Kämpfe zwischen türkischen und syrischen Truppen

Die syrische Nachrichtenagentur Sana berichtet, dass bei Saraqeb in Idlib mehrere Dörfer "befreit" worden seien. Dort wurden auch türkische Truppen - versehentlich? - beschossen. Bild: Sana.sy

Erdogan ist offenbar entschlossen, Idlib vor der neuen syrisch-russischen Offensive zu schützen, die Türkei hat Verbände an der Grenze zu Syrien zusammengezogen

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Die Lage in Syrien eskaliert. Nachdem die nach Idlib, in westlichen Medien gerne als "letzte Rebellenhochburg" bezeichnet, nach syrischen Meldungen erfolgreich vorrückenden syrischen Truppen durch Artilleriebeschuss vier türkische Soldaten getötet und neun weitere verletzt haben, bombardierte die türkische Luftwaffe und Artillerie Stellungen der syrischen Armee. Schwere Kämpfe finden auch gerade zwischen syrischen Truppen und HTS-Kämpfern in Aleppo statt.

Erdogan sagte, es seien 40 Ziele getroffen worden, es habe 30-25 Tote gegeben. Schon zuvor hatte die Türkei Truppen mit Panzern und Spezialeinheiten an die syrische Grenze in der Provinz Hatay bei Reyhanli und bei Gaziantep verlegt. Man werde weiter militärisch in Idlib für die "Sicherheit unseres Landes, unserer Menschen und unserer Brüder in Idlib" sorgen, drohte er.

Schon seit Beginn der neuen Offensive kritisierte Erdogan auch scharf die Russen, die mit Kampfflugzeugen rücksichtslos Ziele in Idlib angreifen und Zivilisten töten würden. Russland halte sich nicht an die Vereinbarungen, jetzt müsse die Türkei eigenmächtig handeln, sagte er letzte Woche: "Russland wird dem Regime die notwendige Warnung geben."

Erdogan erklärte, man habe den Russen mitgeteilt, nicht gegen die türkische Operation vorzugehen, die sich nur gegen die syrische Armee richte. Russland wirft hingegen der Türkei vor, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten und die dschihadistischen Kämpfer aus Idlib zu vertreiben.

Russisches Verteidigungsministerium: Es soll keine Angriffe auf syrische Stellungen gegeben haben

Angeblich finden gerade mit Russland Gespräche statt, das das syrische Vorgehen unterstützt. Ob die syrische Armee absichtlich eine türkische Stellung beschossen hat, ist fraglich, wäre aber denkbar, denn die Türkei schützt, versorgt und unterstützt die Milizen, die weitgehend unter Kontrolle des al-Qaida-Ablegers HTS stehen.

Russland trägt allerdings eine andere Version der Geschehnisse vor. Die türkische Luftwaffe habe keine Ziele in Syrien bombardiert, es seien keine Kampfflugzeuge über die Grenze in den syrischen Luftraum geflogen, es seien keine Angriffe auf syrische Stellungen registriert worden, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Daily Sabah veröffentlichte hingegen ein Video, das einen Luftangriff zeigen soll. Überdies hätte die Türkei Syrien und Russland nicht über Truppenbewegungen in Idlib informiert. Sie seien in der Nacht vorgerückt und in der Nähe von Saraqeb unter Beschuss geraten, wo die syrische Armee "Terroristen" bekämpfte.

Damaskus und Moskau sind entschlossen, Idlib zurückzuerobern. Die neue Offensive hat bereits zu Flüchtlingsströmen in den Norden, an die Grenze der Türkei, geführt, darunter sollen auch viele Familien der dschihadistischen Kämpfer sein. Während die Kämpfe der türkischen Armee und der Milizensöldner, die auch aus dschihadistischen Kämpfern bestehen, Kurden und andere Minderheiten aus Rojava in die Mitte des Landes fliehen ließen.

Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht

Noch hält die Türkei die mit einer Mauer gesicherte Grenze nach Syrien geschlossen, aber Erdogan wird die Situation auch nutzen, um die EU unter Druck zu setzen, während er wohl weiterhin damit rechnet, dass Russland es nicht wagen wird, militärisch gegen das Nato-Mitglied Türkei vorzugehen, das für Moskau geopolitisch zu wichtig ist. Gleichzeitig liegt die Türkei aber auch im Konflikt mit den USA, verstärkt durch die scharfe Opposition gegen Trumps Israelplan.

Die Offensive der syrischen Armee auf Idlib, unterstützt durch russische Luftangriffe, soll an die 400.000 Menschen - türkische Medien sprechen von bis zu 700.000 - , die dort wohnten oder Zuflucht gefunden haben, in die Flucht geschlagen haben, darunter viele Kinder. UN-Generalsekretär António Guterres ist "sehr besorgt" und hat am Wochenende appelliert, Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur seien inakzeptabel: "Militäroperationen aller Parteien, auch solche gegen und von geltenden Terroristengruppen, müssen die Regeln und Verpflichtungen des internationalen humanitären Rechts einhalten, die den Schutz von Zivilisten und zivielen Objekten einschließen."

Idlib wird kontrolliert von islamistischen Milizen, vor allem von al-Qaida zugewandten HTS-Gruppen, einst al-Nusra-Front. Man wird sich noch daran erinnern, dass die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition ohne größere Proteste die vom IS besetzten Städte wie Raqqa oder Mosul bombardierten und weitgehend zerstörten. Die Terroristen der einen sind die Rebellen der anderen.

Die Türkei hat die "Rebellen" gegen das Assad-Regime immer unterstützt, lange Zeit oder immer noch auch den Islamischen Staat, die türkischen Milizen, die zur Besetzung der nordsyrischen Gebiete eingesetzt werden, sind meist Söldner ehemals islamistischer Gruppen. Weiterhin versucht die Türkei mit der Invasion in Syrien, der Vertreibung der Kurden und der Ansiedlung von islamistischen Milizen sich eine Basis in Syrien zu sichern. Das führte auch zu Spannungen mit Russland, das die Assad-Regierung unterstützt.

Das Idlib-Abkommen ist längst gescheitert, weil die Türkei, wie zuvor die USA, nicht in der Lage oder bereit ist, Rebellen von Islamisten zu trennen und Angriffe zu verhindern, obgleich um die "Deeskalationszone" Idlib herum türkische Stützpunkte eingerichtet wurden. Nach Hurriyet-Daily, ein gleichgeschaltetes Medium, sollen 1,3 Millionen Flüchtlinge aufgrund der Angriffe an die versperrte türkische Grenze geflohen sein.

Die türkische Regierung, die bereits mit Russland in Libyen im Clinch liegt, scheint nun das Risiko eines weiteren Konflikts einzugehen, nachdem sich bislang aggressives Auftreten wie bei der Invasion in Afrin und in Nordostsyrien aus Sicht von Ankara gelohnt hat. Möglicherweise strebt Erdogan an, nun auch Idlib zu besetzen, nachdem aufgrund des Abkommens mit Russland bislang nur Stützpunkte ("Beobachtungsposten") um die Region eingerichtet wurden. Sie hatten das Ziel, Angriffe der Milizen aus Idlib abzuhalten und den vereinbarten Waffenstillstand zu schützen, dienten aber eher deren Schutz.

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