Covid-19: Klein gegen Groß

Der Hebel umgelegt, die Maschine stockt. Bürokraten katapultieren eine kapitalistische Industrienation zurück in die Vormoderne. Wir landen derweil per Verordnung in häuslicher Zwangsverdummung

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Der Virus bewerkstelligt gerade das, was kein Geheimdienst dieser Welt hinkriegen könnte. Klein gegen Groß: Ein Winzling legt uns alle lahm. Die Wirtschaft ächzt, Politik hält mit Mühe die Ordnung aufrecht. Vorsorge war nicht viel, Minister und Virologen erklären alles Mögliche und Unmögliche, ein brutal kommerzialisiertes Gesundheitssystem fährt derweil am Limit.

Immerhin, die Naturwissenschaft hat plötzlich Saison. Nachdem man den SARS voreilig zur Ruhe gebettet hatte, weckt Covid-19 die Weißkittel aus dem Schlaf und alle suchen hektisch nach einem Allheilmittel gegen Corona, die Menschheit ruft nach einem Impfstoff. Aber der seuchenbedingte Stillstand offenbart zugleich so einiges über unser modernes Leben, das erkennbar rasch in eine Schieflage gerät.

Definitiv: Jetzt sind wir dran. Die Seuche hat Europa im Würgegriff.

Gevatter Tod, ein Begleiter der menschliche Existenz

Über Jahrhunderte war das Leben der Menschen in Mitteleuropa und auch sonst auf dem Planeten Erde nicht besonders abwechslungsreich - und der Takt nicht besonders schnell. Eher bestimmten die Jahres- und Tageszeiten den Modus Vivendi, Naturzyklen zusammen mit den Arbeitsrhythmen, flankiert von eingespielten Sitten und Gebräuchen, die Sicherheit boten. Krankheiten, Katastrophen und den Tod (Freund Hein, Gevatter Tod, den Sensenmann) nahm man im religiösen Kontext wahr, so wurde die menschliche Existenz ge- und erlebt.

Die rotierende Weltmaschine 2020 wird derzeit auf Null gestellt, mancherorts fragt man sich inzwischen nach der Verhältnismäßigkeit. Wir leben eben nicht mehr im Mittelalter. Unser schnelllebiges, driftendes, rücksichtslos mobiles und arbeitsteiliges Dasein ist ja gewollt und findet breite Akzeptanz, im Wissen auch um die Kollateralschäden, von Ressourcen- und Umweltverbrauch bis hin zur ausbeuterischen und gewaltaffinen Konzeption der ganzen Sache, wir lebten und leben gut damit und davon.

Jetzt also Stopp. Der Hebel umgelegt, die Maschine stottert. Überforderte und großenteils völlig inkompetente Politiker, die in der Krise mangels ausgedachter Konzepte vorwiegend autoritär auftreten, katapultieren eine kapitalistische Industrienation per Verordnung zurück ins Mittelalter. Wir werden gerade zwangsrekrutiert, als angebliche Kämpfer gegen den Feind. Fernsehsender blenden beseligende Spruchtäfelchen ein, Emoticons haben Konjunktur. Wir halten alle zusammen! Auf Distanz natürlich.

Verblödung, bürokratisch verordnet

Die Widersprüche fallen kaum ins Gewicht. Wir verblöden, bürokratisch gewollt. Die Bänder stehen still, Heimarbeit ist angesagt. Eben noch wild shoppende Haus- und latteschlürfende Bürofrauen sinnieren plötzlich über die Vorteile von Homeoffice und eingelegten Gurken. Der Staatsrundfunk interviewt schon früh um 08:00 gestresste Mütter, lobt ihren Einsatz an der Heimatfront und lässt euphorische Moderator/Innen ausgediente Gesellschaftsspiele vorstellen, die unsre lieben (geräteverwöhnten) Kleinen in Schach halten sollen.

Manche Väter stellen plötzlich mit Erstaunen überhaupt fest, dass sie Kinder haben und entdecken ihren Erziehungsauftrag. Firmenbosse dagegen stellen dank Corona fest, dass der geheiligte Büroarbeitsplatz im Unternehmen samt Stempeluhr und permanenter sozialer Kontrolle eigentlich schon längst ein Auslaufmodell war (na, was die Kontrolle angeht, findet eher kein Umdenken statt …).

Eine Nation in der Zwangsverdummung. Die Infantilisierung erreicht ihren Gipfelpunkt, wenn in flach produzierten Werbespots Menschen reihenweise ihre Arme über den entleerten Köpfen zu einem "Dach" zusammenlegen, das irgendetwas aussagen soll. Vermutlich Angst vor einem Dachschaden.

Das Coronavirus jedenfalls wird nicht von verordneten Gesten gestoppt, die aus der PR-Agentur stammen, es fällt auch gar nicht vom Himmel. Er ist höchst irdisch. Er verbreitet sich in einem kranken, arroganten System, das schon ohne Corona mörderische Züge trägt und permanent den Tod hervorbringt. Wohlgemerkt, nicht den "natürlichen", sondern den künstlichen, vorzeitigen Tod. Auch, wenn der im Normalfall in andere Gegenden ausgelagert ist.

Zweifel am Weltgetriebe? Eher nicht

Jetzt also sind wir dran. Die Seuche hat Europa im Würgegriff. Das Leben en masse daheim, der Ausnahmezustand. Es passt nicht zur Lebensform, an die wir gewöhnt und angepasst sind. Die Masse ist auf Unterwegssein getrimmt, die Norm, die wir kennen. Wir definieren das jetzt als Pause, nicht als Reset. Klar reden wir als Ehemänner jetzt öfter auch mal mit der eigenen Frau. Klar erfährt auch der Hartgesottendste abends beim Bier oder beim Rotwein hier und da eine Anwandlung, befallen uns in der Wohnstube gelinde Zweifel am Weltgetriebe. Aber unser Denken verändert das nicht. Nicht vor Ostern, und vermutlich auch nicht danach, falls die Oberen sagen, bleibt mal weiter zuhaus.

Denn irgendwann geht es weiter. Das hoffen alle, mit oder ohne Hand über dem Schopf. Sicher, einige Gutmeinende fordern nachhaltiges Umdenken. Die Maschine stockt; aber an den Hebeln warten sie, die eifrigen Maschinisten, die Systembeschwörer, die Priester der privilegierten Wissenschaft, die Macher und Profiteure. Da hocken sie, grauröckig und startbereit, frei nach Nietzsche hocken sie da wie eh und je, mitsamt ihrer viereckigen kleinen Menschenvernunft.