Über die neue Normalität, die Linke und den Irrationalismus

Bild: Vargazs/Pixabay License

Es ist nicht verwunderlich, dass irrationale Bewegungen in der Corona-Krise stark werden. Es sollte vielmehr gefragt werden, warum in der linken Bewegung so wenig zu hören ist?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Tausende sind in den Tagen bundesweit gegen die Corona-Einschränkungen in deutschen Städten auf die Straße gegangen. Es waren längst nicht alles Rechte, aber es sind überwiegend rechtsoffene Veranstaltungen.

Das bekam Hendrik Sodenkamp vom Demokratischen Widerstand zu spüren, als er in Berlin einer Gruppe Rechter deutlich machen wollte, dass sie dort unerwünscht sind. Vor allem aber zeigt sich überall der Irrationalismus der Corona-Notstand-Kritiker.

Vom Irrationalismus der Impfgegner

Ein Beispiel ist eine Pressekonferenz des "Demokratischen Widerstand", wo der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Kampf um die Grundrechte liegt, sondern auf dem Ticket der Impfgegner gefahren wird. Dabei raunt ein Arzt, dass der Impfstoff mit anderen Zusätzen versehen sein könnte, mit dem vagen Hinweis, das sei bereits mal in Kenia geschehen.

Es ist fatal, wenn Gruppen, die berechtigterweise den Corona-Notstand anprangern, sich nun auf das Feld der Impfgegner begeben. Dabei wäre ein durch medizinische Forschungsergebnisse abgesichertes Impfserum das beste Mittel, um allen Grundrechtseinschränkungen den legitimatorischen Boden zu entziehen. Zudem war es historisch immer so, dass Impfkampagnen Kennzeichen von linken Bewegungen in ihrer fortschrittlichen Phase waren.

Sowohl in Kuba wie in Nicaragua sorgten Impfungen dafür, dass viele gefährliche Krankheiten dezimiert wurden und die Lebenserwartung der Menschen gestiegen ist. Wenn man dem rationalen und vernünftigen Grundsatz folgt, dass das Ziel einer fortschrittlichen Gesundheitspolitik sein sollte, allen Menschen auf der Erde einen nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen medizinischen Schutz zukommen zu lassen, dann gehören dazu natürlich auch Impfungen.

Gegner waren schon immer rechte und klerikale Bewegungen, die in nachrevolutionären Bewegungen Ärzte und Impfteams ermordeten. Daher kann die Frage der Impfung auch eine notwendige Spaltungslinie in der Bewegung gegen die Corona-Einschränkungen sein. Auch ein Kreis von Klerikern hat sich mit einem Aufruf zum weltweiten Corona-Notstand geäußert. Auch dort ist ein deutlich verschwörungstheoretischer und so strukturell antisemitischer Unterton hörbar.

Der Kampf gegen Covid-19, so ernst er auch sein mag, darf nicht als Vorwand zur Unterstützung undurchsichtiger Absichten übernationaler Organisationen und Gruppen dienen, die mit diesem Projekt sehr starke politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen. Insbesondere muss den Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, Einschränkungen der persönlichen Freiheiten abzulehnen und straffrei sich einer drohenden Impfpflicht zu entziehen und Tracingsysteme oder ähnliche Instrumente nicht zu benutzen.

Aus dem Aufruf für die Kirche und für die Welt

Es ist schon merkwürdig, dass konservative Kleriker, die das Leben der Menschen mit scheinbar göttlichen Geboten reglementieren und besonders in das Leben von Frauen und sexuellen Minderheiten eingreifen wollen, sich als Kämpfer für den Liberalismus gerieren.

Warum wird Misstrauen gegen Regierungen mit Antisemitismus auf eine Stufe gestellt?

Solche reaktionären und irrationalen Gruppen dürfen aber kein Vorwand sein, um alle Gegner des Corona-Notstands in die Ecke von Rechten und Verschwörungstheroretikern zu stecken, wie es aktuell leider von linken und liberalen Medien praktiziert wird.

So berichtet das Online-Projekt Belltower News verdienstvoll über rechte und irrationale Bestrebungen bei den Protesten gegen den Corona-Maßstab, um dann zu schreiben:

Auf den Demonstrationen verbreiten die Teilnehmer*innen die krudesten Mythen zu Covid-19 und zum generellen Geschehen auf der Welt. Das hat weniger mit Kritik an Maßnahmen zu tun, dafür mehr mit Antisemitismus, Misstrauen gegenüber demokratisch gewählten Regierungen und Angst vor Manipulation. Die Menschen auf den Demonstrationen teilen beinahe alle eine ablehnende Haltung zum Impfen und sehen in Bill Gates den ultimativen Bösewicht.

Aus Belltower News

Hier fällt auf, dass in einer Aufzählung Antisemitismus mit Misstrauen gegenüber demokratisch gewählten Regierungen auf eine Stufe gestellt wird. Da wäre doch zu fragen, ob nicht Trump in den USA genauso bürgerlich-demokratisch gewählt wurde wie Merkel in Deutschland und Orban in Ungarn.

Sollte es nicht die vornehmste Aufgabe einer emanzipatorischen Bewegung sein, gegenüber all diesen Machthabern mehr als kritisch zu sein? Es müsste eigentlich darum gehen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der niemand mehr bereit ist, so regiert zu werden. Eine solche emanzipatorische Staats- und Machtkritik steht in der Tradition linker Theorie und Praxis von Anarchisten, Räte- und Linkskommunisten.

Sie hatten längst erkannt, dass auch die bürgerliche Demokratie eine Form der Machtausübung im Interesse des Kapitals ist. Das bekommen wir seit den Tagen des Corona-Notstands täglich zu spüren.

Neue Normalität: Der "digitale Kapitalismus" setzt sich weltweit durch

Wie schon lange bekannt ist, hat längst ein neues kapitalistisches Akkumulationsregime begonnen, das etwas unpräzise als "digitaler Kapitalismus" bezeichnet wird. Nun werden weltweit die Menschen im Zuge der Corona-Krise mit Gewalt in dieses digitale Zeitalter gepresst. Schließlich wurde schon lange von Ökonomen und Politikern beklagt, dass sich die Menschen nicht schnell genug an die neuen kapitalistischen Verhältnisse anpassen.

Nun ist historisch die Durchsetzung jedes neue kapitalistischen Akkumulationsregims mit Zwängen und Gewalt verbunden gewesen. Oft wurden dafür Epidemien, Kriege etc. in der Geschichte benutzt, um den neuen Regimes zur Durchsetzung zu verhelfen. Aktuell wird sehr viel der Begriff der "neuen Normalität" benutzt, den niemand so richtig definieren kann.

Das ist ein Einfallstor für Irrationalisten jeder Couleur, nun ihre Version des verschwörungstheoretischen Denkens unter die Menschen zu bringen. Da wird dann behauptet, das Virus existiere gar nicht oder wäre künstlich erzeugt worden, um die Welt zu beherrschen. Dabei sind es die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten, die hinter dem Rücken der Akteure auch in der Corona-Krise wirken.

Wichtig ist es, hier im Gegensatz zu Irrationalisten jeglicher Couleur zu betonen, dass die Durchsetzung der "Neuen Normalität" eben keine Akteure und Planer, sehr wohl aber Profiteure hat. Das ist übrigens bei der Gentrifizierung und vielen anderen Erscheinungen im realen Kapitalismus nicht anders.

Eine verkürzte Kapitalismuskritik macht dann bestimmte Banken, Investoren etc. dafür verantwortlich und jetzt sorgt sie dafür, dass eine irrrationale Bewegung sich auf Bill Gates und die WHO einschießt.