vetobefugnis dem Parlament gegenüber zurückziehen würden - genau das fordert die Opposition.

Reformen?

Zur Zeit des Reformpräsidenten Mohammad Khatami kam es vor allem innenpolitisch zu zahlreichen zaghaften Öffnungsversuchen. Doch wirkliche nachhaltige Reformen gelangen Khatami und seinem Kabinett nicht - weil der Wächterrat immer wieder intervenierte.

Khatamis Nachfolger Mahmoud Ahmadinejad schaffte es mit Hilfe von Milliardensubventionen und Steuergeschenken, vor allem die unteren Schichten zu beruhigen und auf seine Seite zu ziehen, doch zugleich isolierte er das Land durch seine harsche Rhetorik und sein erratisches Auftreten auf dem diplomatischen Parkett, während er zugleich durch seine Wirtschaftspolitik und Vetternwirtschaft begann, das Land in eine Katastrophe zu führen.

Viele wirtschaftliche Probleme von heute sind noch immer ein Erbe der Ahmadinejad-Jahre. Durch seine Alleingänge verscherzte es sich der vormalige Teheraner Bürgermeister schließlich auch mit den konservativen Hardlinern. Hassan Rohani trat schließlich an, um alles anders zu machen. Als Vertreter des Systems einerseits und besonnener Diplomat andererseits wollte er sich außenpolitisch um Schadensbegrenzung bemühen und mit einer neoliberalen Reformpolitik die Wirtschaft auf Vordermann bringen. Letztlich ist ihm beides nicht gelungen.

Schon mehrfach wankte das System Islamische Republik in den Jahrzehnten nach seiner Gründung. Doch so fragil wie momentan war die Lage noch nie. Der Atomkonflikt, der 2015 endlich beigelegt schien, bricht wieder auf, der Dauerkonflikt mit den USA, der sich unter Obama spürbar entspannt hatte, wird von Trump wieder angeheizt.

Trotz teils heftigen Widerstands sowohl aus der eigenen Bevölkerung als auch in den Zielländern, hält Iran daran fest, seinen Einfluss im Irak, in Syrien und zahlreichen weiteren Ländern auszubauen; selbst mit tiefgreifenden Wirtschaftsreformen wäre es zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich, die verheerenden Effekte der US-Sanktionen nennenswert abzumildern; und es ist nicht anzunehmen, dass die inneriranischen Proteste lange pausieren werden.

Die Jungen bilden die Bevölkerungsmehrheit

Spätestens zu den Parlamentswahlen, wenn einmal mehr deutlich wird, dass die Regierung nicht bereit ist, Zugeständnisse zu machen, dürfte die Wut wieder hochkochen. Es sind gerade die jungen Iranerinnen und Iraner, die offen darüber debattieren, die Wahlen zu boykottieren, weil sie in ihrer jetzigen Form eine Farce sind, ein scheindemokratisches Theaterspiel.

Die Jungen bilden die Bevölkerungsmehrheit. Zwei Drittel sind jünger als dreißig Jahre. Sie treffen Arbeitslosigkeit und Inflation am härtesten. Sie sind es, die dazu aufrufen, dass Arbeiter und Studenten sich zusammenschließen sollen. Bislang war es stets so, dass die sozialen Schichten getrennt auf die Straßen gingen und nicht wirklich solidarisch untereinander waren. Mal demonstrierten und streikten die Arbeiter, dann wieder Studenten und urbane Mittelschicht.

So oder so - Iran befindet sich in einer unruhigen, in einer Umbruchzeit. Und der Ausgang ist nicht absehbar.