Bayern: Gesundheits- oder Ermächtigungsgesetz in Rekordzeit durchgepeitscht

Beschlussfassung im locker besetzten Landtag. Bild: Bayerischer Landtag

Ein paar Spitzen konnte die Opposition noch brechen, aber es wurde deutlich, wie dreist die bayerische Regierung Demokratie und Grundrechte im Zeichen des Gesundheitsnotstands aushebeln wollte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der bayerische Landtag hat wie erwartet das "Bayerische Infektionsschutzgesetz" gestern durchgewunken, während in Berlin das neue Infektionsschutzgesetz mit ähnlichen Regelungen auf Bundesebene beschlossen wurde. Alle Fraktionen stimmten für das Gesetz, das am 27. März in Kraft tritt. Man wird also gleich sehen können, wie die bayerische Regierung, die in der Pandemie-Bekämpfung stets vorgeprescht ist und Bund und andere Landesregierung in Zugzwang brachte, die neuen Befugnisse handhaben wird. Wenn die Zahlen der Neuinfektionen und Todesfälle nicht deutlich zurückgehen, ist zu erwarten, dass die Landesregierung schnell den Gesundheitsnotstand ausrufen wird.

Immerhin wurde noch eingearbeitet, dass nicht der Ministerpräsident oder der Gesundheitsminister alleine den Gesundheitsnotstand feststellen kann, wie dies im Entwurf vorgesehen war. Jetzt muss das Kabinett nicht mehr den Gesundheitsnotstand ausrufen, sondern feststellen. Zudem kann auch der Landtag kann den Notstand beenden: "Der Landtag oder die Staatsregierung stellen das Ende eines Gesundheitsnotstands fest."

Bei einer Mehrheitsregierung dürfte der Landtag in der Regel der Staatsregierung folgen. die Feststellung eines Gesundheitsnotstands überlassen die Parteien der Regierung, die ja schnell handeln müsse: "Eine Einbindung im Vorfeld der Feststellung des Gesundheitsnotstands wird aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht rasch genug erfolgen können, um eine effektive Infektionsabwehr zu ermöglichen." Das kann schon mal erforderlich sein, obgleich der zunächst zögerliche Umgang mit der Coronavirus-Pandemie dafür kein Argument liefert. Man hätte jedoch fordern sollen, dass nach einer gewissen Zeit, sagen wir ein oder zwei Wochen nach der Feststellung, der Landtag dies überprüfen muss.

Auch wenn eine radikale Opposition in Notstandszeiten nicht vorhanden ist, weil niemand dafür verantwortlich gemacht werden will, möglicherweise dem Staat zu wenig Spielraum eingeräumt zu haben, haben alle Fraktionen dem Änderungsantrag zugestimmt, der eine Befristung des Infektionsschutzgesetzes verlangte. Wirklich begründet wird die Notwendigkeit des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes nicht, es heißt nur, sie habe sich "akut durch die fortschreitende Ausbreitung des Corona-Virus und die damit verbundenen Erkenntnisse herauskristallisiert". Aufgrund einer auch nicht näher beschriebenen "aktuellen Situation" sei

der Erlass des BayIfSG von besonderer Dringlichkeit und soll abweichend von den üblichen Schritten eines Gesetzgebungsverfahrens erfolgen, die eine umfassende Diskussion und auch Beteiligung von Verbänden und der Öffentlichkeit ermöglichen. Daher soll das Gesetz vorerst nur befristet bis zum 31. Dezember 2020 gelten. Bis zu diesem Zeitpunkt ist nach derzeitigem Stand zu erwarten, dass die bereits getroffenen Maßnahmen gegen das Corona-Virus Erfolge erzielen und dessen weitere Verbreitung einschränken.

Änderungsantrag

Die Demokratie und die "besondere Dringlichkeit" im Notstand

Die Aushebelung demokratischer Verfahren wird durch die auch wieder nicht begründete "besondere Dringlichkeit" begründet. In Bezug zur Möglichkeit, Beschlagnahmungen von Material auszuführen, wurde ergänzt, dass auch "Vormaßnahmen" möglich sind, d.h. Geschäftsräume dürfen "betreten" werden, um zu sehen, ob Material ganz allgemein zur "Sicherung der Gesundheitsversorgung" vorhanden ist. Explizit ausgeschlossen wird ein Betreten der Wohnung. Betriebe können nun gezwungen werden, benötigte Materialien herzustellen, was insofern eingeschränkt wurde, dass dies ihnen "technisch und wirtschaftlich" möglich sein muss. Pflicht bleibt unverändert, dass jeder benötigte Materialien, die über den Eigenbedarf hinausgehen, und jeder Betrieb, der sie ganz oder teilweise herstellen kann, melden muss. Und solche Materialien müssen dem Staat auf Verlangen zu einem behördlich festgesetzten Preis verkaufen, der dem entsprechen soll, für den sie vor der Infektionslage gehandelt wurden.

Feuerwehren und die freiwilligen Hilfsorganisationen müssen die Daten von aktiven und ehemaligen Mitgliedern bereitstellen, die über benötigte "medizinische oder pflegerische Kenntnisse verfügen" oder auch weit darüber hinausgehend, "die erforderliche Hilfe bei der Bewältigung des Gesundheitsnotstands leisten" können. Die Regierung wollte zunächst nur auf die Kassenärzte zugreifen. Das wurde nun durch den Änderungsantrag " auf sämtliche in Bayern tätigen Ärztinnen und Ärzte" erweitert. Über diese muss nun die Bayerische Landesärztekammer Auskunft geben, gleich ob sie aktiv sind oder bereits im Ruhestand. Werden alle oben angeführten Anordnungen nicht befolgt, gilt dies als Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldstrafe bis zu 500.000 Euro belegt werden kann.

Art. 6 macht dann die Macht anschaulich, die der zunächst von der Staatsregierung festgestellte Gesundheitsnotstand der Staatsregierung erlaubt: Jeder kann unter bestimmten Bedingungen gezwungen werden, bestimmte Arbeiten auszuführen. Dazu muss man wissen, dass die Feststellung des Notstands auch örtlich beschränkt sein kann, wobei aber benötigtes Material und Personal landesweit beschafft werden darf. Der ursprünglich vage und umfassende Art. 6 lautete:

Die zuständige Behörde kann von jeder geeigneten Person die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen, soweit das zur Bewältigung des Gesundheitsnotstands erforderlich ist. Sie kann jede geeignete Person unter gleichen Voraussetzungen auch zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung zuweisen und verpflichten.Gesetzentwurf

Nun wurde er insoweit eingeschränkt, "dass die zuständige Behörde auch eine Zuweisung an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung zur Erbringung von ausbildungstypischen Dienst-, Sach- und Werkleistungen anordnen kann. Eine Inanspruchnahme ist unzulässig, soweit die betroffene Person hierdurch in ihrer Gesundheit oder körperlichen Unversehrtheit unverhältnismäßig gefährdet wird. Die zuständige Behörde tritt an die Stelle der Katastrophenschutzbehörde."

Das ist schon deutlich enger auf benötigte Kompetenzen im medizinischen Bereich zugeschnitten, interessant wird aber sein, wie in einem Notstand eine unverhältnismäßige Gefährdung definiert wird. Wäre ein Kontakt mit Convid-19-Infizierten ohne ausreichende Schutzkleidung und Schutzmaske, wie dies jetzt mitunter von Pflegepersonal verlangt wird, nur eine Gefährdung oder schon eine unverhältnismäßige Gefährdung? Oder wäre es eine unverhältnismäßige Gefährdung, wenn sie nicht regelmäßig auf das Virus getestet würden?

Die Verpflichteten haben jetzt nicht nur einen Anspruch auf Entschädigung, wie zuerst vorgesehen, sondern sind "von Amts wegen zu entschädigen". Ein Einspruch gegen Anordnungen hat keine aufschiebende Wirkung. Die Staatsregierung kommentierte:

In Bayern ist ein Widerspruch nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO auch im Bereich des Infektionsschutzes nicht statthaft. Das Widerspruchsverfahren wird dennoch vorsichtshalber erwähnt, um die Dringlichkeit der Maßnahmen im Rahmen des Infektionsschutzes deutlich zu machen und diesbezüglich keine Fragen offen zu lassen.

Gesetzentwurf

Dem verabschiedeten Gesetz wurde noch eine Regelung für die Stichwahlen angefügt, die nur als Briefwahl durchgeführt werden, sowie ein neuer Art. 10, der es in sich hat, weil er die Einschränkung von Grundrechten legitimieren soll: "Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Freizügigkeit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 11 des Grundgesetzes, Art. 109 der Verfassung) können auf Grund dieses Gesetzes eingeschränkt werden."

Gesundheitsministerin Melanie Huml. Bild: Bayerischer Landtag

Wirkliche Opposition nur von einem fraktionslosen Abgeordneten

Abgelehnt wurden die Änderungsanträge der AfD, die in diesem Fall keineswegs abwegig waren. Hier wurde gefordert, dass das Personal im Gesundheitswesen die Möglichkeit haben soll, "sich im Falle eines Gesundheitsnotstands selbst engmaschig und regelmäßig auf mögliche Erreger testen zu lassen". Im Hinblick darauf ist die Einschränkung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit schon bedenklich, da dann auch die etwaigen Zwangsverpflichteten nicht die Möglichkeit haben sollen, sich regelmäßig testen zu lassen, was auch hieße, entsprechende Vorsorge zu treffen. Unverständlich ist auch, warum die andere Forderung, dass die "nach diesem Gesetz erhobenen personenbezogenen Daten spätestens zwei Monate nach Beendigung des Gesundheitsnotstands von den Behörden zu löschen" sind, abgelehnt bzw. nicht in dieser oder einer anderen Form aufgenommen wurde.

Ein Sternstunde für die Demokratie war das Durchpeitschen des Infektionsschutzgesetzes sicherlich nicht. Allerdings machte das Gesetzgebungsverfahren wieder einmal deutlich, wie unverfroren Regierungen sich Machtbefugnisse aneignen wollen, also wie wichtig Opposition ist, auch radikale. Der "noch nie dagewesenen Gesundheitsnotstand" soll das Notstandsgesetz begründen, erklärte Gesundheitsministerin Melanie Huml. Ihre Botschaft war über die Einschränkungen des Gesetzes hinweg, die sie überspielte: "Ich darf jeden Einzelnen an der Stelle noch mal ermutigen, daran zu denken: Bleiben Sie zu Hause! Halten Sie Abstand! Waschen Sie mehrmals täglich richtig Ihre Hände! Das ist so wichtig. "

"Wir wollen bestmöglich auf steigende Fallzahlen vorbereitet sein", erklärte Bernhard Seidenath (CSU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses. Die Regelungen sind nach ihm "angemessen und notwendig". Auch der Koalitionspartner sieht keine Bedenken. Das Gesetz habe den einzigen Zweck, das Leben der Menschen in Bayern zu schützen, sagte Florian Streibl, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler.

Ist das Verhalten der Regierungsparteien erwartbar, ist das der Opposition enttäuschend, auch wenn ein paar nicht unwesentliche Korrekturen zusammen mit Abgeordneten der CSU und der Freien Wähler im Änderungsantrag durchgesetzt wurden. Das Gesetz sei mit Schnelligkeit, aber in Sorgfalt erarbeitet worden, sagte etwa Andreas Krahl von den Grünen. Die von den Grünen eingebrachten Änderungen seien umgesetzt worden, ansonsten sei das Gesetz mit "heißer Nadel gestrickt" und müsse nach der Corona-Krise überprüft werden: "Nach Corona wird auch die Zeit beginnen, in der genau darauf geachtet werden muss, den Bürgerinnen und Bürgern alle ihnen zustehenden Freiheiten wieder zu garantieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Versprechen: Wir GRÜNE im Bayerischen Landtag werden darauf akribisch achten."

Auch für Horst Arnold von der SPD wurde die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament aufrechterhalten, weil wichtige Änderungsvorschläge noch eingearbeitet worden seien: "Das Stichwort lautet Solidarität. Ich hoffe deswegen, dass keine besonderen Situationen auftreten, die es notwendig machen, dieses Gesetz anzuwenden." Martin Hagen der Fraktionsvorsitzende der FDP sprach gar von einer "Sternstunde des Gesetzgebungsverfahrens in Bayern", weil das Gesetz innerhalb von 6 Tagen substantiell verändert und verbessert worden sei: "Augenmaß, parlamentarische Kontrolle und zeitliche Befristung."

Richard Graupner von der AfD meinte, die AfD bleibe weiter eine Oppositionspartei, aber man trage "sämtliche Maßnahmen der Staatsregierung, die dem Schutz der Bürger dienen, solange diese zwingend notwendig sind", mit. Schuld für ihn hat der "ungehemmte, grenzen- und schrankenlose Globalismus": "Wir werden in Zukunft wieder ernsthaft über eine Stärkung nationaler und regionaler Standorte und Wirtschaftskreisläufe nachdenken müssen." Die Nationalstaaten seien die Rettung.

Widerstand gab es nur von einem Abgeordneten, nämlich von Markus Plenk, der aus der AfD ausgetreten und jetzt fraktionsloser Abgeordneter ist. Das mag auch darauf verweisen, welches Korsett der Fraktionszwang ist, der eine freie Entscheidung der Abgeordneten verhindert. Plenk stimmte den Maßnehmen der Regierung zu, aber sieht keine Gründe, ein solches Notstandsgesetz einzuführen:

Die aktuell getroffenen Maßnahmen - geschlossene Bildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen und die Einschränkung der Kontaktmöglichkeiten sowie der Versammlungsfreiheit der Bürger - sind aktuell leider notwendig. Was hingegen absolut nicht notwendig ist, das ist ein Bayerisches Infektionsschutzgesetz. Mit diesem Gesetz erhält die Staatsregierung weitreichende zusätzliche Befugnisse, die weder verhältnismäßig noch zielführend sind.

Markus Plenk

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.