Luxemburg: Seit dem 1. März 2020 sind Bus, Bahn und Tram kostenlos

Vize-Premier und Verkehrsminister von Luxemburg Francois Bausch (Grüne) über seine Verkehrsrevolution

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Unter globalem Medieninteresse läutete Luxemburg als erstes westliches Industrieland die Verkehrswende ein: Seit dem ersten März-Wochenende ist im Lande die Benutzung von Bahnen, Bussen und der Straßenbahn kostenfrei für alle, und das nicht nur im Nahverkehr der Städte und des ÖPNV. Ausgenommen sind nur bestimmte Nachtfahrten sowie die Benutzung der 1. Klasse.

Francois Bausch ist Vize-Regierungschef des Großherzogtums Luxemburg und Innenminister, Verteidigungsminister und Verkehrsminister in einer Koalition aus der Demokratischen Partei (DP), der Sozialistischen Arbeiterpartei (LSAP) und den Grünen, "Dei Greng" (auf Letzeburgisch). Sein Kollege Jean Asselborn (LSAP) ist Außenminister und Einwanderungsminister (zudem Vize-Präsident der Europäischen Sozialdemokraten) und neben dem EU-Kommissionspräsidenten a.D. Jean-Claude Juncker einer der bekanntesten Protagonisten für eine weltoffen zu gestaltende Europäische Union (EU).

Herr Vize-Premier, Monsieur Bausch, warum ist denn gerade Luxemburg das erste Land in Europa, das diese Reform des ÖPNV einführt?

Francois Bausch: Der kostenlose öffentliche Transport für alle war ein Bestandteil des Wahlprogramms der drei Parteien, die seit Oktober 2018 die neue Regierung bilden. Die Maßnahme wurde dementsprechend im Regierungsprogramm aufgenommen und wird jetzt umgesetzt. Luxemburg entspricht ja flächenmäßig gesehen eher einem größeren Ballungsgebiet. Das macht den Entscheidungsprozess, die Mittel einfach unter den Menschen zu verteilen oder aber sinnvoll zu investieren, um Einiges leichter.

Und was ist die Grundidee hinter dem Vorhaben?

Francois Bausch: Das Projekt ist vor allem eine doppelte soziale Maßnahme, die einerseits für Geringverdiener ein Plus im Geldbeutel bedeutet und andererseits, da durch Steuergelder finanziert, breite Schultern stärker belastet als schmale.

Auch gesamtgesellschaftlich ist es ja so etwas wie eine Demokratisierung der Gesellschaft: Gleiches Recht für alle, ob reich oder arm?

Francois Bausch: Genau. Die Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports ist eine wichtige gesellschaftliche Maßnahme. Man könnte es als das soziale Sahnehäubchen auf dem Kuchen der globalen Strategie für eine multimodale Revolution bezeichnen. Außerdem möchten wir all den Menschen Anerkennung zollen, die sich heute schon für den öffentlichen Transport entschieden haben.

Wird das allgemeine Recht auf freie Mobilität in Europa mit Bus&Bahn denn Ihrer Meinung nach nicht genug gewürdigt - "Freie Fahrt für freie Bürger", mal andersherum?

Francois Bausch: Ich sehe es als konsequente und kontinuierliche Investitionen, als conditio sine qua non zur Förderung der Attraktivität des öffentlichen Transports. Das Angebot, die Pünktlichkeit und die Qualität der Dienstleistungen sind entscheidend, wenn es darum geht, die Menschen dazu zu bewegen, ihre Gewohnheiten zu ändern und vom Privatauto auf den öffentlichen Transport umzusteigen. Dessen müssen wir uns in Europa bewusst werden und dementsprechende politische Entscheidungen treffen, die nicht immer sehr bequem sind, aber nur so können wir das Grundrecht auf freie Mobilität gewährleisten.

Aber muss der Verkehr wirklich allgemein umgestellt werden, um den "Krieg auf den Straßen" zu beenden?

Francois Bausch: Es herrscht kein Krieg auf unseren Straßen, aber eine zunehmende Inertie. Eine Verbesserung dieser bedenklichen Parameter erreichen wir nur durch ein multimodales Verkehrskonzept: das Auto intelligent mit dem öffentlichen Transport und der aktiven Mobilität verbinden.

In Berlin, Mailand, Zürich, Barcelona, Warschau oder Hamburg wird ja zur Zeit ein massiver Aufwand betrieben mit großen Kontrollkampagnen gegen Schwarzfahrer. In Luxemburg bedeutet die Reform zwar weniger Aufwand, aber Kosten. Wird es sich auszahlen - für Luxemburg, für alle?

Francois Bausch: Aktuell betragen die Einnahmen des ÖPNV durch Ticketverkauf in Luxemburg jährlich 41 Mio. €. Das sind etwa 8% der jährlichen Gesamtkosten, die sich momentan auf über 500 Mio. € belaufen. Diese werden also ab diesem Jahr wegfallen. In Anbetracht der Summen, die in andere Bereiche, z.B. Infrastrukturen, investiert werden, ist dieser Betrag eher geringfügig und macht es Luxemburg einfacher als anderen Ländern, die Maßnahme umzusetzen. Der Wegfall der Einnahmen ist im Staatsbudget vorgesehen und wird wie alle anderen Leistungen auch, mit Steuergeldern finanziert.

Planen Sie weitere Reformen in diesem Bereich?

Francois Bausch: Nach der Planungsphase sind jetzt die meisten Projekte dieses Konzepts in der Umsetzung: der konsequente Kapazitätsausbau des nationalen Schienennetzes, eine Verdopplung der aktuellen P+R -Parkplätze - vornehmlich an den Grenzen, damit die 200.000 Pendler, die täglich nach Luxemburg kommen, komfortabel umsteigen können -, Fahrgastinformation in Echtzeit, die komplette Neugestaltung des nationalen Busliniennetzes mit Umstellung der Flotte auf alternative Antriebe bis 2030, der Ausbau der elektrischen Ladestationen für PKW landesweit auf 1600 Einheiten bis Ende 2020, ein zusammenhängendes Radroutennetz, der weitere Ausbau der regionalen Straßenbahn, die Nutzung einer zukünftigen 3. Spur auf unseren Autobahnen für Carpooling und Busse … all dies sind Projekte, die weit fortgeschritten sind und somit die Zutaten des multimodalen Kuchens bilden.

Die städtische Straßenbahn (Stater Tram) in Luxemburg, die 2017 eröffnet wurde. Bild: Smiley.toerist / CC-BY-SA-4.0

Einige betrachten Sie ja als "Revolutionär" - sind Sie revolutionär?

Francois Bausch: Ich habe das aktuelle System in Frage gestellt. Wir müssen das System ändern. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Die Antwort darauf ist unser multimodales Verkehrskonzept.

Was kann die Welt denn noch von Luxemburg lernen?

Francois Bausch: Dass ein Systemwechsel unausweichlich ist. Ein Umdenken bei den Menschen erreichen wir nur durch Investitionen in die Infrastrukturen. Der öffentliche Transport hat eine Chance, aber nur wenn die Qualität stimmt.