Verschwörungen und Entschwörungen

Ein großer Teil der Linken und Liberalen bewegt sich bewusst oder unbewusst in den theoretischen Fußstapfen von Karl Popper. Aber es gibt linke Gegenstimmen

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Der Umgang mit der Corona-Epidemie hat in den letzten Tagen in den öffentlich-rechtlichen Medien einen Bedeutungswandel erfahren. Die Devise "Stay at Home" ist schon länger vorbei. Jetzt lautet die Devise: "Mit Corona leben und daraus gestärkt hervorgehen."

Das wird schon daran deutlich, dass so unterschiedlich regierte Bundesländer wie Thüringen und Sachsen weitere Lockerungen der Corona-Beschränkungen vorantreiben.

Fortan soll das Prinzip gelten, dass alles möglich sein soll und nur in begründeten Ausnahmen verboten wird. Bisher war es umgekehrt - und das hat bei immer größeren Teilen der Bevölkerung für Unmut gesorgt. Dass auch an den Lockerungsübungen parteipolitisch motivierte Kritik nicht ausbleibt, gehört zu einer bürgerlichen Demokratie, in der verschiedene Parteien um Zustimmung werben.

Die Kritik gab es auch vor einigen Wochen, als Landespolitiker aus Bayern und Baden-Württemberg das Tempo bestimmten. Der Vorwurf lautete schon damals, dass da einzelne Landespolitiker unabgesprochen vorgeprescht seien. Im Subtext wird klar, dass sich die politischen Konkurrenten gegenseitig vorwerfen, Sympathiepunkte durch Corona-Lockerungen erwerben zu wollen. Gestritten wird jetzt nicht über die Lockerungen, sondern darüber, welche Partei damit punkten darf.

Mit strikten Corona-Maßnahmen kann man keine Sympathie gewinnen

Dass sich nun auch Bodo Ramelow an diesen Wettbewerb beteiligt, ist höchstens deshalb bemerkenswert, weil vor allem bei den Grünen und der Linken viele vor schnellen Lockerungen warnten. Doch Ramelow hat wohl erkannt, dass man damit keine Sympathien bekommt.

Nun hat Ramelow auch nicht die völlige Aufhebung der Corona-Maßnahmen angekündigt. Auch er favorisiert einen Zustand, der vage mit "neuer Normalität" umschrieben wird und auf den mündigen Bürger setzt. Der Deutschlandfunk, der seit Mitte März überwiegend Corona-Sondersendungen verbreitete und damit auch für die reibungslose Durchsetzung des Shutdowns sorgte, ist mit seinem Programm schon in der neuen Normalität angekommen: Dort wird weiter an die Existenz des Virus erinnert, aber ohne Panik zu erzeugen.

So meldet der Deutschlandfunk, dass sich in Frankfurt eine religiöse Gruppe bei einer Messe und in Leer Gäste in einem Restaurant mit dem Virus angesteckt hatten. Aber korrekt wird auch darauf hingewiesen, dass von den Menschen, die sich da angesteckt haben, wohl die meisten leichte oder gar keine Symptome zeigen und nur ganz wenige stationär im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Diese Meldungen lösen nicht Angst und Schrecken aus, sie machen den Menschen aber deutlich, dass hier ein Virus vorhanden ist, das durchaus gefährliche Folgen haben kann und genauso ernst zu nehmen ist wie eine Grippe. Nun könnte man sich fragen, warum in den vergangenen Monaten nicht so differenziert über das Coronavirus berichtet wurde? Warum hat man nicht nur im Fall Thüringen die überhöhten möglichen Coronaopfer-Zahlen korrigiert, als deutlich wurde, dass sie nicht eintreffen?

Biopolitik ist keine Verschwörung

Da mag Vorsicht angesichts des geringen Wissens über das Corina-Virus eine Rolle gespielt haben. Doch ebenso klar ist, dass Staatsapparate auch dieses Virus wie viele Krankheiten insgesamt im Sinne der "Biopolitik" für die Umsetzung ihnen genehmer Maßnahmen genutzt haben. Dabei ist es noch einmal wichtig zu betonen, dass Biopolitik nach Michel Foucault eine Art und Weise des Regierens, aber keine Verschwörung ist.

Die von manchen Irrationalisten an die Wand gemalte große Steuerung der Eliten hat es nicht gegeben. Die Staatsapparate haben vielmehr eine gute Gelegenheit genutzt, um den Durchbruch zum digitalen Kapitalismus voranzutreiben. Da wurden Fakten geschaffen, die die neue Normalität bestimmen werden.

Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass das Virus auf eine zutiefst pessimistische Welt traf. Dieser Grundpessimismus wurde durch Teile der Klimabewegung in den Monaten vor der Corona-Krise vielfach ausgedrückt. "Ich will, dass Ihr in Panik geratet", rief Greta Thunberg. Extinction Rebellion warnte vor dem Aussterben als kurzfristige Gefahr.

Nun soll hier nicht diskutiert werden, ob diese Befürchtungen real oder irrational sind. Sie haben aber eine pessimistische Grundstimmung erzeugt, die dann eben den fast globalen Shutdown ab Mitte März angesichts des Virus und den Burgfrieden großer Teile der Linken mit Staat und Regierung erst möglich machte. Das erlaubte es, dass sich irrationalistische und rechte Gruppen als Verteidiger der Freiheit aufspielen können.

Nun diskutieren nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt Interessenverbände, wie denn die Post-Corona-Ära aussehen soll. Dass es kein bruchloses Zurückkehren in die Zeit, bevor das Virus die Welt erschütterte, geben wird, drückt schon der Begriff der "neuen Normalität" aus.

Kanada hat schon mal einen Fingerzeig gegeben, wie die denn aussehen kann. Verknüpft wird der Klima- mit dem Corona-Notstand: Wirtschaftshilfen werden an die Einhaltung von Klimavorgaben geknüpft. Das ist eine Position, die auch hierzulande viele Umweltverbände und die Grünen teilen.

Doch damit wird erst einmal die Position der nichtfossilen Industrie gestärkt. Trotzdem gerieren sich auch viele Umweltinitiativen als Sprachrohre dieser Kapitalfraktion. Kapitalismuskritische Umweltinitiativen wie Ende Gelände, die keine Lobbyarbeit für die Umweltkonzerne machen, werden dagegen schnell Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes.

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