Trump drängt auf Militäreinsatz

Donald Trumps Auftritt in der St. John’s Church. Screenhot von C-Span-Video

Unter Ausnutzung eines Gesetzes aus dem Jahr 1807 sollen nach dem Willen des Präsidenten Armeeeinheiten gegen Demonstranten eingesetzt werden

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Donald Trump dürfte sich an den Geruch von Tränengas inzwischen gewöhnt haben. Der Weg zur St. John's Church, einer in der Nähe des Weißen Hauses gelegenen Kirche, musste für den Präsidenten förmlich mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen von der Nationalgarde freigeschossen werden. Die Demonstranten, die sich dort friedlich versammelten, hätten womöglich die Fotosession gestört, die der Präsident an diesem symbolträchtigen Ort - bewaffnet mit einer Bibel - veranstaltete.

Die St. John Church gilt als die "Kirche der Präsidenten", da in ihr bislang alle Staatsoberhäupter der Vereinigten Staaten einem Gottesdienst beiwohnten. Unter den Demonstranten vor der Kirche, die bei dem brutalen Raumeinsatz der Polizei mitunter verletzt wurden, befanden sich auch Geistliche. Der Bischof der Episkopalen Diözese Washingtons reagierte empört auf das Vorgehen Trumps, der ohne Erlaubnis die Kirche für eine Propagandashow nutzte.

Die Bibel, die der Präsident in St. Johns in die Kameras hielt, diente vor allem dazu, sein angedrohtes Vorgehen gegen die Aufstandsbewegung in den USA zu legitimieren. Zuvor hat Donald Trump im Rosengarten des Weißen Hauses eine Rede gehalten, die einer Kriegserklärung an die Protestbewegung in den Vereinigten Staaten gleichkam.

Der Präsident kündigte an, die Armee gegen die Demonstranten einzusetzen, falls die Unruhen, die Trump abermals als "Terror" bezeichnete, nicht binnen kürzester Zeit von den Bundesstaaten erstickt würden. Sollten sich die Bundesstaaten weigern, die "notwendigen Schritte" zu unternehmen, werde er "die Armee der Vereinigten Staaten einsetzen, die schnell das Problem für sie lösen wird", so Trump wörtlich.

Es gehe darum "die Straßen zu dominieren", drohte Trump, der alle Hoffnungen auf Schritte zur Deeskalation zerschlug. Er selber werde "Tausende und Tausende von schwer bewaffneten Soldaten mit Militärangehörigen" in Washington einsetzen, um die Lage zu "dominieren", erklärte der Präsident der Vereinigten Staaten.

Zuvor hat der Präsident sich bei einer Telefonkonferenz harte Auseinandersetzungen mit den Gouverneuren der betroffenen US-Bundesstaaten geliefert, die er beschuldigte, nicht hart genug gegen die Proteste vorzugehen. Die Gouverneure seinen zu "schwach" und würden notfalls "übergangen", warnte Trump, der ein umgehendes Niederschlagen der Proteste forderte. Gretchen Whitmer, Gouverneurin des besonders betroffenen US-Bundesstaates Michigan, erklärte nach dem Gespräch, die Administration würde mit ihrem Konfrontationskurs "den Samen des Hasses und der Spaltung" säen.

Nach Ansicht von Beobachtern drängt Trump gezielt auf eine Eskalation, weil er sich dessen bewusst sei, dass er die Wiederwahl derzeit nicht gewinnen könne.

Kurz nach dieser "Law-and-Order-Rede" des Präsidenten sind tatsächlich Militärhubschrauber in der Hauptstadt gesichtet worden, die im Tiefflug sich bemühten, Demonstranten einzuschüchtern. In den sozialen Netzwerken kursieren Videos von Militärlastwagen mit Soldaten, die in Washington eingesetzt werden sollen.

Kritik an der brandgefährlichen Militarisierung des Konflikts kam umgehend aus dem Pentagon, wo hochrangige Mitarbeiter gegenüber Medien erklärten, ein Militäreinsatz im Innern löse in der Truppe "Unbehagen" aus. Dies sei schon angesichts des massenhaften Einsatzes der Nationalgarde der Fall, der bereits der größte Inlandseinsatz in der Geschichte der Vereinigten Staaten sei. Man solle sich in Amerika nicht daran gewöhnen, dass Uniformträger die innere Sicherheit gewährleisteten, warnte ein hochrangiger Pentagon-Funktionär.

Zurück ins 19. Jahrhundert

Die an die bluttriefende Frühzeit des Kapitalismus erinnernde Idee, Aufstände einfach durch Armeeeinheiten zusammenzuschießen, könnte durch ein Gesetz aus dem Jahr 1807 Wirklichkeit werden. Der sogenannte "Insurrection Act of 1807" erlaubt es der Regierung der Vereinigten Staaten, die Armee gegen einen Aufstand im Innern einzusetzen, der die Rechtsstaatlichkeit in dem betroffenen Bundesstaat bedroht. Dies kann tatsächlich auch entgegen dem Willen der lokalen Autoritäten und Behörden geschehen. Zuletzt gelangte dieses Gesetz 1992 zur Anwendung - bei der Niederschlagung der Unruhen in Los Angeles, die ausgebrochen waren, nachdem die Polizisten freigesprochen wurden, die den Afroamerikaner Rodney King zusammengeschlagen haben.

Die Auseinandersetzungen in vielen US-Städten haben sich weiter angeheizt. Bei Schusswechseln sind binnen weniger Stunden fünf Polizisten in St. Louis und Las Vegas verletzt worden. Ein Polizist in Las Vegas befindet sich auf der Intensivstation und ringt mit dem Tod, nachdem er bei Auseinandersetzungen in Las Vegas einen Kopfschuss erlitt.

Auch die Angriffe gegen Pressevertreter halten unvermindert an. Zuletzt wurde ein australisches Journalistenteam von US-Polizisten in Washington angegriffen. Die australische Regierung verlangt eine Untersuchung des Vorfalls durch die US-Justiz. Vertreter der "Vierten Gewalt" kritisierten, dass die bislang in dieser Intensität unbekannten Angriffe der Sicherheitskräfte eine Folge der konfrontativen Rhetorik des Präsidenten seien, der die Presse als den "Feind des Volkes" bezeichnete.

Die meisten Opfer von Polizeigewalt sind aber in den Reihen der Demonstranten zu finden. In den sozialen Netzwerken kursiert eine Fülle von Material, das willkürliche Gewaltakte der Sicherheitskräfte belegt. Demonstranten und Fernsehteams in Seattle wurden von Polizeikräften, die brutal ein Stadtviertel räumten, bei laufender Berichterstattung angegriffen. In Philadelphia wurden Hunderte von Demonstranten von Polizisten regelrecht mit Reizgas eingedeckt, nachdem alle Fluchtrouten für die in Panik geratenen Menschen abgeschnitten waren.

Willkürakte, Sachbeschädigung vor laufender Kamera, Körperverletzung und Gewaltandrohung gegen Kinder des in den neoliberalen Jahrzehnten hochgerüsteten Polizeiapparates sind vielfach festgehalten worden - und lassen die Wut auf die entfesselten Polizeikräfte anschwellen.

Mitunter scheint es in einzelnen Regionen zu Milizbildung zu kommen, bei der Polizeikräfte mit bewaffneten weißen Bürgerwehren kooperieren, um die durch Minderheiten geprägten Unruhebezirke unter Kontrolle zu bringen. Lokale Zentren der Auseinandersetzungen bildeten - neben Washington DC - zuletzt die Städte Chicago, Philadelphia, Atlanta und Omaha.

In Chicago, das schon in den vergangenen Tagen heftige Kämpfe sah, verlagerten sich die Auseinandersetzungen vom Zentrum in die Vorstädte. In Cicero, einer Vorstadt Chicagos, sind zwei Menschen bei den Protesten erschossen worden. Polizeikräfte in Philadelphia haben im Verlauf der Kämpfe mitunter ihre Fahrzeuge fluchtartig auf den Straßen zurückgelassen, die dann von Demonstranten vor laufenden Kameras zerstört worden sind. In Omaha kocht die Wut über, nachdem ein Demonstrant bei Protesten getötet wurde. In Atlanta toben die nächtlichen Auseinandersetzungen schon die vierte Nacht infolge, ohne dass ein Ende absehbar wäre.

Dass der Hass, der den Konflikt antreibt, so schnell nicht erlischt, macht das Vorgehen der Sicherheitskräfte in Louisville deutlich. Gestern behaupteten Polizeikräfte und Nationalgarde, in Erwiderung von Schüssen in eine Gruppe von Protestlern geschossen, und dabei einen Demonstranten erschossen zu haben (Telepolis berichtete). Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Toten um keinen Protestteilnehmer handelte, sondern einen lokalen Kleinunternehmer, der dort gerade ein Barbecue betrieb. Das Opfer war bekannt dafür, der lokalen Polizei auch mal umsonst Essen zu machen. Die Polizisten haben bei ihrem schießfreudigen Einsatz "vergessen", vorschriftsgemäß ihre Körper-Kameras einzuschalten. Der Körper des Toten blieb einfach mitten auf der Straße liegen - 12 Stunden lang.

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