Rückzugsorte für Rechtsextremisten

Die extreme Rechte nutzt kleinere Social-Media-Plattformen verstärkt für ihre politischen Zwecke. Eine neue Studie untersucht das Phänomen

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Auf alternativen Plattformen finden extrem rechte Nutzer einen digitalen Rückzugsort, um sich ungestört zu vernetzen und zu radikalisieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie mit dem Titel "Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure", die kürzlich vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) aus London veröffentlicht wurde (Zusammenfassung auf Deutsch). Für die Untersuchung hat das Forscherteam zehn in Deutschland genutzte Plattformen von Internet-Communities systematisch analysiert, darunter das russische Soziale Netzwerke VK, den Mikroblogging-Dienst Gab, die Gaming-App Discord, das Internetforum 4chan und den Messenger Telegram. Die Studie ergänzt somit bestehende Untersuchungen, die sich auf Hate Speech bei großen Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter fokussieren.

Die Daten des Institute for Strategic Dialogue deuten darauf hin, dass rechtsextreme Themen auf alternativen Plattformen überproportional stark vertreten sind. So wurden bei den zehn Onlinediensten insgesamt 379 rechtspopulistische und extrem rechte Kanäle identifiziert. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt in diesen Kanälen auf dem Thema Migration sowie auf Anfeindungen gegen linke politische Gegner. Die größte Reichweite haben dort offenbar Gruppen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als klar rechtsextremistisch eingestuft werden. Auf dem Imageboard 4chan sind dagegen antisemitische Äußerungen weit verbreitet. Dort vertreten mehr als die Hälfte aller Posts über Juden antisemitische Positionen.

Anhand der Community-Standards lassen sich die Plattformen grob in zwei Gruppen aufteilen. Zum einen sind dies Anbieter, die für unpolitische Zwecke entwickelt und von rechten Akteuren zweckentfremdet werden, wie dies bei der Gaming-App Discord der Fall ist. Zum anderen handelt es sich um Dienste wie Telegram oder Gap, welche die Verbreitung von rechtsextremen und rassistischen Botschaften auf Grundlage der Meinungsfreiheit rechtfertigen. Insbesondere Telegram hat sich demnach zur wichtigsten Plattform von extrem rechten Influencern und Gruppen entwickelt, deren Inhalte auf den etablierten Social Media-Plattformen gelöscht oder gesperrt wurden.

Von YouTube zu Telegram

Begonnen hat der Rückzug der rechten Szene aus den großen Plattformen bereits im Jahr 2018, weil Hassbotschaften auf Facebook, Twitter oder YouTube immer häufiger gesperrt wurden. Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, hatte damals in einer Videobotschaft seine Anhänger zu einem Wechsel auf Telegram ermuntert, um sich hier eine politische Basis aufzubauen. Ihm folgen dort mittlerweile 37.600 Abonnenten und auch für den Kanal des PEGIDA-Gründers Lutz Bachmann interessieren sich bereits über 12.000 Nutzer.

Die Autoren der Studie zum Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure sehen dies als eine Folge des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), das im Juni 2017 erlassen wurde, um auf die steigende Verbreitung von Hate Speech im deutschsprachigen Internet zu reagieren. Es verpflichtet große Social-Media-Unternehmen in Deutschland dazu, illegale Inhalte von ihren Plattformen zügig und umfänglich zu entfernen. Von Beginn an wurde das Gesetz von einer kontroversen Debatte begleitet, weil Kritiker darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sahen und sehen. Auch Facebook selber hatte sich gegen die Gesetzesänderung gewehrt und in einer Stellungnahme erklärt, das Gesetz sei ungeeignet, um Phänomene wie Hate Speech zu bekämpfen.

Die Wissenschaftler aus London sehen dagegen das Risiko, dass das NetzDG die rechte Szene in geschlossene, alternative Plattformen drängt, die aktuell von dem Gesetz nicht reguliert werden. So verlieren politische Akteure tatsächlich einen Großteil ihrer Follower, wenn sie von etablierten Social-Media-Anbietern auf alternative Plattformen wechseln müssen. Allerdings lässt sich bei jenen Nutzern, die sich bei Telegram, VK oder Gab anmelden, um rechten Influencern weiterhin folgen zu können, im Anschluss eine deutliche Radikalisierung beobachten.

Zusammenhang mit rechtem Terror

Angesprochen wird in der Studie auch das Wechselspiel von rechten Terroranschlägen und Sozialen Medien. Über diese Verbindung wurde bereits nach den rechtsterroristischen Anschlägen von Halle, Christchurch (Neuseeland) und Poway (USA) diskutiert. Den Anschlag auf die Synagoge in Halle hat der Täter live auf Twitch übertragen, das Video wurde danach über Telegram verbreitet. Für seinen Anschläge wurde der Täter auf alternativen Plattformen - insbesondere auf 4chan - auch noch gefeiert.

Auch nach dem jüngsten Attentat in Hanau reagiert die rechte Szene im Netz mit Bewunderung für den Täter, während die Opfer des Anschlags auf einschlägigen Kanälen sogar verspottet werden. Erneut werden Alternativen zu den großen Social-Media-Plattformen genutzt, um das Bekennerschreiben zu verbreiten.

Dabei betonen die Wissenschaftler vom ISD einen Zusammenhang zwischen Gewalt gegen Minderheiten und politischer Agitation der Neuen Rechten. "Die Posts konzentrieren sich überproportional häufig auf die negativen Folgen der Immigration. Wie wir aus den Manifesten rechtsextremer Attentäter gelernt haben, können rechtsextreme Ideen wie die Verschwörungstheorie des 'Großen Austauschs' extremistische Gewalt und Terrorismus inspirieren, ohne aktiv zur Gewalt aufzurufen", meint dazu Julia Ebner, Extremismusforscherin und Autorin der Studie.

Darüber hinaus spielen alternative Plattformen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Desinformation, der koordinierten Belästigung von Politikern und bei der Organisation von sogenannten Meme-Kampagnen, mit denen Wahlen und politische Debatten beeinflusst werden sollen. In diesen Bereichen, die sich fernab von etablierten Strukturen der extremen Rechten bewegen, sind die bisherigen Maßnahmen gegen Hate Speech weitgehend wirkungslos.

Auch Tech-Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht

Aus ihrer Analyse leiten die Forscher Empfehlungen für Politiker und Tech-Firmen ab. Da sich Rechtsterrorismus schon seit einigen Jahren jenseits von festen Strukturen organisiert, solle die Politik sich im Umgang mit der extremen Rechten in Sozialen Medien nicht allein auf ein Verbot von rechtsterroristischen Gruppen verlassen. Laut ISD würden sich viele Social-Media-Unternehmen in Bezug auf die Rechtsdurchsetzung auf offizielle Verbotslisten von Regierungen oder den Vereinten Nationen verlassen, auf denen jedoch hauptsächlich islamistische Terrorgruppen zu finden sind. Deshalb seien demokratische Regierungen und nicht Privatunternehmen dafür zuständig, in Abstimmung mit Forschern und der Zivilgesellschaft festzulegen, welche rechtsextremen Influencer oder Communities im Internet die erforderlichen gesetzlichen Schwellenwerte überschreiten, damit ihre Inhalte entfernt oder ihre Accounts gesperrt werden können.

Die vielleicht größte Herausforderung bestehe jedoch in der Frage, wie mit der riesigen Menge an legalen Online-Inhalten zu verfahren ist, die zu einer gesellschaftlichen Stimmung beitragen, in der Rassismus und Hass gegen Minderheiten zur Normalität gehört. Um eine ungewollte Vernetzung rechter Akteure zu verhindern, müsse die technologische Architektur der Plattformen berücksichtigt werden. "Es ist wichtig zu verstehen, wie die alternativen Plattformen aufgebaut sind, wer sie betreibt und welche Dynamik sie haben, um Ansatzpunkte für einen geeigneten Umgang mit Rechtsextremismus im Internet zu finden." empfiehlt Sandra Breka, Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung, welche die Studie des Institute for Strategic Dialogue finanziert hat,

Darüber hinaus betonen die Autoren von "Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure" die Sorgfaltspflicht der Unternehmen, die für die Sicherheit ihrer Nutzer verantwortlich sind. Sie fordern einen besseren Schutz jener Menschen, die auf Sozialen Medien eingeschüchtert und belästigt werden. Gezielte Kampagnen, mit denen Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens zum Schweigen gebracht werden sollen, richten sich überproportional häufig gegen gesellschaftliche Minderheiten und Frauen. Für die Betroffenen fordert das ISD eine bessere juristische und psychosoziale Unterstützung sowie die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze.