Irak: Bleiben die US-Truppen?

US-Militärs in der Nähe der Al Asad Air Base im Irak. Bild (Nov. 2019): US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

Der neue Regierungschef Mustafa al-Kadhimi hat es mit einer wirtschaftlichen Notsituation zu tun, mit der Corona-Krise und einer neuen Angriffswelle des IS. Iran will die USA aus dem Irak vertreiben

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Die USA wollen, dass "Iran Syrien verlässt". Außenminister Pompeo bekräftigte die Forderung abermals mit Verweis auf die Sicherheitsinteressen Israels. Zur US-Regionalstrategie gehört auch die Forderung, dass Irans Einfluss im Irak deutlich geschwächt wird. Dies hat die derzeitige US-Führung zum programmatischen Punkt für Neuverhandlungen zur aufgekündigten Nuklearvereinbarung (JCPOA) erklärt. Mit maximalem Druck will man Iran an den Verhandlungstisch zwingen. Die vielfältigen Fronten dazu sorgen täglich für Nachrichten.

Irans Führung fordert ihrerseits, dass die US-Truppen die Region verlassen und aus Syrien und dem Irak abziehen.

Das ist der geopolitische Rahmen zur Regierungsbildung im Irak. Das Land nimmt eine besondere Position im Konflikt zwischen den USA und Iran ein. Beide Länder befinden sich dort in einem verdeckten Schlagabtausch, der manchmal offen ausbricht und der das ständige Risiko birgt, zu eskalieren. Ansatzpunkt für die US-Strategie sind dort die schiitischen al-Haschd asch-Schaʿbi-Milizen. Mit Kata'ib Hezbollah, einer Miliz, die mit den Haschd und mit Iran verbunden ist, liegen die US-Streitkräfte im Krieg.

Dazu kommt der Kampf um Einflusssphären, der indirekt ausgetragen wird, etwa wenn ein neuer Regierungschef in Bagdad gesucht wird. Das war seit November der Fall.

Eine neue Regierung

Gestern wurde Mustafa al-Kadhimi zum Premierminister bestimmt Das irakische Parlament wählte den Kompromisskandidaten (SZ)zwar mehrheitlich, aber größere politische Gruppen unter Führung der Ex-Premiers al-Maliki und Allawi verweigerten die Unterstützung.

Aber: Aus Iran kam kein "Veto", Außenminister Zarif gratulierte, und die USA reagierten mit der Verlängerung der "Erlaubnis", iranischen Strom einzuführen, worauf der Irak angewiesen ist.

Dass der ehemalige Geheimdienstchef Mustafa al-Kadhimi bis dato weder einen Außenminister noch einen Minister für das Ölministerium bestimmen konnte und zuvor große Mühe hatte, andere Ressortleiter durchzubringen, zeigt, wie schwierig es ist, im irakischen Macht-Mosaik eine Regierung zu bilden.

Innenpolitisch ist der Schwierigkeitsgrad der Probleme hoch. Der Sturz der Ölpreise bringt das Land, dessen Wirtschaft zu neunzig Prozent vom Ölexport abhängt, in ein noch größeres Dilemma. Schon zuvor gab es Proteste, die auf Notlagen in der Versorgung der Bevölkerung zurückzuführen sind, die sich über Jahre verschlimmert hatten.

Anfangs wurden die Proteste hauptsächlich von Jüngeren getragen, die auf ihre wirtschaftlichen Probleme aufmerksam machten, dass sie keine Zukunftsperspektive sahen. Sie wandten sich gegen die verbreitete Korruption in der Macht- und Geschäftselite. An diesem Punkt gibt es Gemeinsamkeiten zu den Nachbarländern. Die Misere, die alte Machtgruppierungen, die eng mit dem Militär- und mit Unternehmern verbunden sind, verursachen, kann man von Ägypten bis zum Libanon verfolgen.

Perspektiven

Die Vorgängerregierung in Bagdad ging rabiat und brutal vor, es kam bei Einsätzen gegen die Demonstrationen zu Hunderten Toten. Allerdings ist dabei auch ins Bild zu nehmen, dass sich in die Auseinandersetzungen zwischen Protestierern und Sicherheitskräften auch andere politische Rechnungen, Interessen, Proxys und Schlägertruppen mischten. Sowie eine Berichterstattung, die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten weiter polarisierte.

Ob es Mustafa al-Kadhimi gelingt, diese Probleme bei einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in den Griff zu bekommen?

Es ist nicht die einzige Schwierigkeit. Dazu kommt die Bedrohung durch das Corona-Virus. Bislang halten sich die Fälle von bekannt gewordenen Infizierten in einem überschaubaren Rahmen, doch ist der Ölpreissturz nicht die einzige wirtschaftliche Folge der Pandemie. Der Handel ist durch die Kontermaßnahmen stark eingeschränkt. Auch im Irak droht eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit, zumal der Regierung das Geld ausgeht, was unmittelbare Auswirkungen auf die Staatsbediensteten hat.

Die brenzlige Lage wird obendrein mit Konflikten zwischen Lagern verschärft, die an Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten andocken. Wie gefährlich sich das aufschaukeln kann, zeigte sich, als Proteste mehr und mehr in den Kontext des Konflikts zwischen den USA und Iran gezogen wurden und das US-Militär die schiitische Miliz Kata'ib Hezbollah angriff, die Iran nahesteht.

Das war das Vorspiel zu einer Eskalation, die letztlich zum Schockereignis der Ermordung des iranischen Generals Soleimani durch eine US-Drohne am Flughafen Bagdad sowie zu einer Vergeltungsaktion Irans führte. Als Ziel wurde von Teheran ausgerufen, dass man alles daransetze, die US-Truppen aus der Region zu vertreiben. Die Angriffe auf Militärbasen mit US-Präsenz im Irak gingen weiter, wenn auch nicht unter einem iranischen Etikett.

Das irakische Parlament stimmte nach der gezielten Tötung am Bagdader Flughafen, bei der auch der irakische Vizekommandeur der schiitischen al-Haschd asch-Schaʿbi-Milizen (deutsch meist mit "Volksmobilmachungskräfte" wiedergegeben) getötet wurde, für einen Abzug der US-Truppen aus dem Irak.

IS: Neue Offensiven

Zu welchen Vereinbarungen die neue Regierung unter Mustafa al-Kadhimi mit den USA kommen wird, ist noch offen. Bislang weigerten sich die USA, dem Beschluss des Parlaments zu folgen. Begründet wurde dies mit der fortgesetzten Bedrohung des IS, der eine Fortsetzung des gemeinsamen Kampfes nötig mache. Hier und da wurde auch die fehlende Legitimation des Beschlusses ins Spiel gebracht. Es fehle die Unterschrift eines dazu befugten Regierungschefs, wurde über Medienberichte gestreut.

Das gilt nun nicht mehr. Mustafa al-Kadhimi könnte den Beschluss bekräftigen. Allerdings hat der Irak nun mit einer ganzen Serie von IS-Angriffen zu tun. Entsprechend kommt auch der neuen Regierung, die wichtige Personen ins Amt gehoben hat, die sich im Kampf gegen den IS auszeichneten, Beifall von irakischen Beobachtern zu - und die Hoffnung, dass es die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte schaffen, der neuen Angriffswelle Herr zu werden.

Dabei macht sich aber bemerkbar, dass die USA ihre Hilfe deutlich einschränkten. Die irakischen Einheiten waren bei ihren Befreiungskämpfen gegen den IS von der US-Luftwaffe unterstützt worden. Dazu spielten Geheimdienst/Aufklärungsinformationen des US-Militärs eine wichtige Rolle. Auch diese Kooperation stellten die USA ein (siehe dazu: Elijah J Magniers lesenswerten Lagebericht aus einem gespaltenen Land).

Vom neuen Regierungschef Mustafa al-Kadhimi heißt es, dass er gute Beziehungen zu den USA hat. Ob er die Zusammenarbeit mit Washington verstärken wird, ist offen.

Der Kampf gegen die neuen IS-Milizen-Angriffe könnte auch erneut vor Augen führen, wie wichtig die al-Haschd asch-Scha'bi-Milizen für die irakische Armee und Polizei-Kräfte sind. Schon jetzt gehören sie zum allergrößten Teil offiziell zur irakischen Armee. Die neue Regierung wird, wie es aussieht daran nichts ändern, sonst hätte Iran die Wahl Mustafa al-Kadhimis verhindert.

Der USA/Iran-Konflikt geht mit der neuen irakischen Regierung in die nächste Runde.

Mustafa al-Kadhimi versprach übrigens Neuwahlen.