Maskenpflicht oder willkommen in der Irrationalität

Bild: Amin Moshrefi/unsplash

Warum der Begriff Verschwörungstheoretiker untauglich ist und durch "irrationales Denken" ersetzt werden sollte

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"Mach was Mutti sagt und wasch Dir die Hände", so persifliert eine Songgruppe mit dem Alias-Namen Theodor Shitstorm die neue Realität, die in dem kurzen Lied prägnant auf den Punkt gebracht wird. Es geht um die soziale Distanz, die die kapitalistische Lebens- und Produktionsweise schon in sich trägt und die nun in der Corona-Politik zur absoluten Maxime einer fast weltweit umgesetzten Biopolitik wird.

Die jüngste Drehung dabei ist die Maskenpflicht, die dann in den Tagesthemen als staatspädagogische Maßnahme abgefeiert wird. Bezeichnenderweise wird die Sendung mit den Worten "Tag 1 der Maskenpflicht - willkommen in der neuen Realität" eingeführt. Der Satz trifft den Nagel auf den Kopf - vielleicht mehr als es der Moderator wahrhaben will. Willkommen in einer Realität, in der nutzlose Symbolpolitik als neue Front im Kampf gegen den Corona-Virus verkauft wird.

Kurz kann immerhin ein Kommentator in den Tagesthemen daran erinnern, dass noch vor zwei Wochen die Politik und die staatsoffiziellen Experten die Masken fast einhellig als völlig untaugliches Instrument gegen die Ausbreitung des Virus bezeichnet haben. Sie haben die Maske sogar als "kontraproduktiv" bezeichnet, weil sie die Verbreitung des Virus noch beschleunigen könnte, etwa weil sich die Maskenträger häufiger ins Gesicht fassen oder der Gesichtswickel nicht fest genug sitzt und rutscht.

Genau das sehen wir in der Tagesthemen-Sendung, wo brave Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die von den Journalisten am Tag 1 der Maskenflicht angesprochen werden und unisono beteuern, welch wichtigen Beitrag sie damit gegen die Ausbreitung des Virus leisten. Eine der Interviewten fasst sich während ihres fast 30-sekündigen Statements gleich drei Mal an die Maske.

In der Sendung wird nicht auf die Gefahren hingewiesen. Schließlich würde dann das staatspädaogogische Erziehungsziel verfehlt, das da heißt "Solidarisch sein, heißt jetzt Masken tragen". Da wird noch musterknabenmäßig in bürgerlichem Gehorsam nach Prag geschaltet, wo alle Befragten betonen, welch großartige gemeinschaftliche Aufgabe man im Kampf an der Virenfront leistet.

Dass der Präsident des Weltärzteverbandes die Maskenpflicht als Armutszeugnis bezeichnete, kommt in der Tagesthemen-Sendung nicht vor. Dabei ist er nicht grundlegend gegen eine Maskenpflicht, wenn sie denn ihre Aufgabe für den Gesundheitsschutz erfüllen würde.

Mir geht es um die gesetzliche Maskenpflicht für eine nicht funktionierende Maske. Hätten wir alle funktionierende Masken, dann fände ich es sogar vernünftig, uns zu verpflichten, sie immer zu tragen, wenn wir uns draußen bewegen. Aber eine gesetzliche Pflicht für nicht funktionierende Masken halte ich für ein Armutszeugnis eines Staates.

Frank Ulrich Montgomery, Deutschlandfunk

Die deutsche Staatsdoktrin und die Verschwörungstheorie

Den sehr differenziert argumentierenden Montgomery kann man nicht so gut zum Verschwörungstheoretiker stempeln. Dafür hat sich der Theatermann Frank Castorf für diese Rolle mit einem Spiegel-Interview beworben. Dort erklärt er, nicht von "Mutti Merkel" zum Händewaschen aufgefordert werden zu wollen, womit er genau das ablehnt, was die Songgruppe Theodor Shitstorm persifliert.

Castorf wird angekreidet, dass er gegen Merkel schießt. Soll die Wortwahl andeuten, dass einer, der selbst in Corona-Zeiten keine volksgemeinschaftlichen Gefühle mit der ewigen Regierungschefin hat, auch zur Pistole greift? Zudem hat Castorf den Fehler gemacht, sich nicht dem Bashing des gegenwärtigen Präsidenten der USA anzuschließen.

Denn längst gehört es zur deutschen Staatsdoktrin, dass über die demokratisch gewählten Präsidenten oder Premierminister der Staaten, die vor 75 Jahren die Welt vom Nationalsozialismus befreiten und dabei die gewöhnlichen Deutschen bedingungslos besiegen mussten, kein gutes Wort mehr verloren werden darf. So ist mittlerweile Trump zu Putin als Inbegriff des Bösen aufgerückt und wer da nicht mitmacht, wird zum Verschwörungstheoretiker erklärt.

Dicht dahinter folgt in der Reihe der in Deutschland zu Unsympathen Erklärten der britische Premierminister Johnson, der es doch tatsächlich gewagt hat, Ernst zu machen mit dem Verlassen der von Deutschland dominierten EU und dafür sogar noch eine Mehrheit in Großbritannien bekommen hat. Frankreichs Präsident Macron, einst der Hoffnungsträger der Liberalen und Grünen, hat in Deutschland seinen Ruf noch nicht gar so ruiniert.

Aber seit er sich in der Frage der Eurobonds auf die Seite der EU-Südländer gegen den Block der "Deutsch-EU" geschlagen hat, ist es mit seinen Sympathiewerten in Deutschland bergab gegangen. Auch der israelische Ministerpräsident Netanyahu wäre, wenn es nach der deutschen Staatsdoktrin ginge, schon längst im Gefängnis, aber nicht mehr auf der Regierungsbank. Nur wird eben, was die deutschen Medien beklagen, auch Netanyahu nicht in Deutschland gewählt.

So weit reicht das so wortreich beschworene besondere deutsch-israelische Verhältnis nicht, dass man diese Tatsache einfach anerkennt und Netanyahu nicht ständig als besonderen Ausbund an Kriminalität hinstellt. Es sei noch betont, dass hier keine Aussage über die Politik der Genannten gemacht wird.

Es geht hier vielmehr um eine Kritik an einer Debatte in Deutschland, bei der Merkel zur Weltbeglückerin, die nicht kritisiert werden soll, hingestellt wird, während die führenden Politiker der Staaten, die 1945 die Welt vor Deutschland gerettet haben und der Premierminister des Staates, den die Überlebenden der Shoah als Konsequenz des deutschen Mordprogramms aufgebaut haben, umso heftiger angegriffen werden.

Und es geht um die Kritik darüber, dass man schnell mit dem Begriff Verschwörungstheoretiker hantiert, wenn man gegen die deutsche Staatsdoktrin verstößt.

Theorie vom Corona-Virus aus dem Labor - Verschwörungstheorie oder nicht?

Das wird in der Corona-Krise besonders deutlich. Mitte März konnte als Verschwörungstheoretiker bezeichnet werden, wer behauptet hatte, bald werde die Politik eine allgemeine Maskenpflicht in Deutschland verkünden. Ende April kann das Etikett denen zukommen, die die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme bezweifeln.

Es gäbe viele andere Beispiele aus der Corona-Ära dafür, wie schnell die Rolle des Verschwörungstheoretikers wechselt. Gehört dazu, wer ernsthaft diskutiert, ob das Virus aus einem Labor in Wuhan kommt? Oder ist es berechtigt, die Dokumente der Washington-Post ernsthaft zu untersuchen, die in der Taz so beschreiben werden:

Demnach haben 2018 Washingtoner Diplomaten wiederholt das Wuhan Institut für Virologie besucht, da sie über dortige Sicherheitsstandards besorgt waren. Das Institut operiert unter der höchsten Sicherheitsstufe BSL-4 wie etwa 50 Forschungseinrichtungen weltweit. Gezielt wiesen US-Wissenschaftsdelegationen auf die dortige Forschung zu Coronaviren an Fledermäusen hin, und dass bei Missachtung der Vorschriften ein Sars-sähnlicher Erreger entweichen könne. Wie schnell solche Fehler passieren können, weiß Washington aus eigener Erfahrung: 2015 hatte das US-Militär versehentlich lebende Anthraxproben an mehrere Labore im Land sowie eine US-Militärbasis in Südkorea verschifft.

Aus der Taz vom 20.4. 2020