"Im Internet spielt zufällige Nachrichtennutzung eine wichtige Rolle"

Internetnutzer leben nach einer empirischen Studie nicht in einer "Filterblase"

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Wer das Internet, soziale Medien und Suchmaschinen nutzt, bewegt sich oft in einer Filterblase - zumindest hört man es so immer wieder. Aber stimmt das? Forscher der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, der Hohenheim Universität und des Leibniz Institut für Sozialwissenschaft in Köln, haben in einer aufwendigen Studie die Internetnutzung von rund 5000 Studienteilnehmern analysiert. Das Ergebnis ist interessant. Laut Untersuchung kommen die Nutzer von Facebook und Google mit einer breiten Auswahl an Nachrichten in Kontakt. Im Telepolis-Interview geht der Kommunikationswissenschaftler Frank Mangold auf die Studie ein und erklärt, was die Ergebnisse bedeuten.

Herr Mangold, seit geraumer Zeit ist von dem Begriff "Filterblase" die Rede. Oft wird er im Zusammenhang mit dem Internet gebraucht. Demnach würden sich viele Nutzer des Internets in Filterblasen bewegen, also nur Webseiten nutzen, die ihre Meinung bestätigen. Ist es wirklich so einfach?

Frank Mangold: Ganz sicherlich nicht! Zumindest scheinen nach unseren aktuellen Studienergebnissen soziale Medien und Suchmaschinen eine andere Rolle bei der Nachrichtennutzung zu spielen als oftmals angenommen.

Was haben Sie in Ihrer Studie rausgefunden?

Frank Mangold: Aus der bisherigen Forschung ist hinlänglich bekannt, dass digitale Medien den Nachrichtenkonsum maßgeblich verändert haben. Dabei haben sich Debatten in vielerlei Hinsicht um die Befürchtung gedreht, dass sich die Nutzung von sozialen Netzwerkseiten und Suchmaschinen negativ auf die Vielfalt der genutzten Nachrichten auswirkt. Den algorithmischen Filtern dieser "Intermediäre" wird zugeschrieben, Nutzerinnen und Nutzern nur solche Informationen anzuzeigen, die ihren Interessen und Neigungen entsprechen. Diesen verbreiteten Annahmen widerspricht unsere aktuelle Studie.

Wie sind Sie und Ihre Kollegen überhaupt auf diese Studie gekommen? Hatten Sie den Verdacht, dass sich die Sache mit den Filterblasen vielleicht doch anders verhält?

Frank Mangold: Die Idee für die konkrete Studie ist in einem Telefonat mit einem meiner Koautoren entstanden. Nun ist es sicherlich nicht so, dass unsere aktuellen Ergebnisse vom Himmel gefallen sind. Ähnliche Tendenzen haben wir, aber auch Forscher der Universität Oxford bereits in früheren Studien gefunden. Bisherige Studien standen jedoch unter dem Vorbehalt, dass es sich um Umfragen handelte. Etwa ist aus der Methodenforschung bekannt, dass Befragte ihre Nachrichtennutzung oft überzeichnen, weil Nachrichtennutzung ein sozial erwünschtes Phänomen ist. Dieses Grundproblem haben wir nun behoben, indem wir uns auf Beobachtungsdaten gestützt haben.

Erklären Sie uns bitte: Wie sind Sie vorgegangen?

Frank Mangold: Konkret haben wir Daten von Marktforschungsinstituten bezogen, die Repräsentativpanels betreiben, um das Internetnutzungsverhalten kontinuierlich zu beobachten.

"Repräsentativpanels"? Also Sie meinen damit Personen, die bei den Marktforschungsinstituten registriert sind?

Frank Mangold: Ja. Konkret haben rund 5000 Studienteilnehmer eine Software installiert, die ihr Surfverhalten aufzeichnete. Das Vorgehen ähnelte also der Reichweitenmessung bei der Fernsehnutzung.

Die Studie ist also repräsentativ?

Frank Mangold: Die Studie kann gemäß geltenden wissenschaftlichen Standards als repräsentativ gelten. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass auch wir das Internetnutzungsverhalten nicht bis in den letzten Blickwinkel ausleuchten können. Beispielsweise konnten die Studienteilnehmer die Aufzeichnung ihres Surfverhaltens vorübergehend deaktivieren, um ihre Privatsphäre zu schützen. Über entsprechende Grenzen dürfen und wollen wir uns nicht hinwegsetzen. Insofern spielen also nicht nur technische Aspekte eine Rolle, sondern auch forschungsethische Gesichtspunkte.

Was haben Sie noch gemacht?

Frank Mangold: Neben einer genaueren Mediennutzungsmessung haben wir uns statistische Fortschritte zunutze gemacht. Diese Fortschritte sind wichtig, weil wir die Effekte von sozialen Medien und Suchmaschinen besser gegenüber den Einflüssen von Personenmerkmalen wie dem Nachrichteninteresse oder der politischen Ideologie isolieren können.

Was hat sich Ihnen dann gezeigt?

Frank Mangold: Konkret kamen Besucher von Facebook oder Google mit einer größeren Wahrscheinlichkeit mit Nachrichten und speziell auch Nachrichten aus einer größeren Vielfalt aus Quellen in Kontakt.

Wie kommt das?

Frank Mangold: Im Kern scheint die zufällige Nachrichtennutzung im Internet eine wichtige Rolle zu spielen. In traditionellen Medien wie Fernsehen und Zeitung sehen oder lesen Bürgerinnen und Bürger Nachrichten oft nur, wenn sie diese bewusst auswählen. Im Internet kommen Menschen auch zufällig mit Nachrichten in Berührung, so zum Beispiel, wenn ihre Kontakte Nachrichteninhalte teilen oder sie beim Abrufen von E-Mails auf interessante Artikel stoßen.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Ergebnissen?

Frank Mangold: Wir wollen in keiner Weise in Abrede stellen, dass Politik und Gesellschaft sich aktuell mit einer Vielzahl dringender Probleme und Herausforderungen konfrontiert sehen. Hierbei pauschal in sozialen Medien, Suchmaschinen und deren Algorithmen die Wurzel allen Übels zu sehen, scheint allerdings zu kurz zu greifen - und von vermutlich wichtigeren Problemursachen abzulenken.

Michael Scharkow, Frank Mangold, Sebastian Stier und Johannes Breuer: "How social network sites and other online intermediaries increase exposure to news.".