Warum Ernährungsstudien keine Beweise liefern

Bild: National Cancer Institute

Die Gründe sind außerordentlich vielfältig, aber sehr einfach nachvollziehbar

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Auch wenn jetzt in Corona-Zeiten wieder von "Stärkung des Immunystems durch XYZ essen" schwadroniert wird, es ändert nichts an der "ewigen Tatsache": Ernährungsforschung kann keinerlei Kausalevidenz (also Ursache-Wirkungs-Beziehungen) liefern, weil wesentliche Voraussetzungen im Studiendesign dafür nicht erfüllt werden. Die relevanten Limitierungen, die ökotrophologische Studien auf Kristallkugelniveau "downgraden", sind:

Beobachtungsstudien

... das Fundament der Ernährungsforschung. Diese Studien, auf denen das gängige Ernährungs(halb)wissen basiert, können keine Beweise (Kausalitäten) liefern, sondern nur vage Vermutungen und Hypothesen abgeleitet von schwachen Korrelationen.

Korrelationen

... statistische Zusammenhänge, über deren tatsächliche Verbindung man nichts weiß. Bsp.: Rotweintrinker leben länger. Liegt es am Rotwein oder am "Rest" des Lebensstils, weil diese Menschen mehr Geld haben, eine bessere Gesundheit, höhere Jobs etc.? Eine Korrelation liefert keine Kausalität!

Kausalität

... Ursache-Wirkungs-Beziehung, die Mangelware der Oecotrophologie schlechthin. Ein einfaches Beispiel: Skorbutkranke haben einen Vitamin-C-Mangel. Gleicht man diesen aus, verschwindet die Erkrankung vollständig. Ursache: Vitamin-C-Mangel Wirkung: Skorbut.

Harte klinische Endpunkte

... Kausalevidenz für die entscheidenden Forschungstargets (die harten klinische Endpunkte) wie Herzinfarkte, Schlaganfall, Krebs oder Lebenserwartung können nur hochwertige Studien liefern. Diese existieren in der Ernährungswissenschaft nicht - und sie wird es auch niemals geben. Stattdessen müssen sich die Essforscher mit …

Surrogatparametern

... begnügen. Das sind Ersatzwerte wie Blutdruck oder Blutwerte. Sie sind schwach in ihrer begrenzten Aussagekraft und liegen zudem meist nur als Korrelationen vor.

Randomisierung

... einer der wichtigsten Studienfaktoren: das zufällige Verteilen der Menschen in die Studiengruppen, damit diese vergleichbar sind. Im Bereich der "großen Ernährungsfragen" ist die Randomisierung jedoch unrealistisch bis unmöglich, denn: Es ist nicht umsetzbar, von einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe eine bestimmte Ernährungsweise zu fordern und zu erwarten, dass die Teilnehmer sich über die erforderlichen Jahre bis Jahrzehnte daran halten.

Würde man beispielsweise wissen wollen, ob vegetarische Ernährung gesünder ist als "Alles-Essen" und teilt die Probanden demnach zufällig in diese beiden Gruppen auf, welcher Steak-Freund hört da schon gern: "Alea iacta est - die Würfel sind gefallen: Sie sind in die vegetarische Gruppe gelost worden und dürfen jetzt fünf Jahre lang während der Studienlaufzeit kein Fleisch essen." Umgekehrt will man sich den Aufschrei der Empörung gar nicht vorstellen: Ein Vegetarier wird in die Allesesser-Gruppe randomisiert. Hinzu kommt …

Placebo

… Placebo-Fleisch wäre auch noch nötig, aber das gibt es eben-falls nicht. Generell existiert kein einziges Placebo-Lebensmittel - und damit gibt es auch keine Placebogruppe als Studienarm. Sehr arm. Denn damit lässt sich die Wirksamkeit einer Intervention am besten erforschen.

Verblindung / Doppelblind

... weder der Arzt respektive Studienleiter noch die Probanden (Studienteilnehmer) wissen, ob sie in der Interventions-, der Vergleichs- oder in der Placebogruppe sind. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit echter Ergebnisse, weil keine Erwartungen & Wünsche in die Studie hineininterpretiert werden (was die Ergebnisse in der Regel verfälscht).

Ernährungsforschung bleibt auch hier leider ein Blindflug, denn weder die Einfach- noch eine Doppelverblindung ist auf dem Teller möglich.

Fehlende Dosis-Wirkungs-Beziehung

.... in den meisten Studien zeigt sich eine sogenannte J- oder U-Kurve, d. h. beispielsweise, dass die Menschen mit niedrigem und hohem Wurstverzehr früher sterben als die mit moderatem Konsum. Es liegt demnach keine aussagekräftige und auf Kausalität hindeutende Dosis-Wirkungs-Beziehung vor, bei der mit steigendem Verzehr ein wachsendes Risiko einhergehen müsste.

"Wachsweiches" Datenfundament

... die Mengen an verzehrten Lebensmitteln, also die Studiengrundlage, basieren stets auf den unüberprüfbaren Eigenangaben der Probanden. Und hier weiß man: Es wird gern geschummelt, die Antworten sind (fast) nie 100 % ehrlich, Stichwort "Underreporting" - aus Gewissensgründen wird gern mehr vermeintlich "gesunde Kost" angegeben, dafür werden die "bösen" Lebensmittel nach unten "korrigiert".

Ergo: Man kann allein die Datengrundlage schon nicht ernst nehmen, denn sie ist alles andere als valide. Und oftmals wird diese nur ein einziges Mal zu Beginn einer Studie abgefragt, die zehn Jahre oder länger läuft.

Confounder

... die "berühmt-berüchtigten" Störfaktoren, die einen unerwünschten verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse von Beobachtungsstudien haben. Also beispielsweise Lebensstilfaktoren wie Sex, Geld, Freizeit und allerlei emotional und sozial Zwischenmenschliches, aber auch "Banales" wie Sonneneinstrahlung und Frischluftqualität in unterschiedlichen Studienländern - das alles beeinflusst und verfälscht die Ergebnisse (teils massiv), wird jedoch nicht in den Fragebögen erfasst.

Die Studiendesigner nutzen zwar diverse statistische Methoden, um diese Verzerrungen herauszurechnen. Jedoch weiß keiner sicher, welche dieser Faktoren in welcher Art die Ergebnisse verfälschen.

Publikations-Bias

... die Schieflage der Veröffentlichungen. Die Studienlage hat eine massive Schlagseite, denn die Papers, die zu zeitgemäßen, gesellschaftlich akzeptierten Ergebnissen kommen, werden wahrscheinlicher publiziert als diejenigen, die genau das Gegenteil beobachten.

Beispiel: Zwei Studien untersuchen den Zusammenhang von rotem Fleisch und Herzinfarkt. Nur eine davon beobachtet eine positive Korrelation, also "je mehr böses Steak, desto mehr Herzinfarkte", so wird wohl diese Arbeit eher veröffentlicht - und die andere, die nichts oder gar eine inverse Korrelation ergeben hat, die verschwindet in der Schublade.

Mythenkranz aus Spekulationen

Zu alldem passt abschließend folgende Erkenntnis, die Der Spiegel Mitte 2017 zum Besten gab: "Ausgerechnet die Ernährung, ein Thema, das jeden betrifft, widersetzt sich ein paar Grundregeln der seriösen Forschung: randomisierte Doppelblindstudien? Eine absurde Vorstellung. Ernährungsforschung weist methodische Schwächen und wissenschaftliche Lücken auf. Ausgerechnet die fundamentale Frage der Lebensführung umgibt daher ein Mythenkranz aus Spekulationen und unbewiesenen Hypothesen." Aufgrund all dieser Limitierungen existiert bis heute keine einzige klinische Studie nach höchsten EBM-(evidence-based-medicine) Kriterien, die auch nur einen einzigen harten Endpunkt kausal belegen konnte. Es gibt Myriaden Korrelationen, kleine schwache kurze RCT (randomised clinical trials), Mäusestudien, die allesamt stets nur Surrogatparameter bewerten (können).

Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebs, Mortalität als harten Endpunkt für irgendeine Ernährungsweise respektive spezielle Lebensmittel(gruppen) oder gar einzelne Inhaltsstoffe kausal belegt? Null.

Alternative Evidenzen

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass selbst die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) im November 2019 öffentlich klar konstatierte, dass auch in Zukunft Studien zur Ermittlung von Kausalevidenz nicht zu erwarten seien: "Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Ernährungsbereich für Lebensmittelempfehlungen andere Wege beschritten werden müssen, als auf die Studien zu hoffen, die in der Praxis nicht durchführbar sind … "

Oder anders in Donald Trumpisch formuliert: "Uns fehlt valide Kausalevidenz, also müssen wir 'Alternative Evidenzen' zur gesunden Ernährung finden ...". Worauf die basieren, das wissen Sie inzwischen, oder?

Uwe Knop ist Ernährungswissenschaftler, Publizist und Buchautor. Seit mehr als 10 Jahren bildet die objektiv-ideologiefreie Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Sein Engagement hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, ob er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt - genussvolles Essen zur Lebenserhaltung - auf seinen Körper hört und seinem intuitiven Ernährungsnavigator vertraut. Im Juli 2019 erschien sein Buch "Dein Körpernavigator zum besten Essen aller Zeiten".

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