Ein Haufen Verwirrung

Nisman - Tod eines Staatsanwalts. Bild: ZDF und ZDF/photosport/uruguay

Netflix-Serie über den ungeklärten Tod des Staatsanwalts Nisman

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Die neue Serie des Streaming-Dienstes Netflix wurde weltweit großangekündigt. Ab dem 31. Januar ist sie unter dem Titel "Nisman - Tod eines Staatsanwalts" in der ZDF-Mediathek abzurufen. Die spanische Version kam schon einen Monat früher, unter dem Titel: "Der Staatsanwalt, die Präsidentin und der Spitzel".

Es geht um den ungeklärten Tod des umstrittenen Staatsanwalts Alberto Nisman, der am Abend des 18. Januar 2015 mit einer Kugel im Kopf in seinem Badezimmer aufgefunden wurde. Nisman hatte vier Tage vorher die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wegen Vertuschung des Attentats auf das jüdische Gemeindehaus AMIA 1994 angeklagt und sollte am folgenden Tag im Kongress seine Beweise vorlegen (Rätselhafter Politkrimi am Río de la Plata).

In der englischen und israelischen Presse wurde die sechsteilige Serie im Allgemeinen gelobt und die These, dass die damalige Präsidentin einen unbequemen Staatsanwalt aus dem Weg räumen ließ, wiederholt. Und auch der Spiegel lobte das Machwerk als das "Beste, was bislang zu Nismans Tod veröffentlicht wurde", als ein "faszinierendes Mosaik".

In Argentinien wurde die Serie wenig beachtet, trotz der sechs Stunden Sendezeit brachte sie nichts Neues. Lediglich die Verrenkungen, die der neue Präsident unternahm, schafften es in die Schlagzeilen. Alberto Fernández hatte dem Journalisten Justin Webster in die Kamera gesprochen, dass er nicht von einem "Selbstmord" ausgehe, schließlich habe der Tote keine Schmauchspuren an den Händen gehabt. Doch das Interview hatte 2017 stattgefunden, da war Fernández noch der Abtrünnige, der Cristinas Kabinett 2008 im Streit verlassen hatte und ihr seitdem kritisch gegenüber stand. Später versöhnten sie sich, und Cristina ist seine Vize-Präsidentin.

Nach Nismans Tod hatte sich - wie das auch in anderen Fragen passiert - die argentinische Gesellschaft in zwei Lager geteilt: die Peronisten um Cristina, die an einen "Selbstmord" glaubten und die Peronisten-Hasser, die wütend gegen die "Mörderin Cristina" auf die Straße gingen.

Insofern wäre es in dieser politisierten Situation durchaus wichtig, wenn ein Beobachter von außen die Ermittlungen einmal nüchtern betrachten würde. Doch genau diese Chance wurde vertan, Webster lieferte keine Aufklärung, sondern einen großen Haufen aufgetürmte Meinungen, und jeder kann sich herauspicken, was gerade in seine (Verschwörungs-)theorie passt. Wichtige Informationen, die in eine ganz andere Richtung geführt hätten, wurden unterschlagen, und bei einer Sendezeit von insgesamt sechs Stunden kann man sich schon fragen, welche Absicht dahinter stand.

Nisman war 2005 von Néstor Kirchner mit den Ermittlungen des AMIA-Attentats beauftragt worden. Die Hinterbliebenen der 85 Toten protestierten regelmäßig, weil ihnen Gerechtigkeit verwehrt wurde. Doch Nisman lieferte nichts, frequentierte umso häufiger die Geheimdienstbüros.

Als Barack Obama sein Iran-Abkommen durchbringen wollte, trat er an Präsidentin Kirchner heran, denn die Regierung in Teheran wollte die Behauptung ihrer Verwicklung in das AMIA-Attentat vom Tisch haben. Da die Ermittlungen in Argentinien schon seit Jahren auf der Stelle traten, willigte Kirchner ein, eine sog. "Wahrheitskommission" sollte gegründet werden. So sollte wieder Bewegung in die Sache gebracht werden. Das Parlament gab grünes Licht, und zunächst war auch die DAIA einverstanden, der politische Arm der jüdischen Organisationen.

Doch Israel wollte das Iran-Abkommen unbedingt verhindern und intervenierte. Die DAIA wurde zu einer heftigen Gegnerin des Projekts. Daraus konstruierte der übergangene Staatsanwalt eine "Vertuschung". Was Nisman dann als Anklageschrift gegen Kirchner vorlegte, war eine Aneinanderreihung von abgehörten Telefonaten zwischen Iranern und zwielichtigen Personen der argentinischen Politszene - nicht einmal der Anflug eines Beweises. Und diese klare Feststellung aus dem Mund eines ausländischen, also unbeteiligten Beobachters, wäre in der Serie sinnvoll gewesen, hätte den Zuschauer orientiert. Statt dessen ein Potpourri von sich widersprechenden Meinungen.

Bild: ZDF und Lucas Gath

Die wichtigsten Unterlassungen

  1. Unmittelbar nach dem Anschlag hatte die argentinische Justiz ermittelt, dass am Tag des Attentats ein Container direkt vor der Tür der AMIA abgestellt worden war, den niemand bestellt hatte. Tatzeugen hatten bestätigt, dass dort der Sprengstoff gelegen habe. Der Container kam von einer Firma eines syrischen Libanesen, der geschäftliche Verbindungen mit dem peronistischen Präsident Carlos Menem hatte. Der Libanese hatte kurz zuvor bei "Fabricaciones Militares" große Mengen des Sprengstoffs Amonal gekauft, für Abbrucharbeiten, die sich als frei erfunden herausstellten. Amonal war bei dem Attentat benutzt worden. Der Firmeninhaber wurde verhaftet, aber nach wenigen Tagen auf freien Fuß gesetzt. Später sagte der Sekretär des Ermittlungsrichters aus, dass genau 14 Tage nach dem Anschlag aus dem Regierungspalast die Order gekommen sei, die "syrische Spur" nicht weiter zu verfolgen und den Gefangenen frei zu lassen. Die "syrische Spur" wird bei Netflix nicht dargestellt, sondern ausschließlich die Iraner der Täterschaft verdächtigt.
  2. Nisman verfolgte, sich stützend auf die Theorien des Geheimdienstlers Jaime Stiuso, nur die Spur des iranischen Selbstmordattentäters mit dem Tatauto Traffic. Dieser Renault Traffic taucht erst mit der iranischen Spur auf. Am Tatort war nichts gefunden worden, was seine Existenz beweist. Die Trümmer der AMIA wurden dann am Rande des Stadtflughafens aufgeschüttet, und dort wurde dann, sehr viel später, von einem israelischen Agenten der Motorblock samt Seriennummer gefunden! Welch Zufall! Ein Motorblock ist ein riesiges Teil, kaum zu übersehen, und es ist unwahrscheinlich, dass es den argentinischen Ermittlern am Tatort nicht aufgefallen wäre. Und ein professioneller Autoschieber - so die spätere Version - hätte doch sicher diese Nummer entfernt. Kein Wort über die Zweifel an diesem Traffic und über die Zeugen, die nicht ihn, sondern den Container gesehen haben.
  3. Die Angehörigen der AMIA-Opfer haben sich in drei Gruppen gespalten, aber alle sagen ausnahmslos, dass Nisman zur Aufklärung nichts beigetragen habe. Die Angehörigen kamen nur mit einem kurzen und nichtssagenden Statement zu Wort, dass sie von Nisman erst viel und dann weniger gehalten haben. Die Angehörigen klagen bei ihren Demonstrationen bis heute ausdrücklich die DAIA an, die in den 90er Jahren mit Präsident Menem paktiert und versucht hatte, die Hinterbliebenen zu disziplinieren. Kein Wort der Kritik an der DAIA. Es fehlt die Information, dass damals auf dem Bankkonto des DAIA-Chefs Ruben Beraja riesige Beträge der Regierung eintrafen, mit denen er seine Banco de Mayo retten konnte.
  4. Erwähnt wird zwar der Prozess gegen die Polizisten, denen man die Schuld für das Attentat in die Schuhe schieben wollte - unter dem Motto: Das Image der Polizei von Buenos Aires ist dermaßen im Keller, dass die Leute denen Alles zutrauen. Noch während des Prozesses kam heraus, dass die belastenden Aussagen gekauft waren. Das erwähnt Netflix. Nicht erwähnt wird der Prozess, der diesen Vertuschern danach gemacht worden ist. Dort saßen auf der Anklagebank der Geheimdienstchef, die Staatsanwälte, der Richter und der frühere DAIA-Chef Ruben Beraja, der an der Bestechungsaktion aktiv teilgenommen und Geld von der Regierung erhalten hatte. Dieser Prozess war kein Geheimnis in Argentinien, welchen Grund hatte Webster, ihn zu verschweigen?

Es wäre wünschenswert gewesen, die langen Einstellungen und die Wiederholungen unbewiesener Behauptungen auf 60 Minuten zusammenzustreichen und noch 30 Minuten eigene Recherchen anzuhängen. Aber die hat Webster unterlassen; er hat nicht einmal eine eigene Meinung geäußert. Was er vorgelegt hat, ist kein Mosaik, sondern, wie gesagt, ein Potpourri, das mehr für Verwirrung als für Aufklärung sorgt.

Der Tod von Nisman ist, wie das terroristische Attentat auf die AMIA, nicht aufgeklärt, sondern im Dschungel von korrupter Politik und Geheimdiensten versackt.