"Gesellschaftliche Naturkatastrophen" und die neue Klimaschutzbewegung

Die Apologeten des Amok laufenden Kapitalismus haben nur noch die "Freiheit zum Tode" anzubieten

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Die schnelle Ausbreitung der Klimaschutzbewegung über die ganze Welt ist in der Tat bemerkenswert. Bemerkenswert ist auch der Hass, den diese Bewegung erfährt, speziell der gegen Greta Thunberg. Das bürgerliche Subjekt in der Krise will einfach nicht wahrhaben, dass seine kapitalistische Lebensart unhaltbar geworden ist. Selbst bereits kleinste Stellschraubenänderungen bringen den latenten oder expliziten Faschisten in Rage. So entlädt sich die "toxische Männlichkeit" in unzähligen Hasskommentaren und in solchen absurden und vollkommen reaktionären Gegen-Bewegungen wie "Fridays for Hubraum". Diejenigen, die ihr dickes Auto als eine Schwanzverlängerung ansehen, fühlen sich anscheinend durch eine 16-Jährige symbolisch kastriert.

Rechtspopulisten und Rechtsradikale dagegen leugnen den Klimawandel. Selbst wenn sie es nicht explizit tun, dann leugnen sie den menschlichen Beitrag zum Klimawandel oder sie sagen, man könne ohnehin nichts tun.1 Damit ist die Bejahung oder Hinnahme der eigenen Vernichtung ausgesprochen. Die Apologeten des Amok laufenden Kapitalismus haben nur noch die "Freiheit zum Tode" anzubieten. Selbstverständlich lehnen sie auch alle Maßnahmen gegen den Klimawandel ab, seien sie auch noch so seicht oder wirkungslos.

Wieder einmal dürfen "Arbeitsplätze" und der "Standort Deutschland" nicht gefährdet werden. Allerdings, wenn die Rechtsradikalen den Klimawandel irgendwann doch für sich entdecken, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie als "Klimaschutzmaßnahme" die Reduktion der Anzahl der Menschen, also einen Neomalthusianismus, propagieren und dazu erst recht einen Ausgrenzungsimperialismus mit noch mehr Mauerbau und Schießbefehl angehen werden; und zwar gegen diejenigen Menschen, die aus Regionen fliehen, die aufgrund des Klimawandels bereits unbewohnbar geworden sein werden. Obgleich in den letzten Jahren Faschisten in der neueren Ökologiebewegung nicht Fuß fassen konnten (so in den Protesten um den Hambacher Forst, Ende Gelände), im Unterschied zu den 70er/80er Jahren, so bedeutet das nicht, dass dies so bleiben wird.2

Nun ist es zweifellos der Fall, dass sich ohne Widerstand und Protest gegen die Krisenverwaltungsregime die Zumutungen nicht in Luft auflösen werden. Wie im Kontext der Wert-Abspaltungs-Kritik schon mehrfach hingewiesen, sind immanente Proteste unumgänglich: so gegen Sozialabbau, Mietenwahnsinn usw. Wenn jedoch die Proteste in der Immanenz verbleiben, den Finanzierungsvorbehalt usw. nicht in Frage stellen, dann laufen sie entweder ins Leere oder sie laufen Gefahr, Teil der Krisenverwaltung zu werden (vgl. z.B. Kurz 2006, Böttcher 2018 und Meyer 2019).

Ähnlich verhält es sich bei den neuen Klimaprotesten. Ein wenig seltsam mutet an, dass sie trotzdem so viel Zuspruch von vielen Seiten erfahren, was darauf hindeutet, dass sie bisweilen nicht wirklich anecken: "Widerstand, der keinen Widerstand hervorruft, ist keiner", wie es Gerhard Stapelfeldt formuliert hat (vgl. Stapelfeld 2019, 3). Ihm zufolge handelt es sich bei den neueren Klimaprotesten eher um eine konformistische Rebellion:

In jedem Fall wird die Überwindung des Klimawandels auf gesellschaftlich und ökonomisch konformistische Weise gesucht. Von diesem Konformismus geht der gegenwärtige Protest aus - darum ist er "niedrigschwellig", darum nehmen die Einladungen an Teilnehmer der Proteste von Seiten der Regierungen, Parlamente und Parteien kein Ende.

Gerhard Stapelfeldt (4, Hervorh. i. O.)

Absurd anmutend ist das Interesse auch deswegen, da die angehende Klimakatastrophe3 seit langem thematisiert wird und Klimaschutzmaßnahmen schon seit Jahrzehnten simuliert oder blockiert werden. Alle Maßnahmen, so unzureichend sie von vornherein auch sind, werden stets entschärft, sodass sie vollkommen wirkungslos verpuffen.

Der "Standort" hat stets Vorrang. Auch das neueste "Klimaschutzpaket" der bundesdeutschen "Gro-Ko-Haram-Koalition" (Sonneborn) zeigt, dass nichts getan werden soll. Alles soll im Wesentlichen beim Alten bleiben.4 Trotzdem bleibt es richtig, all die reaktionären Krisenverwaltungsregime unter Druck zu setzen, wie es die Klimaschutzbewegung zu tun versucht, eine "ökologische Transformation" voranzutreiben "[e]gal wie unbequem und unrentabel es sein mag" (Thunberg 2019, 47, Hervorh. TM).

Immerhin deutet Greta Thunberg hier an, dass die Rentabilität abzulehnen ist. Notwendiges Ziel ist es, die Welt als lebenswert zu erhalten. Sich etwas vorrechnen zu lassen, ist also keine Option. Eine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, der Verwertungsbewegung des Kapitals usw., spielen aber bisweilen keine bedeutende Rolle in der Klimaschutzbewegung. Es gibt zwar einige Gruppierungen (so wie "Change for Future"), die eine Kapitalismuskritik beanspruchen oder versuchen, jedoch ist ihre Wirkungsbreite als eher gering einzuschätzen.5

Die Kritik nimmt einen moralisierenden Charakter an

Wie Stapelfeldt betont, sind die Protestierenden alles Menschen, die im Neoliberalismus aufgewachsen sind, von daher ist es folgerichtig, dass die Proteste einen privatistischen Charakter haben (vgl. ebd.). Die Proteste appellieren an den Einzelnen, an seine Konsum- und Lebensweise. Auf Flugreisen soll verzichtet werden und auch auf Fleisch. Der Horizont ist ein individualistischer. Da der Einzelne Adressat ist, nimmt es nicht Wunder, dass die Kritik, einen moralisierenden Charakter annimmt. Das Gesellschaftliche kommt nicht in den Fokus. Es scheint, als sei alles nur eine Sache der richtigen Technik und der richtigen Konsumgewohnheit.

Sicher ist es sinnvoll, bestimmte Produkte und Konsumgewohnheiten zu kritisieren und ihre Produktion eventuell einzustellen. Problematisch ist aber, wenn es dabei bleibt und man stattdessen meint, es genüge, Plastiktüten und SUVs abzuschaffen, ohne dass die Produktionsweise selbst in den kritischen Blick kommt. Wie auch schon bei früheren Debatten um Veganismus oder grünen Kapitalismus wird nicht realisiert, dass auch ein grüner oder veganer Kapitalismus sich in der Konkurrenz durchsetzen muss, so dass die "nachhaltige Produktion" so nachhaltig dann doch wieder nicht ist, vor allem dann, wenn eine zahlungskräftige Nachfrage einbricht und Umweltschutzbestimmungen usw. störend und für die weitere Kapitalakkumulation dysfunktional werden.

Dass Besserverdienende in den kapitalistischen Kernstaaten sich mit allerhand ökologischen Produkten eindecken können (und mit dem SUV zum Reformhaus fahren und sommers dann den obligatorischen Kraft-durch-Freude Urlaub am anderen Ende der Welt antreten), sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nur möglich ist, weil jene sozialen Schichten noch zu den Weltmarktsiegern gehören.

Naturbeherrschung und -zerstörung muss zum Thema werden

Wenn also festgestellt wird, es solle weniger Fleisch konsumiert werden, sodass weniger Regenwald abgefackelt wird für die Produktion von Soja, warum sollte ein Einbruch der Nachfrage nach Soja als Futtermittel die Sojaproduktion dann weniger destruktiv machen? Dann würde Regenwald vernichtet zur Produktion von Soja-Schnitzel oder Biosprit.

Die Kritik der Klimabewegung, die auf den Einzelnen zielt und sich konkretistisch an einzelnen Konsumgütern aufhält, verfehlt also die Destruktivität der kapitalistischen Produktionsweise. Ein "Green New Deal" ist unter kapitalistischen Bedingungen nur eine weitere Illusion, die Destruktivität des Kapitalismus loswerden zu wollen, ohne sie selbst explizit zu machen. Die Destruktivität des Kapitalismus würde dann nur modernisiert. Wenn man sich also über Artensterben, industrielle Landwirtschaft und Autowahn beschwert, dann muss in den Fokus kommen, wie die Natur den kapitalistischen Verwertungskriterien gemäß zugerichtet und folglich durch sie zerstört wird.

Es ist also die Naturbeherrschung und -zerstörung zum Thema zu machen und die Reduktion der Natur auf bloßen Rohstoff ist infrage zu stellen. Auch ist auf den zutiefst patriarchalen Charakter der Naturbeherrschung durch das Kapital zu verweisen, wie er etwa in der Reproduktionsmedizin deutlich wird (vgl. Meyer 2018). Dieser Zusammenhang wird aber in der Klimaschutzdebatte in der Regel nicht berührt.

Wie auch Robert Kurz betont hat, ist es dem Menschen, obgleich Naturwesen, nicht möglich sich "harmonisch" zur Natur zu verhalten, da der Mensch mit der Natur nicht "eins" ist. Das Verhältnis zur Natur besteht darin, einen spezifischen Stoffwechsel mit der Natur einzugehen, der auch dazu führt, dass die Natur umgeformt und damit selbst verändert wird (vgl. Kurz 2002). Die Natur ist also nichts Statisches. Eine Natur, die etwas Ursprüngliches und Unberührtes sein soll, ist vielmehr eine projektive Wunschvorstellung des bürgerlichen Subjektes, das sich mit seinem eigenen Verhältnis zur Natur und damit zu sich selbst nicht kritisch auseinandersetzen kann oder will.

Wenn also von Naturschutz die Rede ist, ist klar zu machen, welche Natur denn geschützt werden soll und warum überhaupt Natur geschützt werden muss: d.h. vor wem bzw. vor was eigentlich! Es ist also klar darzulegen, warum Umweltzerstörung Resultat einer bestimmten Produktionsweise ist und nicht Resultat einer bestimmten Technik oder eines Produktes allein, das der Einzelne dann konsumiert. Oder mit den Worten von Robert Kurz:

Es wäre zu billig, die Dynamik der modernen Naturzerstörung allein der Technik zuzuschreiben. Gewiß sind es technische Mittel, die direkt oder indirekt in die Naturzusammenhänge eingreifen. Aber diese Mittel stehen nicht für sich, sondern sie sind Ergebnis einer bestimmten Form der gesellschaftlichen Organisation, die sowohl die sozialen Beziehungen als auch den "Stoffwechselprozeß mit der Natur" bestimmt.

Es macht also wenig Sinn, die Natur oder das Klima schützen zu wollen durch bloßes Verbot bestimmter Produkte oder Praktiken. Diese Verbote sollen bekanntlich die Emission vonCO2 reduzieren. Alternativ wird in Produkte investiert, die einen geringerenCO2-Ausstoß versprechen. Die Produkte werden aber nicht als spezifische Resultate einer Produktionsweise, also als Produkte in ihrer Gesellschaftlichkeit betrachtet.

Dabei entscheidet die "Form der gesellschaftlichen Arbeit […] über die spezifischen Zwecke und Triebkräfte von Produktion und Konsumtion und über Art und Umfang der Eingriffe in die Natur" (Böhme; Grebe 1985, 27). Die "Form der gesellschaftlichen Arbeit" kommt aber gerade nicht in den Blick. Diese Form besteht in der Abstraktion vom Inhalt und von den Eigenqualitäten, da die Natur hier nur als Substrat für die Wertverwertung benutzt wird und damit der Tendenz nach auf eine Abstraktion reduziert wird, dadurch eine Abstraktion real gemacht wird, so dass auch die Natur entsprechend zugerichtet wird, deutlich bemerkbar etwa in der Agrikultur, bei der die Industrialisierung der Landwirtschaft zu einem massiven Sortenschwund führte (vgl. Mooney; Fowler 1991).

Hinzu kommt, dass der Kapitalismus gar nicht in der Lage ist, mit Ressourcen schonend umzugehen. Steigt die Produktivität, so dass ein Einzelkapital weniger Arbeit aufwenden muss, um den gleichen Ausstoß an Waren zu erzeugen, so führt dies dazu, dass aufgrund der mit der Produktivitätserhöhung einhergehenden Verbilligung der Produkte, das Einzelkapitel seinen Marktanteil vergrößert, Konkurrenten verdrängt und seinen Ausstoß an Waren insgesamt erhöht.

Der Rebound-Effekt

Wenn eine Produktivitätssteigerung oder eine Produktinnovation dazu führt, dass eine (vermeintlich) umweltfreundlichere Produktversion sich in der Konkurrenz durchsetzt, dann wird der umweltschonende Anteil schnell überkompensiert, wenn das Einzelkapital dann alle Welt mit diesem Produkt überflutet. Die Einführung des Katalysators beim Auto beispielsweise führte nicht zu einer umweltfreundlicheren Mobilität, sondern zu noch mehr Individualverkehr.

Könnten Weltmarktsieger eventuell umweltfreundlich und billig produzieren, so würde die übrige Welt unter die Räder geraten und müsste auf "Umweltauflagen" dann erst recht verzichten. Die Konkurrenz führt dazu, dass sich stets das Billigere durchsetzt. Ist es also kostengünstiger, die Umwelt zu zerstören, natürliche Zyklen und Regenerationszeiten zu ignorieren, dann wird dies getan. Durch die Dynamik des Kapitalismus kann auch ein umweltfreundlicheres Produkt zu mehr Umweltzerstörung führen, da der Ressourcenverbrauch dann trotzdem zunehmen kann. Dies ist der sog. Rebound-Effekt, der auch schon bürgerlichen Ökonomen des 19. Jahrhunderts aufgefallen ist, freilich aber unverstanden blieb.

Mit Marx lässt sich der Rebound-Effekt leicht verstehen: Wenn die gesamte Wertmasse sinkt bei steigender Produktivität, da für den Gesamtumfang an Waren weniger Arbeit verausgabt werden muss, dann muss die Anzahl der Produkte absolut erhöht werden, um die gleiche Wertmasse zu erhalten. Dies gilt umso mehr, als es nicht darum geht, die Wertmasse nur zu erhalten, sondern diese muss selbst ständig vermehrt werden, d.h. eine Produktion, die keinen Mehrwert abwirft, wird eingestellt (vgl. Ortlieb 2019, 283ff.).

Es ist also keineswegs "der Mensch" oder überhaupt die Nutzung der Natur, die zur Vernichtung der Natur und zur Klimakatastrophe führt, sondern eine irrationale Produktionsweise, bei der es um die Produktion von abstraktem Reichtum geht, um die Verwertung des Werts. Die Verwertungsfähigkeit stößt dabei an historischen Grenzen, was sich in einer verstärkten Hemmungslosigkeit und Destruktivität des Kapitalismus zeigt. Dies will aber kaum jemand wahrhaben.

Viel leichter ist es, die Realität zu verdrängen, indem man sich als grün-nachhaltig geriert oder indem man die "Schuld" dem Menschen selbst anlastet, d.h. es wird geschlussfolgert, dass die Existenz des Menschen selbst hier das eigentliche Verbrechen sei! So wird allen Ernstes vorgeschlagen, man solle doch dem Klima zuliebe auf Kinder verzichten (so Verena Brunschweiger in ihrem Buch: "Kinderfrei statt kinderlos - Ein Manifest"). Auf diese Weise würde manCO2 einsparen. Hier sieht man schon, dass je weniger die kapitalistische Produktions- und Lebensweise zum Thema gemacht und radikal kritisiert wird, diese Realitätsverdrängung umso mehr dazu führt, dass die menschliche Existenz selbst als Problem erscheint. Der Kapitalismus wird als unhintergehbare Naturtatsache angesehen, so dass der Mensch selbst zur Exekution geführt werden soll, statt dass mit der Produktion abstrakten Reichtums Schluss gemacht wird.

Man kann nur hoffen, dass die Klimaschutzbewegung nicht in eine solche reaktionäre Richtung umschlägt. Eine Klimaschutzbewegung, die seicht und oberflächlich ist, ist eine Sache; eine andere, viel gravierende aber, wenn sie in menschenfeindliche Agitation umschlägt und somit sich als eine Avantgarde der Barbarei erweist. Es ist nicht auszuschließen, dass dubiose Gruppierungen wie "Extinction Rebellion" sich als eine solche erweisen könnten.6

Thomas Meyer ist Redakteur bei der Theoriezeitschrift exit!.