Covid-19: Ein gefährliches Virus

Bild: CDC

Eine erste Bilanz aus der Sicht eines Mediziners

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Die Covid-19-Pandemie beherrscht seit Monaten die Diskussion in unserem Land und geht mit erheblichen und sehr einschneidenden Maßnahmen einher, die von der großen Mehrheit der Menschen bei uns derzeit als unumgänglich angesehen werden. Als ehemaliger und langjährig tätiger Internist und Rehabilitationsmediziner, der der älteren Generation und damit der wichtigsten Risikogruppe für Covid-19 angehört, verfolge ich die Berichterstattung über die Corona-Krise mit großer Anteilnahme und Betroffenheit.

Bei meinen Bemühungen, zu einer realistischen und wissenschaftlich-begründeten Einschätzung von Covid-19 zu kommen, ist mir in das Onlinemagazin Telepolis in den letzten Monaten eine große Hilfe gewesen. Besonders wichtig war für mich die seit Anfang März veröffentlichte lange Reihe von gut recherchierten, lesenswerten und kritischen Artikeln und Kommentaren zur Corona-Krise von Alexander Unzicker.

In den folgenden Ausführungen, die natürlich nur eine erste Bilanz sein können, möchte ich einige Lehren anführen, die ich aus der Beobachtung des bisherigen Verlaufs der Corona-Krise gezogen habe. Dabei stütze ich mich auch auf die detaillierte und kritische Analyse des Schweizer Mediziners und praktizierenden Herzchirurgen Paul Robert Vogt, der bis heute jahrzehntelange berufliche Verbindungen in die asiatischen Länder hat. Diese Analyse ist am 7.4.2020 in einer Schweizer Tageszeitung erschienen und hat dort national und auch international große Resonanz gefunden.

Was bedeutet Covid-19?

Covid-19 ist eine Abkürzung für Corona virus disease 2019. Es handelt sich um eine neue Atemwegserkrankung, die durch ein neu aufgetretenes Corona-Virus verursacht wird. Dieses Virus heißt SARS-CoV-2, wobei die Abkürzung SARS für Severe Airways Respiratory Syndrom steht und auf Deutsch Schweres akutes Atemwegssyndrom bedeutet. Dieses neue Virus ist hoch ansteckend, die Ansteckung erfolgt mit exponentiellem Verlauf und hat inzwischen zu einer Pandemie geführt, das heißt, sie hat sich aufgrund der Globalisierung über die ganze Welt verbreitet.

Die dramatisch ansteigenden Zahlen von schwerkranken und intensivpflichtigen Patienten, zunächst in China, im Iran und Südkorea, dann in Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien und den USA, weisen darauf hin, dass dieses neue Corona-Virus häufiger schwere und schwerste Atemwegserkrankungen verursacht als die bekannten Grippeviren, gegen die man ja auch durch eine regelmäßige jährliche Impfung eine gewisse Immunität aufbauen kann. Dagegen besitzen die mit SARS-CoV-2 erstmals Infizierten keine schützende Immunität und eine wirksame Impfung gegen dieses Virus ist (noch) nicht in Sicht.

Doch die große Mehrheit, 85-90% der Infizierten, die über eine gesunde Immunabwehr verfügen, bemerken von der Virus-Infektion gar nichts oder nur geringe grippeartige Symptome. Dennoch können sie die Viren auf eine Vielzahl anderer Menschen übertragen.

Bei circa 10-15% der Infizierten, deren Abwehrsystem nicht (mehr) so stark ist, können die Corona-Viren aber bis in die tiefen Atemwege und die Lungen gelangen und dort eine schwere Lungenentzündung auslösen, die unter Umständen so schwer verlaufen kann, dass die Patienten auf der Intensivstation beatmet werden müssen und am Ende zu einem großen Prozentsatz trotzdem am Lungenversagen versterben. In den oben genannten Ländern sind bereits Tausende Patienten daran verstorben. Für Deutschland werden mit dem Datum vom 12.4.2020 vom Robert-Koch-Institut (RKI) bislang 2673 Todesfälle bei 120.479 positiv auf das Corona-Virus getesteten Personen und 60.200 Genesende im Zusammenhang mit Corona-Infektion gemeldet.

Risiko-Patienten und Risikogruppen

Den 10-15% der mit dem Corona-Virus Infizierten mit eingeschränkten Abwehrkräften, den so genannten Risiko-Patienten, gilt mit Recht unsere Solidarität. Für sie nimmt die gesamte Bevölkerung tiefgreifende Restriktionen und Einbußen auf sich, um sie vor einer Ansteckung zu schützen, denn für sie geht es nicht selten um "Leben oder Tod". Die erlassenen Maßnahmen sollen die Ausbreitung der Infektion verlangsamen, damit möglichst wenige Risikopersonen zur gleichen Zeit erkranken und jedem Schwerer- oder Schwersterkrankten in den Krankenhäusern eine optimale medizinische Versorgung zuteilwerden kann, ohne dass die Kapazitäten unseres Gesundheitssystem überschritten werden, wie das in mehreren europäischen Ländern schon der Fall ist.

Zu den Risikopersonen gehören vor allem die Älteren und Hochbetagten, die über 70- oder 80-Jährigen, das heißt Menschen, die in vielen Fällen bereits an einer vorbestehenden chronischen Krankheit leiden, zum Beispiel an Diabetes, an einer Erkrankung des Herzens, des Kreislaufs oder der Atemwege oder an Krebs.1 Auch Patienten mit einem geschwächten Immunsystem, zum Beispiel aufgrund einer Erkrankung oder durch die Einnahme von Medikamenten wie Cortison, gehören dazu. Bei vielen von ihnen kann eine Infektion mit dem Corona-Virus zu einem schweren bis schwersten Verlauf von Covid-19 führen und sie können daran sterben.

Aber auch jüngere Patienten können von Covid-19 betroffen sein, insbesondere, wenn bei ihnen ebenfalls Gesundheitsstörungen bestehen, die mit einer Schwächung des Immunsystems einhergehen.

In einer ganz aktuellen Studie werteten chinesische Wissenschaftler den Krankheitsverlauf von 2143 Kindern im Alter von unter 1 bis über 16 Jahren mit vermuteter oder nachgewiesener Infektion mit dem Coronavirus aus.2 Die meisten der in der Studie analysierten Kinder wiesen nur milde oder moderate Symptome auf. Im Vergleich zu Erwachsenen, bei denen 18,5% der Fälle schwer beziehungsweise kritisch verliefen, war dies bei Kindern mit 5,9% deutlich seltener der Fall. Dennoch zeigt die Studie, dass das Gesundheitswesen auch auf schwere und kritische Fälle bei Kindern vorbereitet sein sollte.

Eine weitere besondere Risikogruppe sind Pflegekräfte und Ärzte auf Intensivstationen und in Einrichtungen, in denen Infizierte behandelt und betreut werden müssen, zum Beispiel auch in Pflegeheimen. So sollen in Italien und Spanien schon 10-15% der Pflegekräfte und Ärzte auf den Intensivstationen infiziert sein. Sie sind gesundheitlich gefährdet und fallen bei einer Infektion dann wenigstens zeitweise aus, bis sie sich erholt haben. Leider sind auch schon einige Personen aus dieser Risikogruppe an Covid-19 verstorben. Der wichtigste Grund für diese Infektionen ist, dass Schutzbekleidung und schützende Atemmasken in Europa fehlen beziehungsweise nicht in ausreichender Menge vorhanden sind.

Auch Raucher als Risikogruppe anerkennen

Auf eine weitere wichtige und im Durchschnitt eher jüngere Risikogruppe mit einem wahrscheinlich schwereren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 haben wir in einem Artikel in den Nachdenkseiten aufmerksam gemacht: die Gruppe der Raucherinnen und Raucher.

In der englischen Ausgabe des Chinese Medical Journal erschien Anfang März eine erste Arbeit zu diesem Thema.3 In dieser Studie wurde der klinische Verlauf bei 78 Patienten, die mit Covid-19 in ein Krankenhaus in Wuhan eingewiesen wurden, zwei Wochen lang beobachtet. Während dieser Beobachtungszeit hatte sich die Krankheit bei 11 Patienten verschlechtert, während sie sich bei 67 Patienten verbessert beziehungsweise stabilisiert hatte. In der Gruppe der Patienten mit einem verschlechterten Krankheitsverlauf war der prozentuale Anteil der Raucher neunmal so groß wie in der Gruppe derjenigen mit mildem Krankheitsverlauf. In dieser Untersuchung war das Rauchen neben dem Lebensalter der stärkste Risikofaktor für einen ungünstigen Krankheitsverlauf.

Eigentlich dürfte das Ergebnis dieser Studie niemanden überraschen. Eine durch Tabakrauch vorgeschädigte Lunge wird natürlich der Ausbreitung einer Virus-Infektion weniger Widerstand entgegensetzen können. So ist zum Beispiel schon lange bekannt, dass Zigarettenrauch die Aktivität der Flimmerhärchen in den Bronchien lähmt, so dass die Selbstreinigungsfunktion der Bronchien, die so genannte mukoziliare Clearance, gestört ist. Das dürfte sich nicht nur auf kleine und kleinste Schmutzpartikel oder Bakterien auswirken, sondern auch auf die in die Bronchien und die Lunge gelangten Viren wie zum Beispiel Sars-CoV-2.

Führende Wissenschaftler und Pneumologen in Deutschland und Österreich haben diese Untersuchung der Forscher aus Wuhan zur Kenntnis genommen und inzwischen in ihren Stellungnahmen berücksichtigt4, aber in der Öffentlichkeit hört man von der Risikogruppe der Raucher leider nichts.

In unserem Artikel haben wir den Vorschlag gemacht, dass die Gesetzlichen Krankenkassen im Vorgriff auf eine eventuelle positive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einigen Jahren in der derzeitigen Situation die Kosten für die ärztliche Raucherentwöhnung übernehmen sollten, um die Chancen auf Gesunderhaltung bei Raucherinnen und Rauchern auch hinsichtlich Covid-19 zu erhöhen.

Zahlen und Daten schwer verständlich und wenig aussagekräftig

Selten waren Zahlen, Daten und Statistiken so gefragt wie in der Corona-Krise. Politiker rechtfertigen damit die von ihnen getroffenen einschneidenden Maßnahmen, Wissenschaftler erhoffen sich von ihnen Erkenntnisse über die Ausbreitung des Virus und Normalbürger suchen eine Antwort auf die entscheidende Frage, wie gefährlich denn das Virus wirklich ist.5

Ein wesentlicher Punkt ist dabei, dass das Virus sich überall exponentiell vermehrt. Der menschliche Verstand ist aber nicht dafür gemacht, exponentiell wachsende Prozesse in ihrem gesamten Ausmaß zu erfassen. Was uns tagtäglich begegnet, verändert sich entweder linear - wie Aktenberge, wachsende Bäume oder volllaufende Badewannen - oder nur sehr, sehr langsam exponentiell wie unsere Ersparnisse auf der Bank durch die Zinserträge.

Die Folge ist: Wir haben kein Gefühl für exponentielle Zuwächse und unterschätzen diese deshalb massiv. Bei der Corona-Pandemie ist die Wirkung jedoch verheerend. Denn die Gefahr zeigt sich erst dann in ihrer vollen Größe, wenn es eigentlich schon zu spät ist und sich das Virus schon weit verbreitet hat.

Es mag ernüchternd klingen, aber die meisten der kursierenden Zahlen lassen keine verlässliche Antwort zu.

Die sogenannte Zahl der Infizierten verlangt zum einen nach einer Präzisierung: Geht es nun darum, wie viele sich an einem Tag neuinfiziert haben, wie viele aktuell infiziert sind oder geht es um die Gesamtzahl aller Infizierten seit Ausbruch der Pandemie, zu der auch die verstorbenen oder wieder genesenen Menschen gerechnet werden müssen? Das Letztere, das heißt die Gesamtzahl aller bisher positiv getesteten Infizierten, ist in den täglichen Verlautbarungen im Fernsehen wohl gemeint. Neuerdings wird auch die Zahl der Genesenden genannt. Vielleicht will man damit die Menschen beruhigen.

Zum anderen hält der Begriff - ganz egal, was nun genau gemeint ist - nicht, was er verspricht. Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich das Coronavirus in sich tragen oder getragen haben, weiß keiner genau. Bekannt ist lediglich, bei wie vielen Menschen ein entsprechender Test positiv ausgefallen ist. Und diese Zahl hängt in nicht unerheblichem Maße davon ab, wie oft und unter welchen Voraussetzungen getestet worden ist.

Müssen wir uns also damit abfinden, bei der Gesamtzahl der Infizierten im Dunkeln zu tappen? Nicht unbedingt. Es gibt eine Chance, der sogenannten Dunkelziffer auf die Spur zu kommen. Dazu bräuchte es eine vollständige Testung einer repräsentativen Stichprobe aus der Bevölkerung.

Die Politik scheint das inzwischen verstanden zu haben. Warum nicht schon früher? In München begann die bislang größte Studie zur Corona-Verbreitung in Deutschland, bei der Menschen aus 3.000 Haushalten auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 getestet werden sollen. Die Ergebnisse könnten auch Rückschlüsse auf die Situation in anderen deutschen Großstädten zulassen. Eine weitere repräsentative Studie soll in dem Hotspot Heinsberg in Nordrhein-Westphalen durchgeführt worden sein.

So könnte man der Dunkelziffer, die manche Experten für fünf-, andere für zehnmal so hoch wie die erfassten Werte einschätzen, auf die Spur kommen. Aber welche Folgen hätte eine hohe Anzahl an nicht-erfassten Fällen überhaupt? Wir würden dann die Gesamtzahl der Infizierten und nicht nur der positiv Getesteten kennen und dann abschätzen können, ob wir uns noch am Beginn der Infektionswelle befinden oder schon auf ihrem Höhepunkt beziehungsweise diesen schon überschritten haben.

Dazu ein Rechenbeispiel, das jeder nachvollziehen kann: Wenn zum Beispiel die Zahl der positiv Getesteten bei uns circa 120.000 beträgt und sich die Dunkelziffer als zehnmal so groß herausstellt, dann müssten wir derzeit mit circa 1,2 Million Infizierten rechnen. Wenn wir nun davon ausgehen, was häufig zu hören ist, dass sich mindestens 60% unserer Bevölkerung, das sind etwa 50 Millionen Menschen, mit dem Virus angesteckt haben müssen, um eine natürliche "Herdenimmunität" zu erlangen, dann können wir die Frage leicht beantworten, ob wir die Infektionswelle schon hinter uns haben oder uns noch ganz am Anfang befinden.

Je mehr Infizierte es tatsächlich gibt, umso geringer ist die Letalität, das heißt die statistische Wahrscheinlichkeit, an Corona zu sterben. Doch die Suche nach der wirklichen Zahl der Infizierten ist nicht das einzige Hindernis bei der Bestimmung der Letalität.

Auch die Anzahl der Corona-Toten, die auf den ersten Blick exakt bestimmbar scheint, ist alles andere als verlässlich. Auf der einen Seite dürfte es auch hier eine Dunkelziffer geben, auf der anderen Seite ist nicht immer klar, ob die Erkrankung an dem Virus tatsächlich auch zum Tod geführt hat. Stirbt jemand "am" oder "mit" dem Virus?

Mittlerweile wird die statistische Todes-Rate in Deutschland mit 1,9 Prozent angegeben. Der im Vergleich zu früheren Zahlen jetzt erfolgte Anstieg kam nicht unerwartet. Das liegt vor allem daran, dass es vom Ausbruch bis zum Tod an der Corona-Infektion im Durchschnitt mehrere Wochen dauert. Die Zahl der bis heute registrierten Opfer müsste man also eigentlich mit der Zahl der registrierten Infizierten von vor zwei oder drei Wochen ins Verhältnis setzen. Andersherum werden wir erst in einigen Wochen wissen, wie viele von den bis heute als infiziert Gemeldeten tatsächlich nicht überlebt haben werden.

Daneben hält das RKI die Todeszahlen in Deutschland für unterschätzt. Nicht jeder Gestorbene sei vorher getestet worden und nicht alle Toten würden obduziert werden und im Obduktionsmaterial sei das Virus nicht immer nachweisbar.

Und so dürfte es noch ein ziemlich steiniger Weg sein, bis eines Tages wirklich aussagekräftige Zahlen vorliegen. Bis dahin ist Vorsicht nicht der schlechteste Ratgeber, denn eines lässt sich anhand der bislang gesammelten Daten mit großer Sicherheit sagen: Die Pandemie ist für ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen sehr gefährlich. Und nicht nur für die, wie oben ausgeführt.

Keine gewöhnliche Grippe, sondern eine gefährliche Viruspandemie

Dass die Pandemie das Potenzial besitzt, eine Katastrophe auszulösen, zeigt ein Blick nach Italien, Spanien, Frankreich oder New York. Aber wie bedrohlich ist die Situation gerade bei uns in Deutschland?

Wenn ich mir die jetzige extrem schwierige Situation in vielen Krankenhäusern und Alten-Pflegeeinrichtungen in unseren europäischen Nachbarländern, den USA und teilweise auch schon bei uns vor Augen führe, kann ich Behauptungen, bei der augenblicklichen Pandemie handele es sich nur um die Auswirkungen einer "gewöhnlichen Grippe", nicht nachvollziehen und halte diese für unverantwortlich.

Der Schweizer Mediziner Paul Robert Vogt sagt dazu in seiner oben zitierten Veröffentlichung mit dem Blick auf die Schweiz, die nach den USA pro Kopf der Bevölkerung die höchste Zahl der Infizierten aufweist:

Um diese Frage zu klären, muss man bestimmt keine Statistiker fragen, die noch nie einen Patienten gesehen haben. Die reine, statistische Beurteilung dieser Pandemie ist sowieso unmoralisch. Fragen muss man die Leute an der Front.

Keiner meiner Kollegen - und ich natürlich auch nicht - und niemand vom Pflegepersonal kann sich erinnern, dass in den letzten 30 oder 40 Jahren folgende Zustände herrschten, nämlich dass:

  1. ganze Kliniken mit Patienten gefüllt sind, welche alle dieselbe Diagnose besitzen;
  2. ganze Intensivstationen mit Patienten gefüllt sind, welche alle dieselbe Diagnose aufweisen;
  3. 25% bis 30% der Pflegenden und der Ärzteschaft genau jene Krankheit auch erwerben, welche jene Patienten haben, die sie betreuen;
  4. zu wenig Beatmungsgeräte zur Verfügung standen;
  5. eine Patientenselektion durchgeführt werden musste, nicht aus medizinischen Gründen, sondern weil wegen der schieren Anzahl an Patienten schlicht das entsprechende Material gefehlt hat;
  6. die schwerer erkrankten Patienten alle dasselbe - ein uniformes - Krankheitsbild aufgewiesen haben;
  7. die Todesart jener, die auf den Intensivstationen verstorben sind, bei allen dieselbe ist; und
  8. Medikamente und medizinisches Material auszugehen drohen.

Aufgrund der Punkte 1- 8 ist es klar, dass es sich um ein gefährliches Virus handelt, das dieser Pandemie zugrunde liegt.

Paul Robert Vogt

Und zum Vergleich mit der Grippe (Influenza) führt er weiter aus:

Die Behauptungen, eine "Influenza" sei genau gleich gefährlich und koste jedes Jahr gleich viele Opfer, ist falsch. Zudem ist die Behauptung, man wisse nicht, wer "an" und wer "wegen" Covid-19 sterbe, ebenso aus der Luft gegriffen.

Vergleichen wir Influenza und Covid-19: Hat man das Gefühl, bei Influenza seien immer alle Patienten "wegen" Influenza gestorben und nie einer "mit"? Sind wir Mediziner im Rahmen der Covid-19-Pandemie nun alle plötzlich so verblödet, dass wir nicht mehr unterscheiden können, ob jemand "mit" oder "wegen" Covid-19 stirbt, wenn diese Patienten eine typische Klinik, typische Laborbefunde und ein typisches Lungen-CT (Ergänzung KDK: CT bedeutet Computer-Tomogramm) aufweisen? Aha, bei der Diagnose "Influenza" waren natürlich alle immer hellwach und haben immer die ganze Diagnostik bemüht und waren immer sicher: Nein, bei der Influenza sterben alle "wegen" und nur bei Covid-19 viele "mit".

Zudem: Wenn es in einem Jahr in der Schweiz angeblich 1600 Influenza-Tote gab, so sprechen wir über 1600 Tote über 12 Monate - ohne präventive Maßnahmen. Bei Covid-19 gab es jedoch 600 Tote in einem (!) Monat und das trotz massiver Gegenmaßnahmen. Radikale Gegenmaßnahmen können die Verbreitung von Covid-19 um 90% senken - man kann sich also vorstellen, welches Szenario ohne Gegenmaßnahmen herrschen würde.

Zudem: In einem Monat wurden in der Schweiz mehr als 2200 Patienten wegen Covid-19 hospitalisiert und es wurden gleichzeitig bis zu 500 Patienten auf verschiedenen Intensivstationen hospitalisiert. Nie hat jemand von uns auch nur annähernd solche Zustände im Rahmen einer "Influenza" gesehen.

Im Rahmen einer "gewöhnlichen" Influenza erwerben circa. 8% der Betreuenden ebenfalls eine Influenza, aber niemand stirbt daran. Bei Covid-19 werden 25% bis 30% der Betreuenden infiziert und das ist mit einer signifikanten Mortalität verbunden. Dutzende von Ärzten und Pflegepersonen, die Covid-19 Patienten betreut haben, sind an derselben Infektion verstorben.

Zudem: Suchen Sie einmal die harten Zahlen zu "Influenza"! Sie werden keine finden. Was sie finden, sind Schätzungen: circa 1000 oder 1600 in der Schweiz; circa 8000 in Italien; circa 20.000 in Deutschland. Eine FDA-Studie (US Food and Drug Administration) hat untersucht, wie viele der 48.000 Influenza-Toten eines Jahres in den USA wirklich wegen klassischer Influenza-Pneumonie gestorben sind. Resultat: Alle möglichen Krankheitsbilder wurden unter "Tod durch Pneumonie" subsummiert, so z.B. auch die Lungenentzündung eines Neugeborenen, der bei der Geburt Fruchtwasser in die Lunge aspiriert hat. Die Anzahl der effektiv "wegen Influenza verstorbenen"- Patienten sank in dieser Analyse dramatisch weit unter 10.000 ab.

Auch in der Schweiz kennen wir die genaue Anzahl von Patienten nicht, die jährlich an Influenza versterben. Und dies trotz Dutzender massiv überteuerter Datenerfassungs-Systeme; trotz sinnloser Doppel- und Triple-Erfassung der Daten durch Kliniken, Krankenkassen und Gesundheitsdirektionen; trotz eines sinnlosen und überteuerten DRG-Systems (Ergänzung KDK: DRG bedeutet Diagnosis-related group), das nur Nonsens produziert. Wir können nicht mal exakt die Zahlen von hospitalisierten Influenza-Patienten pro Monat liefern! Aber Millionen und Milliarden für überteuerte und kontraproduktive IT-Projekte verschwenden.

Aufgrund des aktuellen Wissensstandes kann man insgesamt nicht von einer "gewöhnlichen Grippe" reden. Und deshalb ist die widerstandslose Durchseuchung der Gesellschaft auch kein Rezept. Ein Rezept, notabene, welches Großbritannien, die Niederlande und Schweden versucht und nacheinander aufgegeben haben.

Paul Robert Vogt

Dieser Einschätzung des Schweregrads der Covid-19-Pandemie, der nicht irgendwelche statistischen Berechnungen zugrunde liegen, sondern empirische Tatsachen, mit denen es die Behandler in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen in der Schweiz zu tun haben, ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.

Folgen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens

Bei den dramatischen Bildern zum Beispiel aus der Lombardei, Madrid, dem Elsass, Paris oder New York, die uns in der letzten Tagen im Fernsehen gezeigt wurden, wo teilweise katastrophale Zustände auf den dortigen Intensivstationen herrschen, die Ärzte wegen Überfüllung eine Triage durchführen müssen und zum Teil über 80-Jährige dort nicht mehr behandelt werden können, müssen wir bedenken, dass diese Zustände nicht allein durch Covid-19 verursacht werden.

Sondern sie sind auch Folgen der politisch gewollten Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die in den letzten beiden Jahrzehnten bei uns ebenso wie in den meisten europäischen Ländern rigoros durchgezogen wurde.6 Es wurden Privatisierungen der Krankenhäuser durchgeführt und viele Kliniken wurden geschlossen, weil sie angeblich nicht mehr rentabel waren, und es wurden Betten abgebaut und viele Pflegekräfte entlassen.

In Deutschland hat diese neoliberale Politik im Gesundheitswesen dazu geführt, dass etwa ein Drittel aller Krankenhäuser geschlossen und viele zehntausend Stellen für Pflegekräfte abgebaut worden sind. Jetzt fehlen diese Betten und das entsprechende Fachpersonal in den Kliniken und auf den Intensiv-Stationen. Die oben angeführte dramatische Situation in den europäischen Ländern lässt vermuten, dass dort der neoliberale Kahlschlag im Gesundheitswesen noch härter durchgeführt worden ist als bei uns.

Wann kommt bei uns endlich die Maskenpflicht?

In den letzten Tagen wurde auch in unserer Regionalpresse darauf aufmerksam gemacht, dass alle Personen in der Öffentlichkeit, insbesondere beim Einkaufen in den Geschäften, in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder an ihrem Arbeitsplatz, eine Mund-Nasenschutz-Maske tragen sollten. Für die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme gibt es seit vielen Jahren gute wissenschaftliche Evidenz.

Angesichts des jahrzehntelangen medizinischen Fortschrittes ist es skandalös, wie wenig Augenmerk bisher auf die Erforschung der Übertragung von Krankheitserregern gerichtet wurde, aber an der Vorbeugung verdient ja leider niemand etwas.

Während meines Medizinstudiums habe ich gelernt, dass die Verbreitung von Viren vor allem mittels Tröpfcheninfektion über ein zum Beispiel beim ungeschützten Husten und Niesen entstehendes Aerosol erfolgt. Die dabei entstehenden relativ großen Tröpfchen mit den darin enthaltenden Viren sinken aber schnell zu Boden. Darauf beruht die Abstandsregel von 1,5 bis 2 m zur Infektionsvermeidung, die bis heute empfohlen wird.

Aber mindestens seit 2006 ist bekannt, dass auch ein Mikro-Aerosol, das schon beim Atmen und Sprechen entstehen kann und sich deutlich länger in der Luft hält als das Makro-Aerosol beim Husten und Niesen, für die Übertragung von Viren sorgen kann.7

Eine Studie aus Belgien und den Niederlanden zeigt außerdem, dass dieser Sicherheitsabstand kaum ausreichend ist und die Abstandsregeln im öffentlichen Raum verschärft werden sollten- etwa auf 3 bis 5 m. Insbesondere neben Joggern und Radfahrern gibt es auch im Freien ein Infektionsrisiko, wie auch schon ein Marathonlauf in Italien angedeutet hatte.

Alexander Unzicker kritisiert, dass diese Erkenntnis von unseren prominenten Virologen, die im Fernsehen auftreten, nicht zur Kenntnis genommen wurde und sie deshalb auch den Nutzen einer Mund-Nasenschutz-Maske in Zweifel gezogen haben. "Es wird höchste Zeit, dass sich die Politik von solch vermeintlicher Expertise löst und im Rahmen des gesunden Menschenverstands Vorsicht walten lässt, wie es Litauen, Polen und Österreich mit der Einführung der überfälligen Maskenpflicht getan haben", sagt Unzicker.

Wenn es auch kein endgültiger Beweis für die schützende Wirksamkeit eines Mund-Nasenschutz-Maske ist, so ist es doch ein Hinweis darauf und ein für jedermann leicht nachvollziehbares Argument: Nur in den maskentragenden asiatischen Ländern ist es bisher gelungen, die auch bei uns weiter bedrohlich ansteigenden Infektionskurven deutlich abzuflachen oder vielleicht sogar zu stoppen. Wir sollten den Mut haben, von den Menschen in Asien zu lernen!

Der Schweizer Mediziner Paul Robert Vogt äußert sich zum Maskenproblem wie folgt:

Das Maskentragen wurde für nicht notwendig befunden - aber nicht, weil dessen Effektivität nicht bewiesen wäre. Nein, weil man schlicht nicht genügend Masken zur Verfügung stellen konnte.

Paul Robert Vogt

Das war bei uns in Deutschland ebenso und da muss man sich schon fragen: Warum sind die Mund-Nasenschutz-Masken, und das gilt ebenso für die erforderlichen Atemschutz-Masken für das betreuende Personal in Krankenhäusern und Arztpraxen, nicht in der erforderlichen Stückzahl bevorratet worden?

Was können und sollten wir aktuell tun?

Zum Schluss möchte ich dazu noch einmal den Schweizer Mediziner und Herzchirurgen Paul Robert Vogt zu Wort kommen lassen, weil sich seine Einschätzung auch auf die Situation bei uns in Deutschland übertragen lässt:

Die Frage nach den besten Lösungsansätzen kann ich auch nicht beantworten. Ob die Schweiz die Pandemie überhaupt noch eindämmen kann, oder ob die Durchseuchung der Bevölkerung unbeeinflusst weiterläuft, weil man initial alle Maßnahmen verschlafen hat, ist möglich.

Wenn dem so ist, kann man nur hoffen, dass wir diese "Politik" nicht mit zu vielen Toten und Schwerkranken bezahlen. Und dass nicht zu viele Patienten an den Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion leiden, wie z.B. einer "dank" Covid-19 neu erworbenen Lungenfibrose, einem gestörten Glucose-Metabolismus sowie neu auftretenden kardiovaskulären Erkrankungen. Die langfristigen Konsequenzen einer durchgemachten SARS-Infektion sind bis 12 Jahre nach angeblicher Heilung dokumentiert (Ergänzung KDK: Diese Aussage bezieht sich auf die Erfahrungen mit der ersten SARS-Pandemie 2002/2003). Hoffen wir, dass sich Covid-19 anders verhalten wird.

Die Aufhebung des "Lock-down", respektive die Rückkehr zur dem, was wir als normal empfinden, ist sicherlich der Wunsch eines jeden. Welche Schritte bei der Rückkehr zur Normalisierung mit nachteiligen Folgen verbunden sein werden - d.h. mit einem Wieder-Aufflammen der Infektionsrate - kann niemand voraussagen. Jeder Schritt Richtung Lockerung ist im Grunde genommen ein Schritt ins Unbekannte.

Wir können nur sagen, was nicht machbar ist: Eine aktive Durchseuchung der Nicht-Risiko-Gruppen mit dem Covid-19-Virus ist mit Sicherheit ein absolutes Hirngespinst. Es kann nur Leuten in den Sinn kommen, die keine Ahnung von Biologie, Medizin und Ethik haben.

Paul Robert Vogt

Hier möchte ich nur ergänzen: Wir müssen darauf hoffen, dass in absehbarer Zukunft, das heißt, vielleicht in 12, 18 oder 24 Monaten, eine wirksame Impfung zur Verfügung steht und massenhaft praktiziert werden kann und dass bald eine medikamentöse Behandlung gefunden wird, die die Vermehrung des Virus hemmen kann. Darüber hinaus sollten wir alle Maßnahmen durchführen, die notwendig sind und die von unserer Bevölkerung mitgetragen werden, um die Ausbreitung des Virus zu hemmen beziehungsweise auf einem niedrigen Niveau zu halten.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie-, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin-, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. klaus-dieter.kolenda@gmx.de