Lufthansa: Der Staat im Aufsichtsrat

Bild: Bautsch/CC0 1.0

Die Lufthansa soll zu ihrer Rettung teilverstaatlicht werden - und damit ziehen Staatsbeamte in den Aufsichtsrat ein. Der Vorstand allerdings wehrt sich heftig. Lohnt der Streit, ändert ein staatliches Mitglied im Aufsichtsrat Grundsätzliches?

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Lufthansa - das Beispiel für Gehaltsexzesse

Auch ohne Corona-Krise scheinen Änderungen dringend geboten, ein Zurück zu den alten Gepflogenheiten wäre wahrlich nicht ratsam. Es beginnt schon damit, dass es sich um einen DAX-Konzern handelt mit den inzwischen entsprechend abenteuerlichen Vorstandsbezügen. Im letzten Geschäftsjahr verdiente der Vorsitzende ca. 4 Millionen Euro. Das ist 85-mal so viel wie das mittlere Einkommen seiner Mitarbeiter. Die Fachzeitschrift airliners zeigt in einer Kurve plastisch, wie dieses Verhältnis in den letzten Jahren steil nach oben zog. Nur kurzzeitig hatte es das Dreißigfache der Mitarbeitereinkommen betragen, was in etwa einer Million Euro Jahresbrutto entspricht, und damit gemäß vieler gesellschaftspolitischer Studien als das sozial noch vertretbare Einkommen der obersten Leistungsträger gilt.

Streiks der Berufsgruppen legen Unternehmen lahm

Aber damit nicht genug. Auch das Einkommen vieler Mitarbeiter ist gewaltig. Kaum einer dürfte vergessen haben, wie uns die einzelnen Mitarbeitergruppen der Lufthansa mit ihren Streiks immer wieder schikaniert haben. Allen voran die Pilotenvereinigung, die - obwohl die bestverdienende Mitarbeitergruppe - in der längsten Streikserie der Nachkriegszeit in 14 Streikrunden mehr als 1 Million Passagiere in Geiselhaft nahm, zu Umbuchungen und Stornierungen zwang, nur um die Erhöhung der bereits sehr hohen Einkommen von im Mittel über 10.000 Euro pro Monat durchzusetzen und zugleich das niedere Pensionsalter von 58 Jahren zu verteidigen. Oder der 48-stündige Generalstreik des Bodenpersonals. Oder die Streiks des Kabinenpersonals. Bei diesen Gruppen war die Streikfrage möglicherweise schon eher angebracht, aber gleich mit Streik - ohne Schlichtung? Alles das ausgetragen auf dem Rücken ihrer Kunden, sprich dem Rücken der Allgemeinheit. Das wirft Fragen auf.

Tatsächlich ist die Lufthansa ein typisches Beispiel des inzwischen entgleitenden Streikrechts, wenn man auf die Rolle des Unternehmens für die Gemeinschaft blickt und nicht auf die Interessen kleinerer Mitarbeitergruppen. Für uns als Bürger ist es wichtig, dass Verkehrsmittel, Kitas, Müllabfuhr und die sonstigen flächendeckend notwendigen Leistungen täglich funktionieren. Ein Streik in diesen Bereichen, noch dazu der Streik einer Teilgruppe der Mitarbeiter, nimmt die gesamte Bürgerschaft in Mithaftung. Da könnte manches durch Schlichtung beigelegt werden ohne solche Lateralschäden. Gerade der Schlichter könnte auch vermitteln zwischen den Einzelgruppen.

Es ist selbstverständlich, dass Streiks in einer sozialen Marktwirtschaft unerlässlich sind. Aber nicht selbstverständlich ist, dass durch die Gerichte nach langen Jahren die klaren Fronten der sogenannten Sozialpartnerschaft mit einem Gewerkschaftsverbund pro Unternehmen den sogenannten Spartengewerkschaften geopfert wurde und ihnen isolierte Streik- und Tarifrechte zugestanden wurden. Die jahrzehntelange Ausgewogenheit ist dadurch erheblich gestört.

Nun kann jede Fachgruppe ihre singulären Streiks veranstalten und damit das gesamte Unternehmen und auch Teile der Öffentlichkeit lahmlegen. Allerdings ist die gewerkschaftliche Zersplitterung der Lufthansa hier nicht allein. In allen wichtigen Infrastruktur- und Versorgungs-Sektoren ist diese Praxis inzwischen eingeschlichen. An die zermürbenden Streiks von zwei konkurrierenden Lokführer-Gewerkschaften sei hier nur beispielhaft erinnert.

Staat im Aufsichtsrat kann Exzesse bremsen

Staatliche Mitglieder im Aufsichtsrat gerade der Lufthansa könnten da neue Akzente setzen und Ausgewogenheit durchsetzen. Zu allererst könnten sie die Exzesse deutscher Vorstandsbezüge einbremsen. Sie könnten aber auch dafür Sorge tragen, dass übertrieben unbescheidene Gehalts- und Pensionsverbesserungen revidiert werden und dass aus Sparteninteressen wieder ein gemeinschaftliches Denken wird.

Es wäre ein für die Meinungsbildung wertvoller Prozess mit Erfahrungen, wie weit die Interessen von Spartengewerkschaften in Mobilitäts- und Versorgungsbereichen eingebunden werden könnten mit wichtigen Wirkungen über die aktuellen Probleme hinaus. Denn ob Kita, Flieger oder Bahn, sie alle sind für den Ablauf unseres täglichen Lebens unerlässlich.

Vielleicht könnte eine Neuordnung der Tarifpartnerschaft bei Lufthansa überzeugen, dass die frühere Regel "eine Gewerkschaft für das Unternehmen" letztlich sozialer war, weil sie weniger von Partikularinteressen durchsetzt ist, was nicht nur für den Betriebsfrieden in Unternehmen, sondern auch für dessen Kunden besser wäre - also für uns alle. Den Anstoß könnte das staatliche Aufsichtsmitglied geben, denn er ist Zünglein an der Waage, ist besonders exponiert.

Sozial besser ausgewogen

Denn ein staatlicher Vertreter wäre je nach Situation das Zünglein an der Waage, manchmal um Mitarbeiterinteressen zu schützen, und manchmal, um Unternehmensinteressen gegen Einzelinteressen durchzusetzen. Denn in Aufsichtsräten stellen dank unserer Mitbestimmung die Mitarbeitervertreter die Hälfte des Aufsichtsrats, aber bei einem Patt entscheidet die Stimme des Vorstandsvorsitzenden.

Der Vertreter der Bundesregierung würde aber zur Kapitalseite gehören, ohne den üblichen Absprachekartellen zu unterliegen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass sich Regierungsvertreter in der Regel eher auf die Seite der Belegschaftsvertreter stellen. Das kann in Sanierungszeiten harte Beschlüsse verhindern, aber wohl nur, um sie sozial etwas mehr abzufedern. Ein staatlicher Vertreter mag weniger Wirtschaftserfahrung haben, aber mehr Sozialkompetenz ist wahrscheinlich.

Die Rettung von Carl Zeiss Jena

Über dieses Gewicht eines staatlichen Aufsichtsratsmitglieds kann ich aus eigener Erfahrung berichten, als ich nach der Wiedervereinigung den Vorsitz von Carl Zeiss Jena übernahm. Das Unternehmen war damals ein schwerer Sanierungsfall. Bis zur Wiedervereinigung hatte es zwei Unternehmen gegeben, die beide Carl Zeiss hießen. Carl Zeiss in Baden-Württemberg und das VEB Carl Zeiss in Jena.

Das westdeutsche Carl Zeiss übernahm bei der Zerlegung des VEB durch Lothar Späth 3.000 Mitarbeiter. Aber das waren zu viele, um sie mit den alten DDR Programmen und den maroden Jenaer Fabriken zu ernähren. Und die Entwicklung neuer Produkte brauchte Zeit. Carl Zeiss Jena war deshalb knapp vor der Insolvenz. Im Aufsichtsrat saß wegen der hohen Staatszuschüsse der Wirtschaftsminister der Landesregierung. Und mit im Aufsichtsrat war Lothar Späth, alterfahrener Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, der Jena zu einem großen Forschungs- und Industriestandort ausbaute. Auch für die Zukunft von Carl Zeiss war sein Geschick entscheidend:

Denn als es im Aufsichtsrat um die Zustimmung zu einem kräftigen Abbau von Mitarbeitern ging, wollten die Vertreter der Belegschaft dagegen stimmen. Das ist zwar einfach, aber eine erhebliche Belastung der Sanierung, denn es fehlt ihr der Konsens. Und klar war, dass der Wirtschaftsminister nicht gegen die Mitarbeitervertreter stimmen würde. Der Sanierungsplan schien zu scheitern.

Lothar Späth reagierte, schlug eine Sitzungspause vor und bat die Betriebsräte, ihre Haltung zu überdenken und Ergänzungen einzufordern. Nach zwei Stunden heftiger Diskussionen und weiterer Zugeständnisse der Unternehmensseite stimmten sie schließlich zu. Das signalisierte einen breiten Konsens und ermöglichte eine von der Belegschaft mitgetragene Sanierung. Die Carl Zeiss Betriebe in Jena sind heute sehr erfolgreich - mit seither erheblichem Mitarbeiteraufbau. Die Tochtergesellschaft Carl Zeiss Meditec AG war im letzten Jahr einer der Börsenstars. All das gelang, obwohl - oder weil - ein staatlicher Vertreter im Aufsichtsrat saß.

Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokratie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft.

Von Peter Grassmann ist im Westend Verlag das Buch erschienen: "Zähmt die Wirtschaft! Ohne bürgerliche Einmischung werden wir die Gier nicht stoppen".

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