"Süddeutsche": Anklageschrift in Nachrichtenform gegen kritischen Professor

Michael Meyen. Bild: Ekkehard Winkler

Das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) fällt dem besagten kritischen Forscher auch noch in den Rücken. Ist das der freie Geist des akademischen Feldes? Ein solides Stück kritischer Journalismus?

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In dem Artikel "Ein Blog der Unmut auslöst", schreibt SZ-Redakteur Sebastian Krass über Michael Meyen, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) in München. Der Artikel, der vordergründig als nachrichtlicher Beitrag zu verstehen ist, hat es in sich. Es ist eine Art Anklageschrift in Nachrichtenform. Meyen, das wird bereits aus Überschrift und Vorspann deutlich, ist in das Visier der Süddeutschen Zeitung geraten.

Der Grund: Der Kommunikationswissenschaftler hat sich etwas Unerhörtes, ja, wenn man der SZ folgt, geradezu etwas Skandalöses erlaubt (SZ schließt sich Kampagne gegen linken Kommunikationswissenschaftler an).

Ähnlich entspannt wie ein zur Steinigung Verurteilter in einem Monty-Python-Film unentwegt "Jehova!" ruft (trotz zu erwartender schwerer Konsequenzen), hat Meyen in einem Beitrag für seinen privaten Blog, bei dem im Impressum aber seine Institutsadresse angegeben ist, die Worte "Ken" und "Jebsen" gesagt. Allerdings hat er, entgegen der Erwartungen der Diskurswächter, nicht kübelweise Schimpfwörter über das "Enfant terrible" der alternativen Medienszene ausgeschüttet.

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann wohl ein aktueller Beitrag seines Mitarbeiters Alexis Mirbach. Unter der Überschrift "Was ich von Ken Jebsen gelernt habe" kritisierte der Wissenschaftler die Berichterstattung der Leitmedien zur WHO sowie ein 9-minütiges Interview, das Nachrichtenmann Ingo Zamperoni mit Bill Gates in den Tagesthemen geführt hat (Mirbach: "Eine Frage, die auch nur einen Hauch an Zweifel oder Kontext verströmt, gibt es nicht"). Erwartungsgemäß bringen derlei Zeilen das Blut der Diskurswächter in Wallung. Auf den reflexhaften Griff zu den Steinen folgt die Steinigung.

Erste Steinchen wurden in Form von "Empörungstweets" am vergangenen Wochenende geworfen. Ab Montag beteiligten sich an dem Spektakel dann auch die Süddeutsche Zeitung und das IfKW, das, laut Selbstdarstellung, "zu den traditionsreichsten, erfolgreichsten und weltweit angesehensten kommunikationswissenschaftlichen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen in Deutschland" zählt. Während die Süddeutsche Zeitung bereits im Vorspann mit Steinen wirft, oder, anders gesagt: selbstverständlich lediglich knallharten Nachrichtenjournalismus bietet, veröffentlicht das IfKW eine Stellungnahme prominent platziert auf seiner Webseite, die dem Einsatz einer mittelalterlichen Blide gegen Meyen gleichkommt.

Während eine reputierte Zeitung im Vorspann ihren Lesern mitteilt, dass Meyen "im Internet" (immer noch etwas ganz Schlimmes) "fragwürdigen Ansichten ein Forum" bietet, distanziert sich das ehrwürdige Institut von eben diesem Forum. Interessant: Sowohl die Stellungnahme des Instituts als auch der SZ-Artikel sind am Montagnachmittag zeitlich nah beisammen erschienen. Der aufmerksame Beobachter fragt sich: Hat Krass beim IfKW angefragt, das IfKW daraufhin eine Stellungnahme veröffentlicht und Krass daraufhin eine Nachricht aus der Stellungnahme gemacht?

Noch vager dürfte es kaum gehen

Carsten Reinemann, der Direktor des Instituts, verweigert auf Fragen die Antwort und vertröstet auf nächste Woche. In einer Email bittet er gleich zwei Mal um "Verständnis", dass [wir] "über die Stellungnahme auf der Webseite hinaus aufgrund laufender Diskussionen innerhalb der Instituts und einer bevorstehenden Sitzung des Leitungsgremiums derzeit ihre Fragen leider nicht beantworten können". Voila! So wird es gemacht. Man fällt einem Institutsmitglied durch eine öffentliche Stellungnahme in den Rücken (Meyen wurde nicht vorher über die Veröffentlichung informiert), verweigert dann aber die Diskussion gegenüber kritischen Presseanfragen.

Immerhin hatte Reinemann kein Problem damit, dem SZ-Redakteur am Telefon Rede und Antwort zu stehen: "Es gibt dort [Anmerk. Red: auf dem Blog von Meyen] eine ganze Reihe an Beiträgen, mit denen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns nicht glücklich sind - auch weil sie das Gefühl haben, da gezwungenermaßen mit im Boot zu sitzen." Und wieder: Voila! So wird es gemacht. "Viele" Mitarbeiter sind über eine "ganze Reihe" von Beiträgen "nicht glücklich". Noch vager dürfte es kaum gehen.

Aus journalistischer Sicht wäre es angebracht zu fragen: Wie viele sind "viele"? Und: Wie groß ist die Gesamtzahl der Personen? Genauso wichtig: Gibt es neben den "Vielen" vielleicht auch "einige", "andere" oder gar auch "viele", die hinter den Veröffentlichungen auf Meyens Blog stehen? Und, wenn ja: Warum kommen diese in dem SZ-Artikel nicht zu Wort?

Der Direktor des Instituts und der SZ-Redakteur scheinen sich einig: Mit den vagen Formulierungen darf man an die Leserschaft herantreten. Was zählt ist: Das IfKW hat sich von Meyens Blog distanziert - selbstverständlich nur aus edlen Motiven. Es geht darum, Schaden von der Institution abzuwenden.

Dass, bei Lichte betrachtet, das inhaltliche Fundament, auf dem die Steinigung Meyens vollzogen wird, zwar nur so tragfähig ist wie der Vorspann des SZ-Artikels, spielt dabei keine Rolle. In einer Zeit, in der die rechte Gesinnung über dem Geist des Pluralismus steht, zählt nicht Inhalt, sondern lautes Raunen. Es genügt laut genug von "fragwürdigen Ansichten" und "fragwürdigen Thesen" zu sprechen, damit die ersten Weichenstellungen zur Exkommunikation der missliebigen Person vollzogen sind.

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