Kanzleramt: Schmuddelkind unter Waffenhändlern

Bundeskanzleramt. Bild: LoboStudio Hamburg/Unsplash.com

Akten des Bundessicherheitsrates sollen weiter geheim bleiben, keine Transparenz bei Kriegswaffen

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Wer über den Export von Mordwerkzeugen schreibt, sollte immer und zuerst Artikel 26 des Grundgesetzes zitieren: "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, (...) sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen."

Die Realität ist eine andere, und das Berliner Oberverwaltungsgericht (OVG) hat gestern der Praxis des Kanzleramtes, die Akten des Bundessicherheitsrates (BSR) - der über Rüstungsexport entscheidet - "zum Kernbereich der Exekutive" und damit für geheim zu erklären, leider keinen Riegel vorgeschoben.

Ich hatte 2016 einen Antrag an das Bundeskanzleramt gestellt, mir Einsicht in die Akten des BSR zu den Waffenlieferungen in die Diktaturen Chiles, Argentiniens, Paraguays und Uruguays zu gewähren, von 1972 bis 1985. Laut Bundesarchivgesetz sind alle amtlichen Dokumente nach 30 Jahren frei, nur in wenigen Ausnahmefällen kann diese Frist verlängert werden. Das Kanzleramt aber will diese Ausnahme zur Regel machen und das Amt zu einer uneinnehmbaren Wagenburg machen. Drei Argumente hat es ins Feld geführt:

1) Das Kanzleramt sei kein Archiv und im Gegensatz zum Auswärtigen Amt nicht auf Publikumsverkehr eingestellt. Eine Durchsicht zehntausender Dokumente sei ein "unzumutbarer Verwaltungsaufwand". Warum es die Akten des BSR nicht an das Bundesarchiv abgibt, das für die Aufbereitung großer Datenmengen für das Publikum zuständig ist? Keine Antwort. 2) Die BSR-Akten müssen über die 30-Jahres-Frist hinweg geheim gehalten werden, um dem "Wohl des Staates" nicht zu schaden. Andere Staaten könnten daraus Rückschlüsse ziehen.

3) Auch die von mir beantragten Findmittel (Registraturen, Inhaltsverzeichnisse) könnten nicht offengelegt werden, weil darin geheime Informationen enthalten seien.

Menschenrechte zählen "nicht zu den nach den 'politischen Grundsätzen' relevanten Entscheidungskriterien"

Man schickte mir einige BSR-Dokumente, Analysen von Zeitungsartikeln, teilweise waren ganze Seiten geschwärzt, etwa zum "Sonderfall Chile" und zu "gesetzlichen Grundlagen". Letztere sind offensichtlich Interpretationen, mit denen sich das Kanzleramt über gesetzliche Verbote hinwegsetzte.

Zitat aus einem BSR-Memo bezüglich der Militärdiktatur in Buenos Aires: "Argentinien ist einer der größten Importeure deutscher Rüstungsgüter außerhalb der NATO." Der Sicherheitsrat hatte den Generälen U-Boote, Panzerabwehrraketen, Torpedos, Kanonen und Fregatten genehmigt. "Die Einhaltung der Menschenrechte spielt zwar in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle, zählt aber nicht zu den nach den 'politischen Grundsätzen' relevanten Entscheidungskriterien." Der Vermerk ist von 1981, also noch in der Ära des Sozialdemokraten Helmut Schmidt und kurz vor dem Malwinen-Krieg.

Man schickte mir eine Liste mit zwei Dutzenden Dokumenten, die man mir auf keinen Fall freigeben wollte. Ich legte Klage vor dem Verwaltungsgericht ein. Parallel wertete ich im Auswärtigen Amt sämtliche Akten zu Paraguay von 1952-1985 aus, eine Menge Papier, aber eine gute Registratur erleichterte die Auswahl, welche Akten ich Blatt für Blatt durchsehen musste. Dort fand ich die Einschätzungen des AA zum Export von Kriegswaffen in die blutige Stroessner-Diktatur der 70er Jahre: Rheinmetall und Heckler&Koch lieferten Maschinenpistolen und Kanonen, und paraguayische Polizisten wurden an deutschen Akademien unterrichtet - auch Offiziere, die als Folterer berüchtigt waren.

Das AA hatte damals diesen Export mit Hinweis auf die "traditionell guten Beziehungen" begründet. Aus den Protokollen des BSR - unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft - erhoffte ich mir Hinweise, ob der Waffenhandel im Zusammenhang mit Parteispenden gestanden hatte. In der Ära Kohl (ab Oktober 1982) hatte sich der Umfang des Waffenexports verdreifacht, und in keinem anderen Wirtschaftsbereich werden so hohe Schmiergelder gezahlt - nicht nur an südamerikanische Militärs.

Details sind im Buch "Schwarzbuch Waffenhandel" nachzulesen, hier nur zur Erinnerung: Ludwig Holger Pfahls, aus dem Stall der bayerischen Staatskanzlei, dann Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Staatssekretär im Verteidigungs-Ministerium tütete den Panzer-Export nach Saudi Arabien ein, im Gegenzug tauchten auf seinem Schweizer Konto 3,8 Millionen Euro auf. Wie viele der insgesamt 220 Millionen Schmiergeld an die CDU ging, kam in dem folgenden Strafverfahren nicht zur Sprache. Aber Pfahls, CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep und 2 Thyssenmanager wurden wegen Bestechlichkeit verurteilt, ebenso wie Heckler&Koch wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko. H&K hatte mehrfach jeweils 10.000 Euro an den Wahlkreis von Volker Kauder gespendet, langjähriger Chef der CDU-Bundestagsfraktion und enger Vertrauter von Angela Merkel.

RA Raphael Thomas und Gaby Weber

Die erste Instanz ließ die pauschale Geheimhaltung nicht gelten und verurteilte das Kanzleramt zur Vorlage der zurückgehaltenen BSR-Dokumente. Die Findmittel allerdings seien kein Archivgut, so das Verwaltungsgericht. Das Kanzleramt schob daraufhin zu jedem Dokument eine einzelne "Begründung" nach, warum eine Veröffentlichung dem Wohl des Bundes schaden würde, Begründung in Anführungszeichen, weil wieder nur pauschale Behauptungen aufgestellt wurden, die durch nichts bewiesen wurden.

Das Berliner OVG akzeptierte diese Behauptungen, nur etwa ein Drittel der gesperrten Dokumente soll ich noch bekommen. Und es bestehe kein Anspruch auf Nutzung der Findmittel, so das Urteil. Revision wurde nicht zugelassen. Ich werde den Rechtsweg ausschöpfen. Zwar sei positiv, dass die Akten des Kanzleramts und des Sicherheitsrates "nicht pauschal geheim sind, sondern dass ein Anspruch auf Einsicht bejaht wurde" (Rechtsanwalt Raphael Thomas), aber nur durch Einsicht in die Findmittel ist eine umfassende Recherche und eine Überprüfung der Behauptungen des BSR möglich, was heute, nach über 30 Jahren und einer vollkommen veränderten globalen Lage an den damaligen Exportgenehmigungen noch geheim sein soll - außer vielleicht der Zusammenhang zu erfolgten Parteispenden.

In Südamerika setzt sich heute die zivile Gesellschaft für die umfassende Aufarbeitung der Zeit der Diktaturen ein, auch die konservativen Regierungen stellen sich dem nicht in den Weg und haben entsprechende Gesetze und bilaterale Abkommen unterzeichnet. Im AA hat sich ab Anfang der 80er Jahre die Auffassung durchgesetzt, dass es sich bei den südamerikanischen Diktatoren um Verbrecher handelt und dass die Beziehungen keineswegs so harmonisch waren, wie man jahrelang in die Export-Genehmigungen geschrieben hatte. Durch die Weigerung, ihre Akten offen zu legen, entpuppt sich die Bundeskanzlerin als Schmuddelkind, das sich der öffentlichen Kritik entziehen will.

Am 26. Mai wird vor dem Berliner Verwaltungsgericht über die Herausgabe der Kohl-Akten verhandelt, die die Witwe Maike Kohl-Richter zurückhält.

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