"Terrorismus ist ein Begriff der politischen Verunglimpfung"

EX-FBI-Beamter Michael German über den Kampf gegen den Terrorismus und wie dieser und die geheimdienstlichen Aktivitäten die Behörde negativ veränderte

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Das FBI gilt als eine der schlagkräftigsten Strafverfolgungsbehörden der Welt. Michael German war einst FBI-Beamter. Als sein Arbeitgeber zu illegalen Methoden im Kampf gegen den Terrorismus greift, entscheidet er sich, diese Missstände zu melden. Er wird Anfang der 2000er Jahre zum Whistleblower. Er berichtet dem Kongress und kritisiert die einseitige politische Ausrichtung des FBIs.

Den Ausbau der geheimdienstlichen Kompetenzen bewertet German in seinem Buch als problematisch. Die Behörde erlange hierdurch zu viel Macht und solche Macht lade zu Missbrauch ein. Das FBI müsse sich hingegen wieder mehr auf seine kriminalistischen Kompetenzen konzentrieren, um effektiv Verbrechen bekämpfen zu können. Vor allem durch seine Arbeit als Undercover-Agent unter weißen Rassisten hat er sein Verständnis von effizienter Polizeiarbeit immer wieder am konkreten Fall überprüft. Ende 2019 erschien sein Buch "Disrupt, Discredit, and Divide: How the New FBI Damages Democracy".

Den Erstkontakt mit Terrorismus hatten Sie durch Ihre Undercover-Arbeit beim FBI. Wie haben Sie sich damals darauf vorbereitet?

Michael German: Das war gar nicht so einfach. Dem FBI fehlten damals Informationen zur Gewaltbereitschaft von weißen Rassisten. Ich war auf mich gestellt. Antworten suchte ich unter anderem in der Wissenschaft. Das war nicht weniger problematisch.

Könnten Sie das näher erläutern?

Michael German: Damals gab es zwei verschiedene Schulen in der Terrorismusforschung: Eine bestand vorwiegend aus Psychologen und Psychiatern und sie behaupteten, dass es mentale Einschränkungen seien, die Menschen motivieren, solch brutale Verbrechen gegen andere Menschen zu begehen. Die andere Schule war von Politikwissenschaftlern geprägt, die argumentierten, dass Terrorismus ein abschätziger Begriff sei, der verwandt werde, um Aktivitäten von gewissen Oppositionsgruppen innerhalb eines bestimmten politischen oder sozialen Konflikts zu beschreiben. Die Definitionen waren zu einem gewissen Grad willkürlich.

Was sind hier die Hintergründe?

Michael German: Die Debatte findet schon lange statt, eine passende Definition für Terrorismus zu finden. Einige Forscher und Lobbyisten haben versucht, eine Definition durchzusetzen, die alles integriert, was sie für gut befinden, und alles ausschließt, was sie nicht in der Definition haben wollen.

Und wie war es damals, als Sie gegen die Neo-Nazi-Gruppe undercover ermittelten?

Michael German: Damals gab es keine Anti-Terrorismus-Gesetze. Das amerikanische Gesetz ging gegen Terrorismus vor, indem es die Verbrechen, die Terroristen häufig begehen, unter Strafe stellte. Die Politikwissenschaftler argumentierten, Terrorismus sei Teil eines größeren politischen Konflikts. Man könne die Gewalt, die vom Staat als Terrorismus bezeichnet wurde, nicht außerhalb ihres politischen Zusammenhangs untersuchen.

In diesem kritischen Zusammenhang traf man auf verschiedene Arten von Gewalt: Gewalt vom Staat, Polizeigewalt und kriminelle Gewalt. Warum ein Individuum an einem terroristischen Akt teilnimmt, konnte nur verstanden werden, wenn man es im Kontext der politischen Situation untersuchte. Man kann zum Beispiel einen Terroristen in Nazideutschland mit einem Terroristen aus Nordirland nur schlecht vergleichen.

Terrorismus ist in der politischen Diskussion häufig kein objektiver Begriff. Oder wie sehen Sie das?

Michael German: Es ist ein Begriff der politischen Verunglimpfung. Sicher können wir den Begriff nutzen, um Gewalt zu bezeichnen, die wir nicht mögen. Aber es wird problematisch, wenn wir den Begriff Terrorismus in unser Rechtssystem integrieren.

Können Sie Beispiele nennen?

Michael German: Der Begriff wurde in den Vereinigten Staaten ziemlich willkürlich gebraucht: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Regierung über anarchistische Anschläge besorgt und in den fünfziger und sechziger Jahren ging sie gegen die Bürgerrechtsbewegungen vor. Der Kampf um Gerechtigkeit wurde von der Regierung als terroristisch eingeschätzt. Daher denke ich, dass wir bei der Anwendung dieses Begriffs sehr vorsichtig sein sollten.

Wie wandten Sie diese Erkenntnisse bei Ihrer konkreten Polizeiarbeit an?

Michael German: Wie gesagt, es gab damals keine Gesetze, die sich dezidiert mit Terrorismus beschäftigten. Mich interessierte daher nicht, ob jemand ein Neonazi oder Mitglied einer staatsfeindlichen Miliz gewesen ist. Mich interessierte: Verkauften sie illegale Feuerwaffen, stellten sie Sprengstoff her? Meine Aufgabe als Beamter der Bundesbehörde war, Beweise für diese Verbrechen zu sammeln. Es ging darum, Beweismaterial für Verbrechen und nicht für politische Überzeugungen zu sammeln.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie Ihre Identität als Undercover-Agent ändern mussten?

Michael German: Sicher musste ich meine wahre Identität ändern. Undercoverarbeit ist jedoch mehr Kunst als Wissenschaft. Etwas Wissenschaft ist auch mit im Spiel, aber der größte Teil ist Kunst und ich arbeitete in meiner Karriere mit vielen wirklich talentierten Undercover-Agenten zusammen. Jeder besaß einen eigenen Zugang zu dieser anspruchsvollen Arbeit, aber ich musste meine Persönlichkeit nicht zu sehr verändern. Sicher gebrauchte ich Wörter, die ich in meinem richtigen Leben nie benutzen würde, aber ich bot mich den Neonazis als Typ mit Kontakten an. Ich wurde aufgenommen und sie wiesen mich in ihre terroristischen Aktivitäten ein.

Gab es für Sie auch brenzlige Situationen?

Michael German: Nun, jede Undercover-Ermittlung ist gefährlich. Gefährlich wird es vor allem durch Menschen, die stark bewaffnet sind und Sprengstoff herstellen. Sprengstoff ist immer gefährlich und vor allem, wenn er von Laien hergestellt wird. Ich hatte mehr Angst davor, aus Versehen in die Luft gesprengt zu werden. Offensichtlich waren sie ziemlich genau im Bilde, dass sie sich unter Beobachtung befanden. Sie fühlten sich aber relativ sicher. Sonst hätte ich mich nicht erfolgreich anschließen können. Es gab dennoch viele Herausforderungen, die Panik verursachen konnten, aber ich habe das als Herausforderung begriffen.

Plötzlich kam der Begriff "Radikalisierung" auf

Was geschah, bevor Sie 2004 den Abschied beim FBI nahmen?

Michael German: In den späten Neunzigern waren alle psychologischen Untersuchungen mit Terroristen abgeschlossen und das Ergebnis zeigte, dass es keinen psychologischen Defekt gab. Die Terroristen waren zurechnungsfähige Akteure, die in einem Konflikt verschiedene Aktionen durchführten und entsprechende Mittel einsetzten. Die Theorien, die einen psychiatrischen Grund von Terrorismus veranschlagten, wurden entkräftet. Es gab eine gewisse Bewegung, politische Gewalt umfassender zu betrachten, aber der 11. September hat dies in den Vereinigten Staaten umgekehrt. Plötzlich kam der Begriff "Radikalisierung" auf, der ein Laienbegriff für einen mentalen Prozess war, der eine Person von einem normalen Menschen zu einem Terroristen umwandelte.

Welche Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft hatte diese Wende?

Michael German: Diese Sprache erlaubte es der Regierung, einiges umzudefinieren: Sie konnten Menschen, die gegen ihre Politik waren, als Fanatiker bezeichnen, statt ihre legitime Kritik anzuhören. Zudem konnten sie jeden, der Bedenken äußert, als Terroristen einstufen. Es gelten keine normalen Regeln mehr, wenn deine Gegner Fanatiker sind. Wenn wir unsere Feinde als diese Fanatiker präsentieren können, können wir sie eigentlich nur noch einfangen und töten. Es findet kein politisches Gespräch mehr statt. Es wird nicht versucht, sie durch einen legalen Prozess zu verfolgen.

Michael German

Nach 9-11 intensivierte sich die Suche nach juristischen Schlupflöchern, vor allem auch in der Sprache.

Michael German: Als nach 9-11 diese Sprache wiederauftauchte und sich das FBI neu ausrichtete, war mir klar, dass dies bald zu Missbrauch führen würde. Ich äußerte meine Bedenken gegenüber Vertrauenspersonen, was sie aber nicht sonderlich wertschätzten. Schließlich stellte ich einige Fragen zu einer speziellen Undercover-Ermittlung gegen Terrorismus, an der ich teilnahm. Sie wandten illegale Methoden an. Als das FBI meine Beschwerden hörte, gingen sie gegen mich vor, statt das Problem anzusprechen. Mir wurde klar, dass sich das FBI auf eine Weise änderte, die eine fortwährende Beschäftigung bei ihm unmöglich machte und ich reichte meine Kündigung ein. Ich beschwerte mich beim Kongress über diese Zustände.

Was denken Sie, wenn Sie die Geschichte des FBI anschauen? War das FBI je unpolitisch und konzentrierte sich "lediglich" auf die kriminologischen Verfahren und Polizeiarbeit?

Michael German: Es hängt davon ab, wie man den Begriff "politisch" definiert. Das FBI ist der jeweiligen Regierung als eine Behörde der Exekutive untergeordnet - jedes Mal also, wenn man die Behörde einsetzt, ist es politisch. Und das FBI wird von der Regierung, die jeweils zu dem Zeitpunkt an der Macht ist, geführt. Aus dieser Perspektive kann es kein unpolitisches FBI geben. Wenn man unter "politisch" versteht, "die Feinde der jeweiligen Regierung oder Machtsystems zu bekämpfen", dann besitzt das FBI auch darin eine lange Geschichte.

Es begann im frühen 20. Jahrhundert, als die Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten stark war, und das FBI richtete sich auch gegen die Anti-Kriegs-Bewegung während des 1. Weltkriegs. Jene Bewegungen befanden sich im Konflikt mit der Regierungspolitik und mit Konventionen des Establishments. Das FBI wurde als ein Werkzeug benutzt, vor allem auch unter der Führung von J. Edgar Hoover, Menschen in den Fokus zu nehmen, die sich über Regierungspolitik beschwerten oder gegen sie vorgingen, statt Menschen zu verfolgen, die tatsächliche Gewalt anwandten.

Damals verübten mehrere anarchistische Gruppen Bombenanschläge. Es gab also viel Gewalt. Aber statt sich auf die relativ überschaubare Menge von Gewalttätern zu konzentrieren, interessierte sich die Regierung für Uniprofessoren, Geistliche, Einwanderer, die nichts mit der Gewalt zu tun hatten und die lediglich die Politik der Regierung und den Status-Quo des Wirtschaftssystems herausforderten.

Machtmissbrauch gegen ethnische und religiöse Minderheiten, Einwanderer und politische Dissidenten

In Filmen wird das FBI meist als schlagkräftige Verbrechensbekämpfer vorgestellt, die gegen das organisierte Verbrechen, Mafia und Terroristen vorgehen. Die politischen Hintergründe werden meist ausgeblendet. Was denken Sie?

Michael German: Der Ruf ist ziemlich verdient, da das FBI fähig ist, umfassende Ermittlungen zu leiten und ich denke, am besten lässt sich das so erklären: Das FBI besteht nicht nur aus einem Kopf. Es besteht aus verschiedenen Individuen, wie jede andere Organisation auch. Das FBI hat Glück, weil es als die wichtigste Strafverfolgungsbehörde der Vereinigten Staaten angesehen wird. Es zieht also sehr talentierte Leute an. Aber es hat auch eine lange Geschichte des Missmanagements. Dieses Talent wird häufig verschwendet.

Weil der Fokus nicht auf der Strafverfolgung liegt?

Michael German: Genau. Die Arbeit des FBI stützt sich auf zwei wesentliche Felder: ein strafrechtliches, indem es Verbrechen ermittelt, und auf der anderen Seite Informationsbeschaffung und geheimdienstliche Aktivitäten zum Schutz der nationalen Sicherheit. Jede dieser Aufgaben verlangt nach anderen Methoden. Nach 9-11 wurde die Strafverfolgung zugunsten der geheimdienstlichen Aktivitäten zurückgestellt. Das Problem hierbei ist, dass es genug Beweise gibt, dass die Methoden, die in der geheimdienstlichen Arbeit angewandt werden, fehleranfälliger sind und Missbrauch begünstigen.

Welche Fehler sind das?

Michael German: Selbst die besten Agenten sind menschliche Wesen und wir machen alle Fehler. Diese Fehler sind nicht nur Fehler in unserem Handeln, sondern auch in unserem Denken. Wir gehen davon aus, dass ein Ermittler nur das Schlechteste über die Menschen denkt, gegen die er ermittelt. Jedes Indiz, das die Schuld beweist, wird als wichtig und korrekt behandelt. Wenn entlastendes Material auftaucht, wird es als fehlerhaft oder irrelevant abgetan. Da uns dieses Vorurteil bekannt ist, müssen wir Vorkehrungen treffen. In den Vereinigten Staaten haben wir für solche Fälle die Bill of Rights. Fünf der zehn Zusätze behandeln die Grenzen der Polizeimacht und die Achtung der Bürgerrechte für jeden Einzelnen. In unserem Rechtssystem kennen wir viele Checks und Balances, um diese vorhersagbaren Fehler zu vermeiden. Vor allem müssen diese Fehler öffentlich gemacht werden.

Wie sieht es bei den geheimdienstlichen Aufgaben aus?

Michael German: In diesem Bereich finden keine Gerichtsprozesse oder Kontrollen statt. Eine öffentliche Diskussion dieser Probleme ist nicht möglich und daher sehe ich in diesem Bereich das größte Problem beim FBI.

Diese Seite des FBI nach 9-11 stärker zu machen, war sehr gefährlich. Und ich denke, man findet genug Beweise, dass dieses Vorgehen zu Missbrauch führte. Dieser Missbrauch richtete sich gegen die "üblichen Verdächtigen" in solchen Fällen: ethnische und religiöse Minderheiten, Einwanderer und politische Dissidenten.

Das ist immer noch ein heikles Thema?

Michael German: In den USA findet man immer noch viel Rassismus. J. Edgar Hoover, der 1972 starb, führte das FBI fast fünfzig Jahre. Er war frauenfeindlich und ein Rassist, das Gegenteil von liberal. Er stellte in seiner Amtszeit nur eine Handvoll schwarze Männer und keine Frauen ein.

Nach seinem Tod mühte sich das FBI, das Personal breiter aufzustellen. Bis 2001 gab es kleine Fortschritte und seit 2001 kehrte sich dieser Prozess wieder um. 2016 war das FBI zu 83 Prozent weiß und zu 80% männlich. Es war immer noch eine vorwiegend weiße und männliche Organisation. Es liegt auf der Hand, welche Perspektive das FBI einnimmt, wenn es die neuen Feinde der Gesellschaft ausmacht.

Gegen wen richtet sich also das FBI?

Michael German: Viele der Gruppen, die besonders nach dem 11. September ins Visier gerieten, waren vorwiegend muslim-amerikanische Gruppen. Dieses Wochenende las ich in Bloomberg einen Artikel, dass das FBI chinesisch-amerikanische Wissenschaftler als potenzielle Spione beobachtete. Es findet gerade eine neue Hetze statt, in der die Angst vor chinesischer Spionage das FBI zu einigen amerikanisch-chinesischen Wissenschaftlern führte, die nichts Verbrecherisches im Sinn hatten, die durch diese Ermittlungen aber ihren guten Leumund verloren. Diese Anschuldigungen wurden vor Gericht zwar abgewiesen, aber das Stigma bleibt haften. Das ist immer noch ein signifikantes Problem.

Denken Sie denn, dass das Bureau noch reformiert werden könnte?

Michael German: In meinem Buch bespreche ich einige Wege, wie das bewerkstelligt werden könnte. Es wurde argumentiert, dass diese Fehler so einschneidend und alt seien, dass es wohl Zeit wäre, das FBI zu schließen. Ich denke, dass auch eine Nachfolgeorganisation gegen dieselben Fehler nicht völlig immun sein könnte. Das FBI hat ausreichend gute Arbeit geleistet und wenn sie gewillt sind, ihre Fehler anzuerkennen und sich selbst einer verstärkten internen und öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen, könnte das FBI seine eigentliche Aufgabe wahrnehmen.

Was heißt das?

Michael German: Die Behörde wurde gegründet, um die gefährlichsten und mächtigsten Verbrecher zu bekämpfen und sie vor Gericht zu stellen. Würde sich das FBI wieder auf seine Rolle als Strafverfolgungsbehörde konzentrieren und mögliche Fehler transparent machen, könnte es zu alter Stärke zurückfinden.

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