Verbot von Kurzreisen über Ostern

Rechtsprofessor Jungbluth: "Die mündliche Aufforderung der Bundeskanzlerin hat keinerlei Rechtsverbindlichkeit"

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"Das sind Grundrechtseinschränkungen in Wild-West-Manier, oder, um es juristischer auszudrücken, vollkommen willkürliche Maßnahmen", sagt Professor Dr. David Jungbluth im Telepolis-Interview. Jungbluth, Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences, kritisiert mit scharfen Worten die massiven Eingriffe der Bundesregierung in die Grundrechte (In Krisenzeiten haben Grundrechte keinen Ausschalter).

Insbesondere die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach Kurzreisen über Ostern nicht drin seien, hält der ehemalige Staatsanwalt für hochproblematisch. Er sieht eine Kompetenzüberschreitung der Kanzlerin. Ebenso scharf kritisiert Jungbluth das Bundesverfassungsgericht, dass bisher von der Möglichkeit einer "Vorabentscheidung" bei entsprechenden Verfassungsbeschwerden gegen die Einschränkung der Grundrechte keinen Gebrauch gemacht habe (Justizkritik). Das Bundesverfassungsgericht "duckt sich weg", sagt Jungbluth.

Herr Jungbluth, Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Ansprache vom 3. April folgendes zu den Bürgern in Deutschland gesagt: "Und noch eines und bitte nehmen Sie auch das ernst: Auch Kurzreisen innerhalb Deutschlands, an die See oder in die Berge oder zu Verwandten, kann es dieses Jahr über Ostern nicht geben." Wie bewerten Sie diese Aussage als Jurist? Hat die Bundeskanzlerin ihre Kompetenzen überschritten?

David Jungbluth: Auch wenn mich nach den Erfahrungen der letzten Wochen im Umgang mit dieser Krise eigentlich nur noch wenig erstaunt, muss ich sagen, dass mich diese Aussage doch, gelinde ausgedrückt, in ihrer Generalität etwas irritiert hat.

Warum? Wo setzt ihre Kritik an?

David Jungbluth: Zunächst ist einmal ganz praktisch die Frage zu stellen, wo die Sinnhaftigkeit dieser Ansage in medizinischer Hinsicht liegen soll. Ich bin kein Mediziner, aber ich verfüge, hoffe ich zumindest, über einen weitestgehend rational arbeitenden Verstand. Wenn sich eine Person an Ostern vor die Tür begibt und mit ihrem Auto alleine in den Schwarzwald fährt, also in einem vor Infektionsgefahren für sich und andere vollkommen geschützten Raum, und am Zielort einen Spaziergang unternimmt, ist darin kein unzulässiges Unterfangen zu sehen. Das gilt selbst dann, wenn die alleine autofahrende Person nicht der skurrilen Tendenz folgt, sich mit Atemschutzmaske ans Steuer zu setzen.

Im Gegenteil wäre eine dem Appell der Kanzlerin folgende Radfahrt durch den heimischen Stadtwald mit einem deutlich höheren Infektionsrisiko verbunden, je nachdem, wie oft man dort engerem Kontakt mit Freunden, Bekannten und Unbekannten nicht immer ausweichen kann - im Gegensatz etwa zu einer einsamen Wanderung auf menschenleeren Schwarzwaldhöhen. Für den Spaziergang im heimischen Stadtpark sprechen lediglich, im Vergleich zur Autofahrt, Umweltgesichtspunkte - an diese hat die Kanzlerin aber auch an dieser Stelle vermutlich weniger gedacht.

Die Bundesregierung könnte einwenden, dass nach den geltenden landesrechtlichen Verfügungen und Verordnungen Hotels und Pensionen geschlossen haben, so dass Übernachtungen dort rechtlich ausgeschlossen sind.

David Jungbluth: Das könnte sie, aber mittlerweile dürfte sich herumgesprochen haben - auch ganz ohne kanzleramtliche Erinnerung -, dass Hotels, Pensionen und dergleichen keine Touristen beherbergen dürfen. Hinzu kommt: In zahlreichen Landesregelungen sind Ausnahmen für den persönlichen Bereich vorgesehen, zum Beispiel für Besuche von Ehe- und Lebenspartnern sowie für Besuche von Trennungskindern bei Familienmitgliedern. Zumindest teilweise sind wohl auch Besuche zwischen Verwandten gerader Linie (also Eltern, Kinder, Großeltern etc.) zulässig.

Die Aussage der Kanzlerin war, wie Sie sagten, sehr pauschal.

David Jungbluth: So ist es. Keinen differenzierten Gedanken hat die Kanzlerin offensichtlich auch an die Frage verschwendet, wie sich Menschen auf einer österlichen "Kurzreise" konkret verhalten werden, wie hoch also die Wahrscheinlichkeit sein könnte, dass sie an ihrem Reiseziel gegen Anordnungen verstoßen, die sie in heimischer Umgebung beachtet hätten. Schon aus dieser Sach- und Rechtslage resultiert auf keinen Fall ein zwingendes kategorisches "Ausflugsverbot" an den Feiertagen, wie es die Kanzlerin mit ihren wieder mal sehr wolkigen Formulierungen suggeriert hat.

Das gravierendste Problem in den Ansagen der Kanzlerin liegt aber weniger in der mangelhaften rechtlichen Einordnung als in der offensichtlichen Bevormundung der Bevölkerung, der die Regierungschefin offenbar von Grund auf misstraut und der sie jetzt mit dem Mittel der Bevormundung beizukommen versucht. Eine Bevölkerung, die sie überhaupt erst in ihr Amt gebracht und seit fast 15 Jahren regelmäßig wieder bestätigt hat. Das scheint die Kanzlerin offenbar vergessen zu haben, oder aber, es ist ihr schlicht und einfach egal.

Wo liegen aus rechtlicher Sicht weitere Probleme an dieser Aussage?

David Jungbluth: In rechtlicher Hinsicht liegt hier nach meiner Ansicht in erster Linie ein zweifaches Kompetenzproblem vor. Solche untechnisch als "Ausgangsbeschränkungen" bezeichneten Verhaltensregeln sind von den einzelnen Bundesländern, aber auch von einzelnen Kommunen erlassen worden, und zwar zunächst in divergierenden Handlungsformen als Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen.

Das klingt sperrig, kompliziert.

David Jungbluth: In der vorliegenden Konstellation handelt es sich um landesrechtliche Regelungen, wie sie aus der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland resultieren. Ungeachtet dieses Gefüges wurden jetzt im Hau-Ruck-Verfahren gewichtige Kompetenzen auf die Bundesebene verlagert, womit die föderalistischen Prinzipien eines Bundeslandes aufgeweicht werden - eine gefährliche Tendenz, die von manchen Akteuren vermutlich auch noch weiter vorangetrieben werden soll.

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