"20 Prozent (der Hochschullehrer) wollen den Staat Israel ablehnen"

Ein Missverständnis einer Umfrage wird instrumentalisiert, um eine philosophische Vorlesung an der Humboldt Universität zur Klärung des Begriffs Antisemitismus zum Skandal zu machen

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Nach einer vom Institut für Demoskopie Allensbach für den Deutschen Hochschulverband und das Konrad-Adenauer-Institut durchgeführten Umfrage über Wissenschaftsfreiheit an deutschen Universitäten, ergibt sich ein positives Bild. 93 Prozent der 1106 befragten Hochschullehrerinnen und -lehrer und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen, es gebe hierzulande sehr viel oder viel Wissenschaftsfreiheit. Deutschland gehöre damit zu den Ländern, in denen die Hochschullehrer diesen am meisten Wissenschaftsfreiheit zuschreiben. Aber es wurden auch Einschränkungen angemerkt, die teilweise auch von den Hochschullehrern selbst gefordert werden.

Ein Problem, das man erst einmal nicht mit der Wissenschaftsfreiheit in Verbindung bringt, ist die Überlastung. Dass die schöpferische Muße zur Forschung gehört, aber fehlt, sehen Dreiviertel der Befragten so. Da müsste man freilich auch einmal sehen, wie das in anderen Berufen ist. Verbreitet ist die Haltung, dass Forschung und Lehre unter dem "Zwang zum schnellen Publizieren" leiden. Dazu kommt der bürokratische Aufwand, etwa zur Einwerbung von Forschungsmitteln, der auf 41 Prozent angestiegen sei.

Zwar monieren 13 Prozent, dass Political Correctness zur Einschränkung der Forschung führen, aber insgesamt scheinen die Einschränkungen der Diskussionsfreiheit durch Proteste, die in letzter Zeit etwa mit Bernd Lucke oder Ex-Innenminister Thomas de Maizière von den Medien aufgegriffen wurden, nicht als sonderlich einschränkend empfunden zu werden. Allerdings sind 90 Prozent dafür, dass prominente Politikerinnen und Politiker aller Parteien an die Universität eingeladen werden können. 79 Prozent sind auch dafür, zu Podiumsdiskussionen "Rechtspopulisten" einladen zu können, bei "Linkspopulisten" sind es 84 Prozent, wobei hier ungeklärt ist, was man unter "Populismus" versteht. Ist beispielsweise Höcke von der AfD ein Rechtspopulist oder ein Rechtsextremist oder ein Nazi?

Aber alles wollen alle eben auch nicht an den Unis haben. 53 Prozent sind der Meinung, es solle nicht erlaubt sein, den Klimawandel zu bestreiten, wahrscheinlich ist damit der anthropogene gemeint. Allerdings ist fast die Hälfte auch dafür. 37 sagen, an den Universitäten sollte keine Rüstungsforschung betrieben werden, und 25 Prozent wollen keine Verweigerung der "gendergerechten Sprache" dulden, als Beispiel heißt es, es müsse von Studierenden, statt von Studenten die Rede sein.

Vom Missverständnis zur Verunglimpfung eines Philosophen

Was in den Pressemitteilungen des Deutschen Hochschulbundes und der KAS nicht aufgenommen wurde, vielleicht weil zu heikel, sind weitere Antworten, wie die FAZ berichtet: "So finden 27 Prozent, es solle erlaubt sein, den Islam als Religion abzulehnen. 20 Prozent wollen den Staat Israel ablehnen, 16 Prozent wollen menschliche Embryonen klonen dürfen. Und sieben Prozent erheben sogar Anspruch auf die Freiheit, das Grundgesetz ablehnen zu dürfen."

Nach der Formulierung wird in der Schwebe gelassen, was die 20 Prozent wollen: Soll es keinen Staat Israel geben, so wird zumindest suggeriert, oder geht es eher um eine Kritik am Verhalten des Staates und/oder dessen Regierung? Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, griff die Formulierung auf, um sich gegen eine Veranstaltung an der Humboldt Universität zu richten: "Und da wundert man sich noch, dass an @HumboldtUni eine antisemitische Veranstaltung unter dem Deckmantel 'Freiheit der Wissenschaft' stattfindet?"

Vorausgeht schon ein Missverständnis, das der Tweet der Recherche-& Informationsstelle Antisemitismus RIAS deutlich macht: "Einige Hochschullehrer_innen plädieren in der Umfrage für weitere Aspekte, die ihrer Meinung nach zur universitären Freiheit gehören - 20 Prozent wollen den Staat Israel ablehnen." Der Grüne Volker Beck etwa interpretiert dies auch so, ebenso wie beispielsweise Honestly Concerned und die Jerusalem Post, wo gleich noch die Formulierung verschärft wird: "20% of German university academics reject Israel’s existence."

Begründet wird nicht, warum die Veranstaltung antisemitisch gewesen soll. Es handelte sich um eine Veranstaltung am 12. Februar in der Reihe "Freiheit der Wissenschaft " mit dem Titel "Wer ist Antisemit? - Eine philosophische Begriffsklärung". Der Telepolis-Lesern bekannte Analytische Philosoph Georg Meggle - Gast im Telepolis-Salon am 30. März - wollte versuchen zu klären, wie sich Antisemitismus definieren lässt. Man muss den Eindruck gewinnen, dass schon eine analytisch-philosophische Nachfrage und Klärung als antisemitisch und damit als verwerflich betrachtet wird. Das wird auch bei Jerusalem Post deutlich, die ihre Zuspitzung hinter einigen "angeblich" versteckt, was dazu dient, keine Begründungen liefern zu müssen:

Die Veröffentlichung der Adenauer-Studie fand während eines angeblichen Antisemitismus-Skandals an der Humboldt Universität in Berlin statt. Die Präsidentin der Universität, Dr. Sabine Kunst, erlaubte einem angeblich antisemitischen Professor, eine Vorlesung am Mittwoch halten zu können.

Jerusalem Post

Weil mich die Formulierung der FAZ stutzig machte ("20 Prozent wollen den Staat Israel ablehnen"), bat ich die Pressestelle des Deutschen Hochschulbunds mir die originale Formulierung in der Umfrage mitzuteilen, was auch schnell geschah (danke!). Die Frage lautete: "Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein, was an einer Universität erlaubt sein sollte und was nicht. Wie sehen Sie das für die folgenden Punkte, was davon sollte an einer Universität erlaubt sein, und was nicht?" Es geht also nicht darum, ob die Befragten den Staat ablehnen, sondern ob es erlaubt sein sollte, ihn in der Universität abzulehnen (oder einen prominenten Parteipolitiker einzuladen). Offen bleibt allerdings, was die Formulierung genauer bedeuten soll: "Israel als Staat ablehnen".

"Israelbezogener Antisemitismus"

Im Hintergrund steht dabei, dass es Bestrebungen gibt, Kritik am Staat oder an der Regierung Israels als antisemitisch zu bezeichnen und damit zu verpönen. Und das hat auch mit der Wissenschaftsfreiheit zu tun. So hat im November 2019 die deutsche Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in ihrer Entschließung "Kein Platz für Antisemitismus" die Arbeitsdefinition Antisemitismus des International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommen.

Die Hochschulen sollen die Definition, ausdrücklich zusammen mit dem "israelbezogenen Antisemitismus", etablieren. Dieser wird unmittelbar auf die Arbeitsdefinition als "Erläuterung" so formuliert: "Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten." Dazu siehe auch: Rede-, Lehr- und Forschungsfreiheit auch für Hochschulen? - Zur Petition EINSPRUCH.

Der Streitpunkt ist nicht nur, wie genau Antisemitismus definiert wird, sondern auch, ob mit einer nur ungefähren Definition eine "Sprachregelung" an den Universitäten etabliert werden soll, wie Georg Meggle kritisiert.