In der Lombardei gibt es viel mehr mit Corona verbundene Tote als offiziell gemeldet

Bergamo. Bild: Eric Hossinger/CC BY-2.0

Im italienischen Covid-19-Hotspot ist eine Übersterblichkeit dokumentiert, auch EuroMOMO meldet für Italien und Spanien eine sehr hohe, in Großbritannien eine hohe Exzessmortalität

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Untersuchungen der Sterbefälle der Provinz Bergamo, die in Italien am stärksten von der Coronavirus-Epidemie betroffen ist - 63 Prozent der Todesfälle in Italien - , bestätigen Studien von anderen Orten, dass die offiziell genannten Zahlen für die an und mit Covid-19 Gestorbenen zu niedrig sind. Das hätte die Konsequenz, dass die Virusinfektion lokal gefährlicher sein kann, als bislang angenommen.

Thomas Schuster hatte auf Telepolis "Im Blindflug durch die Pandemie bereits auf eine Untersuchung über das Städtchen Nembro (11.500 Einwohner) in der Provinz Bergamo hingewiesen. Der Arzt und jetzige Bürgermeister von Nembro, Claudio Cancelli, und Luca Foresti, der Leiter des Centro Medico Santagostino, haben sich die Todeszahlen vom 1. Januar bis 19. März näher angeschaut und sie in einem Beitrag für den Corriere della Sera mit der Todesrate im vorhergehenden Jahr verglichen.

Offiziell erfasst wurden bis zum 19. März 31 Tote, die positiv auf den Covid-19 getestet wurden. Nach den vorhergehenden Jahren müsste man für diese Zeitspanne mit durchschnittlich 35 Todesfällen rechnen. Die lokalen Behörden verzeichneten aber in diesem Zeitraum 2020 insgesamt 158 Todesfälle. Das sind 123 mehr, als zu erwarten wären.

Exzessmortalität in einigen EU-Ländern

Dadurch ist klar, dass hier viermal mehr Menschen als in den Jahren zuvor gestorben sind, also ein deutlicher Hinweis darauf, dass diejenigen, die weiterhin von Covid-19 als ganz normaler Grippe sprechen und gerne auf EuroMOMO verweisen, wo europaweit etwa in der Woche 23.03. bis 29.03.2020 keine Übersterblichkeit (Exzessmortalität) zu sehen ist, falsch liegen. Auch EuroMOMO stellt aber für diese Zeit fest, dass in Italien und Spanien im Vergleich zur selben Woche 2017 eine sehr hohe Exzessmortalität vorliegt, in Großbritannien und der Schweiz eine hohe, in Belgien etwas mehr als erwartet.

Ausgeprägt ist die Übersterblichkeit bei den Über-65-Jährigen in Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Belgien und in der Schweiz. Frankreich, Portugal, Irland oder die skandinavischen Ländern weisen hingegen keine Übersterblichkeit auf. Zahlen lagen offenbar aus Deutschland und anderen Ländern nicht vor. Euromomo: "Pooled estimates from the EuroMOMO network show excess all-cause mortality, overall, for the participating countries; however, this pooled excess mortality is driven by a particularly high excess mortality in some countries, primarily seen in the age group of 65 years and above."

Claudio Cancelli und Luca Foresti spekulieren, dass dann, wenn alle Bewohner von Nembro infiziert seien, viele asymptomatisch, dann würden die 158 Toten an Exzessmortalität eine Infektionssterblichkeit von 1 Prozent darstellen. Eine Studie, die in The Lancet am 30. März veröffentlicht wurde und Covid-Fälle von China und 37 weiteren Ländern untersuchte, kommt auf eine Infektionssterblichkeit von 0,66% (0,39-1,33%), die mit zunehmendem Alter steigt. Cancelli und Foresti schreiben, sie hätten sich auch die Todeszahlen in Cernusco sul Naviglio (Mi) und Pesaro angeschaut. Hier sei die Zahl der anormalen Todesfälle 6,1 bzw. 10,4 mal so hoch gewesen wie die offiziell gemeldeten Covid-19-Sterbefälle.

Die die statistische Erwartung übersteigenden Todesfälle müssen natürlich nicht nur Covid-19 zugerechnet werden, zumal auch bei den offiziell Gemeldeten nicht klar ist, ob sie an oder nur mit der Infektion gestorben sind. Die höhere Zahl der Toten kann neben der Coronavirus-Pandemie mit dem überforderten Gesundheitssystem zu tun haben, durch das auch andere gefährdete und alte Patienten in den Krankenhäusern nicht entsprechend behandelt werden konnten, zumal viele Haus- und Krankenhausärzte selbst infiziert sind. Unversorgte und unbehandelte Menschen Zuhause oder in Altersheimen könnten vermehrt gestorben sein.

Dass insgesamt die Covid-19-Todeszahlen in ganz Italien vierfach so hoch sein könnten, wie Cancelli und Foresti suggerieren, lässt sich aus den Zahlen aus drei Städten in der am stärksten belasteten Provinz Bergamo nicht herleiten und ist auch abwegig. Vermuten könnte man aber, dass auch in anderen Hotspots wie in der Emilia-Romana oder etwa auch in Spanien die Lethalität unterschätzt worden sein könnte.

In Bergamo gab es im März gegenüber 2019 eine Übersterblichkeit von 4500

Dass in Bergamo die Sterblichkeit die gemeldeten Covid-19-Todesfälle übersteigt, bestätigt eine Untersuchung der Zeitung L'Eco di Bergamo und der Statistikfirma InTwig. Ausgewertet wurden die Todesfälle im März in der Provinz mit etwa 1,1 Millionen Bewohnern. Offiziell wurden 2060 Todesfälle mit Covid-19 verbunden.

Insgesamt starben in der ganzen Provinz im März 5400 Menschen, wovon im Vergleich zum Vorjahr, wo im März 900 Menschen starben, 4500 direkt oder indirekt auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen seien. Das würde bedeuten, dass die Todeszahl doppelt so hoch wäre, wie offiziell gemeldet. Das ist kein Testfehler, wie Anhänger etwa von Wodarg sagen, sondern ein Zähl- und Einordnungsfehler, der die Gefährlichkeit in Hotspots unterschätzt hat.

In Bergamo selbst gab es im März 533 Todesfälle, 2019 waren es 125. Als Covid-19-Todesfälle wurden 201 aufgelistet, die weiteren 227 übersterblichen Todesfälle bleiben damit unerklärt. Viele ältere Menschen seien in ihrem eigenen Bett oder in Pflege- und Altersheimen gestorben. Auch wenn sie eindeutige Corona-Symptome gezeigt haben, wie Ärzte und Familienangehörige berichtet hätten, sei kein Test gemacht worden.

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