Flüchtlinge in der Falle

Migranten an der türkisch-griechischen Grenze. Bild: Screenshot von RT-Video

Die Türkei verstärkt ihre politische Erpressung mit dem Einsatz von 1.000 Spezialkräften an der Grenze zu Griechenland. Der EU fällt zum Problem nicht mehr ein, als der Türkei mehr Geld zu versprechen. Kommentar

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Was für eine fiese Situation: Die Lage der Personen im Niemandsland zwischen der türkischen und der griechischen Grenze ist bitter. Die griechischen Grenzwächter halten sie mit Waffengewalt auf Distanz. Der Übergang ist ihnen verwehrt. Und von türkischen Polizisten wird berichtet, dass sie Flüchtlinge mit Waffengewalt dazu zwingen, die Türkei zu verlassen.

Solche Berichte lassen sich Hunderte Kilometer entfernt nicht nachprüfen. Sie passen aber zur "großen Politik" des türkischen Präsidenten. Er übt mit Migranten Druck auf die EU aus. Sie soll ihn bei seinen Plänen in Syrien unterstützen. Die Bilder des Elends und Berichte über das Leid der Flüchtlinge sind kalkulierter Bestandteil dieses Vorgehens. Berichte von Nachrichtenagenturen über die Hintergründe in Syrien passen wiederum gut zur Agenda Erdogans.

Ein modellierter Schaukasten

Sie bestärken das Bild, dass Erdogan im Grunde auf der richtigen Seite steht, nämlich im Konflikt mit den eigentlichen und einzigen Verursachern dieser bösen Situation: Russlands Putin und Syriens al-Assad (weswegen man auch gerne gesehen hätte, dass die drei sich gegenseitig weiter bekämpfen und schwächen). Das Vorrücken des syrischen Militärs mit russischer Unterstützung in Idlib habe die Situation grundsätzlich herbeigeführt, wird dem Leser eines FAZ-Reuters/dpa/AFP-Bericht zu verstehen gegeben.

Die Rolle der Türkei wird dort hauptsächlich als unter Druck stehend und als Flüchtlingsaufnahmeland wiedergegeben: "Hunderttausende Menschen sind vor syrischen und russischen Angriffen auf der Flucht in Richtung türkische Grenze. Die Türkei, die bereits Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt, hatte mehrfach gewarnt, dass sie einen weiteren Flüchtlingszustrom nicht werde bewältigen können und wollen."

Wie in einer Modell-Eisenbahn wird eine Landschaft aus vorgefertigten Formen aufgebaut, die die Realität simuliert. Kein Wort über den langjährigen "Beitrag" der Türkei an den Kriegen in Syrien, die zur Flucht führen, an ihrer jahrelangen Unterstützung des bewaffneten Widerstands der Islamisten, Salafisten und Dschihadisten, kein Wort über die völkerrechtswidrigen Offensiven der Türkei in Syrien in der vergangenen Woche, im Oktober 2019 und im Januar 2018. Über ihre damit verbundenen Umsiedlungspläne und die Besatzungen.

Angesichts solcher Wirklichkeits-Schaukästen, wie sie der erwähnte Artikel exemplarisch präsentiert (es gibt viele andere, die auf dessen Ursachen-Wirkungs-Muster aufbauen), erscheinen die deutschen Unterstützungsangebote für die Türkei wie eine gute Idee. Außenminister Maas habe angekündigt, die Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten stärker zu unterstützen, heißt es in dem Bericht:

"Denn die Türkei ist weltweit das größte Aufnahmeland von Flüchtlingen, und eine faire Lastenteilung ist auch in unserem Interesse", sagte Maas am Donnerstag vor dem Abflug zum informellen EU-Außenministertreffen in Kroatien. Ebenso klar sei Deutschlands Erwartung, dass die Türkei sich im Gegenzug an das EU-Türkei-Abkommen halte.

FAZ

Egal, woher sie kommen

Zurück zur Situation der Flüchtlinge im Niemandsland. Wie viele es sind, dafür gibt es nur ungefähre Angaben, "einige Tausende oder mehrere Tausende" (Der Spiegel schreibt von "über Zehntausend"). Unklar ist auch, wie viele Flüchtlinge aus Syrien sich darunter befinden. Die UNHCR berichtet beispielsweise von "Syrern, Afghanen, Iranern, Sudanesen und anderen Nationalitäten". Auch das bestärkt die Annahme, dass Erdogan Flüchtlinge oder Migranten, egal woher sie auch kommen, dazu benutzt, um Unterstützung für sein Problem in Idlib zu erpressen.

Die Menschen, die in der Kälte ohne Obdach im Niemandsland festsitzen, werden laut UNHCR von Hilfsorganisationen mit dem Allernötigsten versorgt. Wie es aber für sie weitergehen soll, ist völlig offen. Sie können weder vor noch zurück. Die Türkei hat nun, wie es der oben erwähnte FAZ-Bericht meldet, "1000 zusätzliche Polizisten an die Grenze zu Griechenland" verlegt. Sie sollen nach Aussagen aus Ankara verhindern, dass die griechische Regierung Flüchtlinge zurückdrängt, die den Grenzfluss Evros überqueren wollen.

Was der Bericht nur andeutet, ist, dass es sich dabei um berüchtigte Spezialtruppen handelt, die bei Einsätzen - wie zum Beispiel im Januar 2018 in Afrin - stets bemüht sind, ihren Ruf, besonders harte Spezialisten zu sein, zu bestätigen.

Das Prinzip Härte

Härte ist aber auch das Prinzip der griechischen Gegenseite, die darin von der EU unterstützt wird. Niemand darf rein, mit nur wenigen Notfallausnahmen. Man will kein falsches Signal setzen, bloß nicht noch einmal 2015, auf keinen Fall irgendein Anzeichen dafür geben, das als "Pull-Faktor" verstanden werden kann. Auch Seehofers Vorschlag, ein Kontingent an Kindern aufzunehmen, wurde vom Bundestag abgelehnt. Auch in der EU ist man auf eine Positionierung bedacht, Vorschläge zur Aufnahme vor allem abzulehnen, statt sich eine situative unorthodoxe Aufnahmelösung auszudenken, die Erdogan den Wind aus seinem Erpessungsmanöver nehmen könnte.

Dass es ums Prinzip und eine Haltung geht, dominiert alles, dafür wird auch das Grundrecht auf Asyl zur Seite geräumt. Angst vor der nächsten Zuwanderungswelle ist die Grundlage (und für die Aussetzung anderer Grundrechte halten dann andere Ängste her?). Gleichzeitig wird in Twitter-Kommentaren darauf verwiesen, dass Gefühle - gemeint ist hier Mitgefühl - doch in der Politik keine Rolle spielen dürfen.

Anteilnahme aber doch schon und Solidarität mit Menschen, die in die Falle gelockt wurden, sollte ein Gemeingut sein. Mit dem Verweis auf die Erpressung Erdogans verschwindet deren Elend nicht.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die türkische Regierung Griechenland als "Schleuse" für ihre Erpressung ausgesucht hat, ein Land, mit dem man auch den anderen großen Konflikt um die Erdgasvorkommen im Mittelmeer austrägt. Warum nicht die bulgarisch-türkische Grenze? Auch das verfestigt den Eindruck, dass es sich um eine politische Erpressung handelt und die Flüchtlinge als Mittel zum Zweck verwendet werden.

Mehr Geld für die türkische Regierung?

Und das Argument Erdogans, dass die EU mit ihren Verpflichtungen aus der "Flüchtlingsvereinbarung" im Rückstand ist? Dazu gibt es widersprüchliche oder irritierende Angaben über die Zahlungen, die geleistet wurden, die jede Seite anders darstellt - und eine Gewissheit: Erdogan will mehr Geld, das an seine Regierung überwiesen wird. Die EU hat einen großen Teil der Gelder an Hilfsorganisationen oder NGOs bezahlt. Das will er ändern.

Insofern ist auch das Lösungsprinzip, auf das sich die EU zu einigen scheint, unterstützt von der deutschen EU-Kommissarin und deutschen Regierungspolitikern - "Mehr Geld an die Türkei" - eine ambivalente Angelegenheit, die weitere Erpressungsmanöver nicht ausschließt. Man müsste das Geld und die damit verbundene Verlängerung der Migrationsvereinbarungen zwischen der EU und der Türkei an Bedingungen knüpfen, die Erdogan vermutlich nicht zufriedenstellen.

Auf solche Angebote, wenn sie nicht mit größeren politischen Zugeständnissen (Syrien, Mittelmeer, Verfolgung von Kurden) gekoppelt werden, reagiert der türkische Präsident zuverlässig mit neuen Drohungen.