Das Virus, die Weltwirtschaft und das Klima

Bild: Vlad Busuioc/unsplash

Einige Bemerkungen zur Wechselwirkung von innerer und äußerer Schranke des kapitalistischen Weltsystems angesichts der zunehmenden Panik

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Endlich mal frei durchatmen, die Seele baumeln lassen, etwas zur Ruhe kommen - Corona sei Dank? Unter Ausblendung des menschlichen Leidens und der sozialen Panik, die die gefährlichste Pandemie seit vielen Jahrzehnten verursacht, scheinen die Stilllegungen von Produktionskapazitäten tatsächlich zu einer substanziellen Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen geführt zu haben.

Werden nur diese ökologischen Folgen der globalen Epidemie berücksichtigt, könnte sich der Gedanke festsetzen, das Virus stelle das perfekte Allheilmittel gegen die Klimakrise dar, an deren Lösung die kapitalistischen Politeliten seit Jahrzehnten immer wieder spektakulär scheitern. Diese problematische Sichtweise, bei der die verheerenden sozialen Folgen der Pandemie dem erhofften klimatischen Effekten untergeordnet werden, ist tatsächlich in Teilen der Klimabewegung, etwa bei der Gruppe Extinction Rebellion, zu finden.

Die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen, die mit der Verringerung von Warenproduktion und Distribution in China, der Werkstatt der Welt, einhergeht, hat bereits gigantische Ausmaße angenommen. Binnen weniger Wochen habe die staatskapitalistische "Volksrepublik" rund 100 Millionen metrischer Tonnen CO2 eingespart, berichtete das Magazin Time auf seiner Webpräsenz unter Verweis auf eine entsprechende Studie, die den diesjährigen Ausstoß mit dem Vorjahreszeitraum verglich. Diese Verringerung der Emissionen von Treibhausgasen entspreche in etwa dem jährlichen Ausstoß Chiles, hieß es weiter.

Ausgelöst wurde diese rasche Reduzierung der CO2-Emissionen durch die Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Epidemie in China von den dortigen Behörden erlassen wurden. Neben Reisebeschränkungen ist es vor allem der Stillstand in vielen Produktionszweigen, der zu dieser Entwicklung beitrug.

Die "Bilder leerer Städte" mögen die öffentliche Wahrnehmung der Epidemie im Westen dominieren, bemerkte Time, doch Chinas Energieverbrauch werde vor allem durch die warenproduzierende Industrie bestimmt, deren Verbrauch an Kohle und Öl aufgrund der Produktionsstilllegungen erheblich reduziert wurde.

Längst sind die ökologischen Folgen der Epidemie auf Satellitenbildern zu sehen, die einen enormen Rückgang der Luftverschmutzung in den chinesischen Industrieregionen verzeichnen. Die Lohnabhängigen in der staatskapitalistischen Volksrepublik, die es gewohnt sind, aufgrund der enormen Umweltverschmutzung mit Atemschutzmasken herumzulaufen, könnten nun tatsächlich mal frei durchatmen - wenn sie nicht der Epidemie wegen Schutzmasken tragen müssten.

Das chinesische Konjunkturpaket

Dennoch scheint es zweifelhaft, ob die Produktionsausfälle in der Werkstatt der Welt, die etwa einen großen Teil des auf schnellstmöglichen Verschleiß geeichten, kapitalistischen Elektroschrotts produziert, in diesem Jahr tatsächlich einen verringerten Treibhausgasausstoß verzeichnen wird, bemerkte Time. Die Regierung in China habe bereits ein Konjunkturpaket angekündigt, das sich vor allem durch gigantische Investitionen in die Infrastruktur die Wirtschaft erneut beleben wolle.

Dies werde wahrscheinlich dazu führen, dass am Jahresende die Emissionen von Treibhausgasen in China im Jahresvergleich doch noch größer sein werden, weil das Land Kohle und Öl verbrennen müsse, um mehr Stahl und Zement zu produzieren. Zudem soll die Produktion wieder schnellstmöglich hochgefahren werden, berichtete die Zeit, auch wenn die Epidemie in China noch lange nicht bewältigt ist.

Vor dem Hintergrund der eskalierenden Klimakrise wirkt dies Vorgehen somit absurd, regelrecht selbstmörderisch: Die Reaktion auf die sinkenden Emissionen von Treibhausgasen besteht darin, den Ausstoß durch klassische keynesianische "Pyramidenprojekte" wieder zu erhöhen, also den Fall der Industrieproduktion durch verstärkte Bautätigkeit auszugleichen.

Ähnliche Forderungen nach Konjunkturpaketen, mit denen der stotternde Wirtschaftsmotor wieder auf Touren gebracht werden soll, sind in der Bundesrepublik in der Diskussion. In der USA hat die Notenbank die Zinsen inzwischen so stark gesenkt wie während der Finanzkrise 2008, um so die konjunkturelle Wachstumsdynamik aufrechtzuerhalten.

History repeating?

Die Parallelen zum letzten großen Krisenschub des spätkapitalistischen Weltsystems, als die transatlantischen Immobilienblasen in den USA und weiten Teilen Europas platzten und die nachfolgenden Einbrüche der Konjunktur mittels gigantischer Konjunkturprogramme und exzessiver Gelddruckerei aufgefangen werden mussten, scheinen auch vielen bürgerlichen Beobachtern evident.

Es ließe sich gar argumentieren, dass die Pandemie nur den konkreten Auslöser darstellt, der eine labile, von inneren Widersprüchen zerrissene und auf beständig wachsenden Schuldenbergen fußende Weltwirtschaft in den nächsten Krisenschub stürzen lässt. Es ist nämlich keinesfalls sicher, dass die nun fieberhaft implementierten konjunktur- und geldpolitischen Maßnahmen das fragile globale Kartenhaus nochmal stabilisieren können.

Doch auch ökologisch scheinen die Parallelen zum letzten Krisenschub von 2008/09 offen zutage zu treten: Es gab bislang im 21. Jahrhundert genau ein Jahr, in dem der oberflächliche Eindruck entstehen konnte, die Reduktion der CO2-Emissionen wäre im Rahmen des spätkapitalistischen Weltsystems doch noch irgendwie möglich: Dies war im Krisenjahr 2009 der Fall. Tatsächlich gingen in diesem Jahr die globalen Emissionen von Treibhausgasen gegenüber dem Vorjahr deutlich zurück - um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Doch war dieser Rückgang schlicht auf die Weltwirtschaftskrise zurückzuführen, die alle wichtigen Wirtschaftsräume nach dem Platzen der transatlantischen Immobilienblasen in Europa und den USA heimsuchte. Als die Finanzmärkte im Gefolge der Pleite von Lehman Brothers einfroren, 2009 die Weltwirtschaftskrise voll ausbrach, die USA und Europa mit heftigen Konjunktureinbrüchen zu kämpfen hatten und die ersten Pauperisierungsschübe die amerikanische Mittelklasse und Südeuropas Krisenstaaten erfassten - nur dann gingen auch die Kohlendioxidemissionen global um 1,3 Prozent zurück. Offensichtlich sind nur heftige Rezessionen imstande, die Emissionen von CO2 zu senken.

Dabei war es gerade die "erfolgreiche" keynesianische Krisenbekämpfung, die diese Illusion eines kapitalismuskompatiblen Klimaschutzes sehr schnell zerstörte. Um den Absturz der Weltwirtschaft zur verhindern, haben die führenden Industrienationen und Wirtschaftsräume massive Konjunkturprogramme aufgelegt, bei denen kreditfinanziert Nachfrage generiert wurde - etwa bei Staatsinvestitionen in die Infrastruktur und den Immobiliensektor (China) oder bei Konsumspritzen wie der ökologisch unsinnigen deutschen "Abwrackprämie", bei der ältere PKW von ihren Besitzern verschrottet werden konnten, um dann Neufahrzeuge mit staatlichen Zuschüssen zu erwerben.

Das Ziel war dasselbe: Nachfrage für eine warenproduzierende Industrie zu schaffen, um deren konjunkturellen Absturz samt Massenarbeitslosigkeit und Verelendung zu verhindern. Die staatlichen Programme, die zur Aufrechterhaltung des stotternden kapitalistischen Konjunkturmotors aufgewendet werden, erreichten auf globaler Ebene tatsächlich enorme Dimensionen.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) bezifferte den weltweiten Umfang der staatlichen Konjunkturhilfen 2009 auf rund drei Billionen US-Dollar. Dieser gigantische staatliche Nachfrageschub entsprach laut IfW ca. 4,7 Prozent des Welteinkommens.

Diese Politik war somit global letztendlich dahingehend "erfolgreich", als dass der konjunkturelle Absturz - mit Ausnahme des von Berlin in die Depression getriebenen Südeuropas - verhindert werden konnte und trotz aller sozialer Erosionsprozesse, die vor allem die US-Mittelklasse dezimierten, eine langwierige Weltwirtschaftskrise nach dem Muster der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts - bislang - abgewendet werden konnte. Ökologisch war dieses erfolgreiche keynesianische Wirtschaftsmanöver aber schlicht verheerend.