Corona: Technische Lösungen für einen sicheren, zügigen und nachhaltigen Exit

In der kontroversen Debatte gibt es vielleicht doch einiges, worauf man sich einigen könnte: es geht um die Luft, die Daten und die Tests

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Lockern oder nicht lockern? Wirtschaft oder Gesundheit? Das Leben einzelner oder die Grundrechte der anderen? Solche vermeintlichen Entscheidungsalternativen gehen meist an der Sache vorbei. Vielmehr soll hier der Versuch unternommen werden, von unterschiedlichen Einschätzungen zu einem Handlungskonsens zu kommen.

Basisannahmen

Die Gefährlichkeit des Virus wird wohl weiterhin umstritten bleiben. Einerseits ist die Sterbeziffer bei bester Versorgung tatsächlich nicht hoch, und die Behandlungsmethoden werden - wenn auch durch teils bittere Erfahrung - zunehmend besser. Andererseits sind die Langzeitfolgen bei weitem noch nicht erforscht. Schon aus diesem Grund ist eine "Durchseuchung" der Bevölkerung (noch dazu mit unbekannter Immunisierungswirkung) keine Option. Sie ergibt aber auch epidemiologisch keinen Sinn: Selbst bei 50.000 Neuinfektionen pro Tag würde sie drei Jahre dauern, mit zumindest teilweisen Einschränkungen für alle.

Die einzig sinnvolle Strategie ist daher "The hammer and the dance", das bedeutet, die Neuinfektionen so stark zu drücken, bis sie sich wieder auf verfolgbare Einzelfälle reduzieren. Entgegen manch düsteren Prognosen ist dies durchaus möglich, wenn man evidenzbasiert, zeitnah und technisch flexibel reagiert. Bei einer Reproduktionsrate deutlich unter R<1 könnte sich die Epidemie auch innerhalb weniger Wochen austrocknen lassen. Generell ist es daher nicht angebracht, die Öffentlichkeit auf ein düsteres Szenario von jahrelangen Einschränkungen "bis zur Impfung" (von welcher weder Zeitpunkt noch Wirkung vorhersehbar sind) einzustimmen.

Auf die Luft kommt es an

Hust- und Niesetikette, Händewaschen und Desinfektion sind eine Selbstverständlichkeit - jedenfalls geht aber ein Hauptübertragungsweg durch Tröpfchen in der Luft, und dieser muss unterbunden werden. Ich habe schon viele Quellen verlinkt, die zeigen, dass auch ein einfacher Mund-Nasen-Schutz das Ansteckungsrisiko mindert, auch wenn manche noch nicht davon überzeugt sind. Ganz unstreitig ist jedoch, dass Infizierte dadurch wesentlich weniger Viren in die Atemluft übertragen. Nachdem die Masken nun überall Pflicht sind, wird sich dies auch bei den Neuinfektionen zeigen (so wie in Österreich, das im Vergleich zu Deutschland trotz anfangs stärkerer Epidemie nur mehr ein Drittel der Neuinfektionen pro Einwohner hat).

Wichtig ist die konsequente Anwendung in allen Innenräumen. Abstand halten ist natürlich sinnvoll, weit unterschätzt ist jedoch der Aspekt der Belüftung. Wer sich mit Infizierten stundenlang in schlecht belüfteten Räumen aufhält, den schützen auch 2 Meter Distanz nicht vor einer Infektion. Umgekehrt überträgt sich das Virus ja nicht durch die Nähe selbst. Mit Masken und guter Belüftung oder gar im Freien kann man den Abstand aber durchaus reduzieren, wenn das Infektionsgeschehen gleichzeitig gut überwacht ist. Für eine Rückkehr zur Normalität ist das auch gar nicht anders möglich. Frischluft ist im Sommer oft durch geöffnete Fenster zu realisieren, viele Gebäude brauchen aber dringend bessere Belüftungssysteme, mit Vorgabe von Luftwechselraten.

Alle Voraussetzungen, die Neuinfektionen sehr stark eindämmen zu können - z.B. pro Tag um 100 - sind im Prinzip also gegeben. Vorbehaltlich der vielleicht validen Gegenargumente könnte eine Tracking-App auch dazu einen Beitrag leisten.

Tests beschleunigen, Diagnosen verbessern

Zwischenziel muss sein, alle unbekannten lokalen Ansteckungen zu unterbinden und zu dem Zustand nachverfolgbarer Infektionsketten zurückzukehren. Es ist inzwischen wohl Konsens, dass dabei viele Tests hilfreich sind - idealerweise (wie in Island) für jeden, der möchte. Deutschland testet relativ viel (wenn dies auch in der Anfangsphase noch nicht bekannt war), das Problem ist aber nach wie vor die Dauer der Tests. Wenn die Phase der größten Virenausschüttung nur wenige Tage anhält, nützt es wenig, wenn ein Ergebnis erst nach vier Tagen zur Verfügung steht, genau daran ist man im Februar gescheitert. Um die Verbreitung nachhaltig einzudämmen, muss die Testdauer daher auf das labortechnisch notwendige - wenige Stunden - reduziert werden.

Die epidemiologische Gesamtbeurteilung wird zusätzlich erschwert durch den sogenannten "Meldeverzug", einer Vokabel, bei der man sich fragt, warum sie im 21. Jahrhundert noch existiert. So errechnete das Robert-Koch-Institut mit aufwändigen Korrekturschätzungen (und entsprechend großen Ungenauigkeiten) einen Reproduktionsfaktor, ohne sich über die Absurdität Gedanken zu machen, was 9 Tage Verzögerung in einer Pandemie bedeuten. Ich wüsste wirklich nicht, was dagegen spräche, eine Probe mit einem Barcode zu versehen, so dass das Resultat eingegeben und vom Patienten elektronisch abgefragt werden kann. Gleichzeitig würde das epidemiologische Geschehen fast in Echtzeit verfolgt. Auch Hard- und Softwarelösungen für dieses Problem sollten nicht länger als wenige Wochen in Anspruch nehmen.

Ein vernachlässigtes Element der Diagnose scheinen zudem CT-Aufnahmen der Lunge zu sein. In China wurden sie standardmäßig verwendet. Das würde u.U. eine präsymptomatische Diagnose ermöglichen, also einen erheblichen Zeitgewinn bei Verdachtsfällen. Gleichzeitig dient dies der Evaluation oft unerkannter Folgeschäden.

PCR-Tests im Abwasser und Monitoring

Eine noch weitergehende Rückkehr zur Normalität ließe sich erzielen, indem man ein (schon sehr niedriges) Infektionsgeschehen in der Breite der Bevölkerung überwacht. Bisher war nur von (auch sinnvollen) repräsentativen Massentestungen die Rede, ganz effizient könnte dies aber über PCR-Tests im Abwasser erfolgen. Die Sensitivität ein Infizierter pro 100.000, langfristig ist so ein Monitoring aber vielversprechend.

Wenn in einer Großstadt über Wochen hinweg kein Virusmaterial im Abwasser mehr zu finden ist, spricht eigentlich auch nichts dagegen, größere Veranstaltungen abzuhalten. Vielleicht können ähnliche Untersuchungen auch an Abluftanlagen oder an eigens aufgestellten Luftfiltern in Städten durchgeführt werden.

Fazit

Medizinisch ist es für eine Entwarnung zu früh, es ist noch viel Forschung nötig. Epidemiologisch gibt es jedoch teilweise eine positive Entwicklung. Einerseits muss diese durch konsequente Umsetzung (Masken, Belüftung, Tests) beschleunigt werden, andererseits müssen einschneidende Maßnahmen beendet werden, welche die Ansteckungswahrscheinlichkeit nicht verringern.

Teilweise bedaure ich es, eine Ausgangssperre befürwortet zu haben, denn sinnvoll war sie allenfalls, um in einer Notsituation die Bevölkerung zu sensibilisieren. Die Erfahrungen in Italien und Spanien zeigen aber, dass so ein Einsperren der Bevölkerung kontraproduktiv ist - unabhängig von allen rechtlichen Fragen. Es ist daher notwendig, alle Maßnahmen außer der Maskenpflicht und dem Distanzgebot aufzuheben, zumindest sukzessive. Dazu einige konkrete Vorschläge.

Anregung für Politik oder Aufgabe für Gerichte?

- Sofortige Verwendung eines Teils der Krankenhauskapazitäten, um z.B. Tumoroperationen durchzuführen. Dauernde Evaluation und frühestmögliche Aufnahme des Normalbetriebes in Kliniken und Praxen.
- Sofortige Öffnung von Alten- und Pflegeheimen für Angehörige unter Wahrung der Maskenpflicht und des Abstandsgebotes. Alten Menschen den Kontakt mit ihren Nächsten zu nehmen, der oft der wichtigste Lebensinhalt ist, ist unmenschlich (dafür habe ich heute auch eine Petition unterzeichnet).
- Öffnen von Spielplätzen und Sportstätten im Freien, Bereitstellen von Handdesinfektion.
- Schulöffnungen: Der Bayerische Kultusminister sorgte am Dienstag mit einem Schreiben, das Tragen von Masken sei "medizinisch nicht erforderlich", für ungläubiges Kopfschütteln an den Schulen. Die Vernunft wird aber wahrscheinlich nun über entsprechende Hausordnungen durchgesetzt. Viele Gebäude müssen schnellstens mit Lüftungsanlagen nachgerüstet werden, wenn die Fenster nicht dauerhaft zu öffnen sind. Damit könnten schrittweise Klassenzimmer normal besetzt werden; eine ständige Halbierung der Klassen, wie es derzeit praktiziert wird, ist organisatorisch auf Dauer undurchführbar. Und obwohl ich mir hier über die Konsensfähigkeit keine Illusionen mache: auch ein Nachholen des Unterrichts in den Ferien ist eine Option.
- Öffnung von Kindertagesstätten, wenn die Schulöffnungen positiv verlaufen sind und Ansteckungswege sich als geringfügig erweisen. Bis dahin Notbetrieb. Das gleiche gilt für den Hallensport.
- Öffnung aller Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe, bei denen entsprechende Vorkehrungen durch Masken, Abstand und Frischluft eingehalten werden können.
- Sofortige Öffnung von Hotels und Gastronomie im Freien. Sukzessive Öffnung der anderen Betriebe bei Abstand und Frischluft, Masken während der Nichteinnahme der Mahlzeit.
- Wenn entsprechende Vorkehrungen möglich sind, sind auch größere Veranstaltungen im Freien möglich.
- Sobald die Neuinfektionen sich auf überschaubare Infektionsketten beschränken und - anders als im Februar - ein Monitoring des Infektionsgeschehen stattfindet, können sukzessive größere Veranstaltungen auch auf engerem Raum stattfinden.

Überlegungen in dieser Richtung sind im Übrigen keine "Öffnungsdiskussionsorgie", wie sich die Bundeskanzlerin auszudrücken pflegte. Vielmehr handelt es sich um rechtsstaatliche Notwendigkeiten. Wenn die Politik weiterhin nicht sachgerechte Kompromisse schließt, schlägt eben die Stunde der Judikative - so wie bereits mehrfach geschehen. Im Interesse der Akzeptanz in der Bevölkerung, die im Übrigen eine herausragende Rolle bei der Pandemiebekämpfung spielt, sollte Exekutive aber besser nicht immer auf ein Urteil warten.

Ein letzter Gedanke zu den Grippetoten, die ja - zutreffend oder nicht - oft als Vergleich herangezogen wurden. Es ist längst an der Zeit, dass diese Erkrankungswellen auch z.B. mit einer einwöchigen Maskenpflicht beim Einsetzen der "Hochsaison" eingedämmt werden. Das wäre auch ein gutes Training, sollte die Welt einmal von einem Virus der Letalität SARS, Ebola oder Tollwut heimgesucht werden. Was jederzeit passieren kann.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien 2019 im Westend-Verlag.

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