Auslaufmodell Ausnahmezustand

Auflösung einer "Hygiene-Demo" am 19. April in Berlin. Screenshot von RT-Video

Die Gesundheitsfrage ist von der Demokratiefrage nicht zu trennen

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Am ersten Maiwochenende ist in ganz Deutschland die Zahl der öffentlichen Proteste geradezu explodiert. Dabei ging es auch um die autoritären Corona-Maßnahmen. In Berlin gab es insgesamt eine zweistellige Zahl von Demonstrationen. Darunter die sogenannte Hygiene- oder Grundgesetzdemo, die sich aufgrund der Behinderungen durch die Polizei vom Rosa-Luxemburg-Platz auf den benachbarten Schendelplatz verlagert hat. In Stuttgart kamen auf dem Festgelände Wasen mehrere 1000 Teilnehmer zusammen. In Schwerin beispielsweise forderten Ärzte auf einer Kundgebung das Ende des "gesundheitsschädlichen" Lockdowns und die Abschaffung der "medizinisch nicht sinnvollen" Maskenpflicht.

In deutsch-polnischen Grenzstädten forderten auf beiden Seiten Menschen die Öffnung der geschlossenen Grenze. Ist der Ausnahmezustand zum Auslaufmodell geworden?

Inzwischen wird der Ausnahmezustand sogar bei denen in Frage gestellt, die ihn mit zu verantworten haben: "Sollte es die Entwicklung der Pandemiesituation in der Zukunft erfordern, dass Maßnahmen wieder intensiviert werden müssen, dann darf das nicht wieder zuerst auf dem Rücken der Kinder und Familien geschehen. Wir möchten, dass andere Eindämmungsmaßnahmen zuerst geprüft werden." Das schreiben die Grünen von Brandenburg in einer Pressemitteilung von Ende April. Will heißen: Die Corona-Maßnahmen waren also nicht alternativlos. Die Zeit der schonungslosen Aufarbeitung hat begonnen.

Der 25. März 2020 war ein schwarzer Tag für die BRD-Demokratie

Der Ausnahmezustand ist keine Gesundheitsfrage, sondern vor allem eine politische Frage. Und die Gesundheitsfrage wiederum ist von der Demokratiefrage nicht zu trennen. Sprich: Es darf nie einen Notstandsfall geben, in dem der Widerspruch nicht geäußert werden kann. Von jedem einzelnen, im Zweifel von Millionen - bzw. dann erst Recht. Der Nutzen von Demokratie erweist sich nicht in den guten Zeiten, sondern vor allem in den schlechten.

Der 25. März 2020 war ein schwarzer Tag für die BRD-Demokratie. Corona bedingt standen im Bundestag zwei wesentliche Gesetze sowie die eigene Geschäftsordnung zur Abstimmung. Einmal das Gesetz zum Nachtragshaushalt für die Finanzierung des Notzustandes in Höhe von zusätzlichen 122 Milliarden Euro. Zum zweiten die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, in dem festgelegt wurde, wer im Falle einer "Epidemie von nationaler Tragweite" das Sagen hat.

Die quasi hoheitliche Feststellung, dass eine epidemische Lage existiere, oblag zunächst noch dem Parlament. Doch dann übertrug es per Gesetz dem Bundesgesundheitsminister nicht nur das weitere exekutive Handeln, sondern auch die legislative Möglichkeit, das eben beschlossene Gesetz selber wieder zu ändern und Maßnahmen per Verordnungen ohne Beteiligung des Bundesrates zu verhängen. Damit hat der Bundestag am 25. März 2020 seine eigene Entmachtung beschlossen.

Im Ursprungsentwurf des Gesetzes stand sogar, dass die Feststellung einer "Epidemischen Lage nationaler Tragweite" von der Bundesregierung selber erklärt werden könne. Damit hätte die Exekutive das Parlament gar nicht mehr gebraucht. Diese Entmachtung von oben wurde dann kurzfristig zwar wieder herausgenommen, wirklich geändert hat das aber nichts.

Der Unterschied zu Ungarn, wo der Regierungschef mit Dekreten ohne Beteiligung des Parlamentes regieren kann, ist lediglich, dass dort die Ermächtigung unbefristet gilt, in Deutschland aber längstens bis zum 31. März 2021.

Im deutschen Gesetz steht tatsächlich das Wort "ermächtigen". Der Gesundheitsminister sei "ermächtigt", dieses und jenes anzuordnen. Da der Begriff "Ermächtigungsgesetz" in Deutschland historisch belastet ist, erschwert das die Charakterisierung des Gesetzes von 2020. Schließlich will man beide Vorgänge nicht gleichsetzen. Dass Hitlers Ermächtigungsgesetz, mit dem sich der Reichstag 1933 selbst entmachtete, vom 24. März datiert und das BRD-Corona-"Ermächtigungsgesetz" vom 25. März, ist dabei fast noch eine kuriose Parallele.

Vielleicht war ja die Denunziationsfalle gleich mit eingebaut. Denn wer in der Coronakrise später von "Ermächtigungsgesetz" sprach, konnte schnell als NS-Relativierer bezichtigt werden. So wie es dann später pauschal auf die Leute gemünzt wurde, die samstags in Berlin zum Rosa-Luxemburg-Platz vor der Volksbühne kamen, um für Demonstrationsfreiheit zu demonstrieren.

Nach dem Notstandsnachtragshaushalt und dem novellierten Infektionsschutzgesetz (IfSG) wurde am 25. März dann noch die Geschäftsordnung des Bundestages verändert und an den Ausnahmezustand angepasst. Auch das ist bisher kaum beachtet worden. Nach dem neuen IfSG sollte es möglich werden, dass auch Abgeordnete einer Ausgangssperre unterworfen oder unter Quarantäne gestellt werden könnten. Dem stimmte der Bundestag prinzipiell zu. Er akzeptierte vorauseilend die Abschaffung der politischen "Immunität", also die Unantastbarkeit eines und einer Abgeordneten. Bisher konnte nur das Parlament selber diese "Immunität" seiner Mitglieder aufheben.

Zugleich veränderte der Bundestag via Geschäftsordnung seine Beschlussfähigkeit. Bisher musste mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sein, um Gesetze verabschieden zu können, nach Corona-Recht reicht nun mehr als ein Viertel, sprich: ein Viertel der Abgeordneten plus eins. Eine gefährliche Einschränkung, durch die nach dem IfSG drei Viertel minus eins der Abgeordneten kaltgestellt werden können. Das öffnet Manipulationen Tür und Tor. Beispielsweise könnte zur Zeit die Union allein Gesetze erlassen.

Die Regelung soll am 30. September 2020 wieder auslaufen. Als einzige Partei enthielt sich die AfD. Dagegen gestimmt hat sie aber auch nicht. Sie konnte das selbstzerstörerische Spiel getrost den anderen Parteien überlassen (Sitzungsverlauf vom 25.3.).

Intransparenz der Entscheidung

Waren diese Maßnahmen, die radikal in die demokratische Architektur eingreifen, tatsächlich nötig, um eine Pandemie abzuwehren? Oder wurde die Pandemie benutzt, um ein neues, mögliches Führungsinstrumentarium zu schaffen?

Am Vortag der entscheidenden Bundestagssitzung saß ich an einem Artikel für Telepolis und versuchte herauszufinden, worüber eigentlich genau abgestimmt werden sollte, welchen Inhalt und Wortlaut die vorgelegten Gesetze und die neue Bundestagsgeschäftsordnung haben sollten. Das gelang mir nicht (Corona oder die Selbstentmachtung der Parlamente).

Auf der Webseite des Bundestages war zwar die Tagesordnung aufgeführt, aber einzig der Nachtrags-Notstandshaushalt wiedergegeben, nicht die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und der Bundestagsgeschäftsordnung. Ich rief in der Pressestelle des Bundestags an, doch dort konnte man mir auch nicht weiterhelfen. Die Gesetzentwürfe würden irgendwann online gestellt werden, hieß es nur. Das geschah bis zum Abend jedenfalls nicht. Bis kurz vor der Abstimmung konnte die Öffentlichkeit nicht erfahren, worüber ihre Vertreter und Vertreterinnen entscheiden sollten.

Will jemand tatsächlich behaupten, diese Intransparenz sei im Interesse des Corona-Managements notwendig gewesen?

Selbstkritische Debatte innerhalb der Grünen

Innerhalb der Grünen Partei wird inzwischen vor allem über die Ermächtigungsfrage im Infektionsschutzgesetz heftig gestritten. Zum Beispiel in der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht. Die Bedeutung und das Gewicht "der Sache" sei "völlig verkannt" worden, von "gruseligen Bestimmungen" und "monströsen Gesetzespaketen" ist die Rede. Davon, dass "unsere Verfassungsordnung gesprengt wurde, um den Gesundheitsminister zum Pandemie-Gesetzgeber zu machen, der sich dann erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte nach 1949 gleich wieder über eben jenes Gesetz hinwegsetzen darf".

Das ist zugleich der Kontext, in dem die Bedeutung von Demonstrationen wie der vom Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin gesehen werden muss. Und in gewisser Weise auch die mutwillige und unwahrhaftige Kritik daran, die durchgängig von Seiten derjenigen kam, die den Ausnahmezustand akzeptierten oder sogar offensiv verteidigten.

Die selbstkritische Debatte innerhalb der Grünen ist bisher nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. Vielleicht kein Zufall, wenn man beobachtet, dass sowohl die Grüne als auch die Linke Parteispitze eher an autoritären Corona-Krisenmaßnahmen festhält, anstatt über demokratische Alternativen nachzudenken. Auch für sie gilt offensichtlich: Je näher man der Macht kommt, umso weniger offen und frei scheint man den Meinungsstreit zu pflegen.

Die Grünen, um bei ihnen zu bleiben, haben jedenfalls beim Ausnahmezustand aktiv mitgemacht. Noch vor wenigen Tagen schrieb die Grüne Jugend Brandenburg in einer Pressemitteilung: "Ein Demonstrationsverbot in Brandenburg mit Bündnisgrüner Handschrift [sic !] war für uns unter den bisherigen Umständen ertragbar." Doch nun fügen sie den Satz an: "Wir fordern unser Verfassungsrecht auf Versammlung zurück!"

Was ist damals im März 2020 eigentlich geschehen?

Warum diese plötzliche Tendenz zu unbegrenzter und unkontrollierter Macht auf Seiten der Regierenden? Warum diese bedingungslose Bereitschaft zur Anpassung auf Seiten der Opposition? Das sind wesentliche Fragen der anstehenden politischen Aufarbeitung der Corona-Zeit.

Vielleicht ist die Antwort einfach banal. Alle Institutionen drängen danach, sich einer Kontrolle zu entziehen. Von der Exekutive, Regierungen und Behörden, kennt man das zur Genüge. Für die Opposition, die sich zu rechtfertigen hat, warum sie nicht widerspricht, warum sie zustimmt oder bestimmten Vorgaben folgt, gilt das aber eben auch. Auch Abgeordnete lassen sich ungern an ihrem Auftrag messen. Und sogar die Medien, nominelles Kontrollorgan, tendieren dahin, nicht vom Publikum damit konfrontiert zu werden, warum sie diese und jene Frage nicht stellen.

Kontrolle, vor allem gegenseitige, ist das, was Demokratie ausmacht. Und Öffentlichkeit ist das letztlich entscheidende Mittel dafür. Ohne Öffentlichkeit ist Kontrolle nicht möglich.

Kontrollfreiheit ist das, was das Corona-Recht ermöglicht hat. Und sie haben danach gegriffen: die Regierenden, die institutionelle Opposition, die etablierten Medien. Hier haben nicht etwa heimlich konspirative Absprachen stattgefunden, sondern sind lediglich ähnliche Interessenlagen und Dispositionen zusammengefallen. Teile einer Ordnung, die miteinander zusammen hängen. Anpassungsdruck von oben wirkt wie ein Hebel, dem sich keine Partei, kein Ministerpräsident, keine Zeitung entziehen kann. Der Mechanismus gilt weltweit.

Ausschaltung der Öffentlichkeit

Frage: Kann man dadurch umgekehrt vielleicht erkennen, wer zu dieser Ordnung gehört? Hat das Corona-Regime diese Zuordnung vielleicht nicht erst erzeugt, sondern lediglich sichtbar gemacht? Hat es offengelegt, wer im Zweifel wo steht, auch in Friedenszeiten?

Die Ausschaltung der Öffentlichkeit war im Corona-Recht so zwangsläufig wie notwendig. Und für diese Aufgabe ist die Polizei vorgesehen.

Die Polizeiführung hat das sofort verstanden und das Corona-Recht für sich sehr freizügig ausgelegt. Während das Infektionsschutzgesetz auch für Abgeordnete gelten soll, die man damit zu Hause einsperren kann, gilt es für die Polizei und ihre Einsatzkräfte selbsterklärter Weise nicht. Die Polizei steht über dem Gesetz und legt es aus, wie es ihr passt. Damit wird das Recht zur Willkür und die Polizei zur politischen Polizei.

Seit Wochen prägt sie das öffentliche Bild. Beamte maßen sich an, überall Bürger anzusprechen und zu ermahnen. Kinder werden von Spielplätzen verjagt, auf anderen geduldet. Angehörige werden mal bei Beerdigungen ausgeschlossen, mal unter Beobachtung zahlreicher Beamten zugelassen. Autos werden aus dem Verkehr gezogen und ihre Fahrer zurückgeschickt.

Versammlungen werden verboten, aber zugleich auch Solodemonstrationen von einzelnen Personen. Dabei ist das durch die sogenannte Eindämmungsverordnung zum Beispiel in Berlin gar nicht gedeckt. In § 1 steht, dass "Veranstaltungen, Versammlungen, Zusammenkünfte und Ansammlungen nicht stattfinden" dürfen, von der Einschränkung der freien, öffentlichen und politischen Meinungsäußerung ist aber nicht die Rede. Doch auch sie versucht die Polizei bewusst zu unterdrücken. Man darf zwar alleine vor die Haustür, aber nicht mit einem Plakat mit politischer Aussage um den Hals.

Wenn Demonstrationen angemeldet werden müssen, die Polizei das "Konzept" prüft und dann genehmigt oder nicht, hat das mit "Demonstrationsfreiheit" nichts zu tun.

Die Polizei agiert mutwillig und widersprüchlich. Volle U-Bahnen sind für sie kein Grund für gesundheitsfürsorgliches Eingreifen. Es ist kein Fall bekannt, dass eine überfüllte Bahn oder ein Bus gestoppt worden wären.

Die Politik hat sie machen lassen. In Baden-Württemberg beispielsweise wurden Bestrebungen bekannt, im Schatten von Corona das Polizeigesetz zu verschärfen.

Diffamierung des Protests

Dass, wer diesen Ausnahmezustand mitträgt, Kritiker nicht duldet, kann man als folgerichtig ansehen. Womit wir wieder bei der Frage der Demonstrationen wären, die im März noch zögerlich und vorsichtig begannen, wie jene auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, ironisch "Hygienedemo" genannt, und die inzwischen in der gesamten Republik hundertfach stattfinden.

Es ist ein heterogenes, eher links-alternatives Klientel, unstrukturiert und führungsfrei. Menschen, die einzeln oder zu zweit erscheinen, ohne große Transparente oder vorbereitete Sprechchöre. Sie kommen, um zu zeigen, dass es sie gibt und dass sie mitsprechen wollen. Es gibt keine Veranstalter. Die Versammlung bildet sich Woche für Woche sozusagen aus sich heraus immer wieder neu.

Ein Merkmal ist, dass sehr viel diskutiert wird, untereinander und mit Polizisten. Der Rosa-Luxemburg-Platz und die anliegenden Straßen sind zum Schau- und Debattenplatz geworden. Das ist im Prinzip bis heute so geblieben. Es ist eine Form des zivilen Ungehorsams in bester Tradition. Wenn die Polizei beginnt, die Straßen zu räumen, zum Teil brutal, lassen sich etliche Demonstranten widerstandslos abführen. Sie gehen mit, so wie einst im Herbst 1989 in genau denselben Straßen.

Auffallend ist nun, wie diskreditierend in etablierten Medien, aber auch von unerwarteter Seite, über diese Aktionen berichtet wird. Und zwar nicht erst als Ergebnis einer "Entwicklung", sondern von Anfang an, geradezu programmatisch.

Dass die Bildzeitung, die Berliner Morgenpost oder auch der Tagesspiegel so schreiben, muss nicht unbedingt irritieren. Aber auch die Tagesschau, die taz und die Antifa machen bei diesem falschen Spiel mit.

Eine eigene Art "Querfront" sozusagen. Dazu wird das Label "rechts" missbraucht und in geradezu monströser Weise immer weiter ausgedehnt. Die Demonstrationswilligen werden in eine Reihe mit den rechtsterroristischen Attentätern von Halle und Hanau gestellt und inzwischen wie selbstverständlich als "Nazis" und "Faschisten" bezeichnet.

Das sagt allerdings mehr über die Absender selber aus, als über die Adressaten. Denn ihr gemeinsamer Nenner, von Bild bis Antifa, ist, den Ausnahmezustand zu akzeptieren. Die Diffamierung des Protests ist eine Art Selbstentlastung und Legitimierung der eigenen Angepasstheit. Dabei greifen sie aber zum Unverzeihlichsten in Deutschland: Die Instrumentalisierung und bodenlose Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Das ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass verschiedene Rechtsaktivisten ebenfalls zu den samstäglichen Ansammlungen kommen. Manche von ihnen geben sich als Berichterstatter, so wie eben auch taz und ARD. Demonstrationswillige kann man aber nicht für die verantwortlich machen, die über sie berichten.

Man kann sogar sagen: Die propagandahafte Etikettierung der Aktionen um den Rosa-Luxemburg-Platz als "rechtsextrem" ist geradezu eine Einladung an Rechtsextreme, dorthin zu kommen. Versuche der Enteignung der Urheber des Protests. Dennoch ist der wesentliche Charakter der Grundgesetz-Demo bisher erhalten geblieben.

Man muss noch ein Wort zur seltsamen Rolle der sogenannten Antifa verlieren, die den undemokratischen Ausnahmezustand mitträgt und sich dabei immer wieder wie ein Hilfsorgan der Polizei verhält. In Stuttgart beispielsweise hatte an einem Aprilsamstag die Polizei eine Demonstration von 50 Teilnehmern gegen das Corona-Recht genehmigt. Antifafotografen zählten nach und stellten 80 Teilnehmer fest. Auch der Mindestabstand zwischen ihnen sei nicht eingehalten worden. Das meldeten sie umgehend der Polizei.

In Berlin zwang die Antifa einen Deutsch-Türken, der sich im NSU-Komplex sehr für Aufklärung eingesetzt hatte, Fotos zu löschen, die er mit seinem Handy von ihrer genehmigten Gegendemonstration gemacht hatte.

Polizei konnte mithilfe der Antifa eine Demonstration verhindern

Am 1. Mai waren in Berlin 5000 Polizeibeamte im Einsatz. Aus mehreren Bundesländer kam Unterstützung. Daran kann man im Umkehrschluss ablesen, in welchem Maße die Menschen begonnen haben, wieder auf die Straße zu gehen, um durch ihre bloße Anwesenheit ihren Protest an den autoritären Maßnahmen zum Ausdruck zu bringen.

Auch am Rosa-Luxemburg-Platz, wo vor fünf Wochen eine der ersten Initiativen für die Demonstrationsfreiheit in Zeiten von Corona ergriffen worden war, und wo sich Woche für Woche die Teilnehmerzahlen verdoppelten, sollte wieder demonstriert werden. Am 25. April 2020 kamen am und um den Platz bei der Volksbühne schätzungsweise mindestens 2000 Menschen zusammen.

Doch am 1. Mai griff die Polizei zu einem Trick. Stunden, bevor die samstägliche Aktion unter dem Namen "Hygienedemo" beginnen sollte, gab man den Platz einer Antifa-Gruppe, die eine Kundgebung unter dem Motto "Keine Diskriminierung von Reptilienmenschen" durchführte. Gleichzeitig sperrte die Polizei das Areal weiträumig ab. Der Platz sei mit einer Demo und 20 Personen bereits belegt, niemand dürfe mehr darauf, hieß es.

Tatsächlich war der Platz praktisch menschenleer. So gelang es der Polizei mithilfe der Antifa eine Demonstration zu verhindern, die von Woche zu Woche immer größer geworden war. Teilnehmer der Antifa bestätigten, dass genau das das Ziel gewesen war. Kritik am Infektionsschutzgesetz ließen sie nicht gelten, es sei schließlich auf längstens ein Jahr begrenzt. Außerdem habe der Staat ja eine Fürsorgepflicht.

In diese Inszenierung hinein geriet auch das ZDF-Team der "heute show" mit dem Satiriker Abdelkarim. Es drehte auf dem nahezu leeren Platz der Antifa-Reptilien-Demo und später auf der so gut wie leeren Rosa-Luxemburg-Straße südlich davon. Dass sich mehrere hundert Teilnehmer der verhinderten Hygiene-Grundgesetzdemo nördlich davon in der Nähe des Schendelplatzes gesammelt hatten, bekam Abdelkarim offenbar nicht mit. Diese wiederum nichts von ihm. Der gewalttätige Angriff auf den Deutsch-Marokkaner und sein Team am Nachmittag geschah in einem weit südlich gelegenen Bereich mehrere hundert Meter entfernt und an einem eher unbelebten Ort jenseits des Bahndamms. Nach letzten Informationen sowohl der Polizei als auch des ZDF soll es sich um eine Gruppe von 20-25 vermummten Personen gehandelt haben. Offensichtlich eine organisierte Aktion. Die Hintergründe sind bisher unklar.

Eine der zahllosen Demonstrationen am ersten Maiwochenende in der Hauptstadt spielte sich vor dem Urban-Krankenhaus ab, wo auf den Pflegenotstand eines privatisierten Gesundheitssystems aufmerksam gemacht wurde. Obwohl nur 20 Teilnehmer erlaubt waren, kamen auch zu diesem Termin mindestens 200 Protestwillige. Darunter auch etliche, die samstags am Rosa-Luxemburg-Platz sind. Ausdruck des normalen pluralen Klientels, das hinaus auf die Straßen drängt und sich an den diversen Schauplätzen mischt. Dass bei der Gesundheitsdemo vor dem Krankenhaus auch eine DKP-Gruppe mitsamt Transparent mitmachte, eine Partei also, die einst einen autoritären Obrigkeitsstaat unterstützte, störte wiederum niemanden.

Die politische Führung hat begonnen, die "Führung" (Olaf Scholz) zu verlieren. Die Maskenpflicht ist ein Versuch, sie wieder zu erlangen. Sie ist ebenfalls weniger gesundheitlich motiviert als politisch.