Das Geheimrezept für die Bürgerenergie: Bankability

Warum unterstützen so wenige große Solar- und Windhersteller die erfolgreichste Gesetzgebung für Erneuerbare?

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Als das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz ab 2000 zu einem Wind- und Solarboom führte, schauten viele Umweltschützer im Ausland nach Deutschland - auch in Kalifornien. Doch die Vorschläge für eine ähnliche Gesetzgebung stießen dort vor rund 15 Jahren ausgerechnet bei großen Wind- und PV-Herstellern auf Skepsis. Die Aktivisten verstanden diese Zurückhaltung nicht; schließlich würden solche Gesetze ja nur den Kuchen für diese Firmen größer machen. Doch den Unternehmern ging es um die Größe ihres Kuchenstücks, nicht um die Größe des ganzen Kuchens. Um den Unterschied zu verstehen, müssen wir etwas ausholen.

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Toby Couture stammt von der französischsprachigen Ostküste Kanadas. Nach seinem Philosophie-Studium wandte er sich vor Anfang der Nuller Jahre an der London School of Economics der Energiepolitik zu. Eine bestimmte Politik stach im globalen Vergleich heraus: Die Einspeisevergütung des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2000.

"Damals zählte man das globale Marktgeschehen in Zehner Megawatt", sagt Couture, der sich mittlerweile in Berlin niedergelassen hat. "Aber mit der Einspeisevergütung zählte man die Megawatt plötzlich in 100ern - oder man ging gleich zu Gigawatt über."

"Ich fragte mich", so erinnert sich Couture, "was das Geheimrezept an der Einspeisevergütung wohl wäre. Und fand bald heraus: it’s bankability." Doch was steckt dahinter?

"Bankfinanzierbar" nicht gleichbedeutend mit "profitabel"

Die Einspeisevergütung im EEG wurde oft als zu üppig beschrieben. Das war sie in der Tat um 2010 herum insbesondere für Solarstrom, doch insgesamt fallen die Gewinnmargen für alle Grünstromarten und über alle Jahre hinweg eher einstellig aus. Der unabhängige Energieexperte Uwe Nestle meint, dass jedoch "selten erwähnt wird, dass der Gewinn gar nicht garantiert ist, sondern nur der Preis für den Grünstrom, den man produziert. Das Gesetz garantiert die Wind- und Sonnenstunden nicht - und auch nicht, dass eine Anlage nicht kaputtgeht."

"Bankability" bedeutet also nicht, dass der Profit garantiert ist, sondern einfach, dass die Investition planbar ist. Die Risiken sind nicht gleich Null, sondern minimiert. Und Banken belohnen niedrige Risiken mit niedrigen Zinsen (im Bankenjargon spricht man von "de-risking"). Da die Ausgaben fast alle gleich zu Beginn eines Wind- oder Solarprojekts anfallen - es gibt ja keine laufenden Brennstoffkosten -, spielt die Zinsrate für Wind- und Solar eine größere Rolle als bei fossilen Energien oder Atomenergie. Kurz: de-risking macht Solar- und Wind viel billiger.

Die Revolution begann klein

Mitte der 90er gab es bereits die Einspeisevergütung für Solar in kleinen kommunalen Projekten wie in Hammelburg (Bayern), wo ein Physik- und Sportlehrer die Kampagne angestoßen hatte: Die Stadt sollte 15 kW an PV-Strom fördern. "Heute erscheint das lächerlich klein," erinnert sich der Lehrer, "und ich konnte den Spendern keinen Gewinn versprechen - zu groß waren noch die Risiken." Wer mitmachte, war also eher Spender als Investor.

Der Lehrer heißt Hans-Josef Fell. 1998 wurde er in den Bundestag gewählt. Er schrieb am Erneuerbaren-Energien-Gesetz von 2000 mit. Wie einige Jahre später in Kalifornien war nicht jeder große Wind- oder Solarhersteller vom Gesetz begeistert, erinnert sich Fell heute. Denn der Staat setze die Preise für den erzeugten Grünstrom fest.

Das EEG von 2000 war in dieser Hinsicht bahnbrechend: Zum ersten Mal war die bundesweite Vergütung an die tatsächlichen Investitionskosten gekoppelt. So wurden unterschiedliche Tarife für Solar- und Windstrom gezahlt. Davor wurde - wie im Einspeisungsgesetz von 1991 - die Vergütung als Prozentsatz vom Haushaltstarif definiert (z.B. 90% vom Haushaltstarif von 1991-2000). Das hatte aber mit den Kosten von Wind- und Solaranlagen nichts zu tun.

Die Entwicklung hin zu staatlich festgesetzten Preisen begann -ironischerweise - mit einem frühen Versuch, den Stromsektor zu liberalisieren. 1978 hatten die USA das Public Utility Regulatory Policies Act (PURPA) erlassen, das zum ersten Mal die Stromversorger verpflichtete, Strom von ihren Kunden zu kaufen. "Die Höhe der Vergütung war jedoch nicht festgelegt, sondern sollte fair zwischen Erzeugern und Versorgern verhandelt werden", sagt Couture. Unter "fair" verstanden die Stromversorger ihre vermiedenen Brennstoffkosten - was mit den Investitionskosten Dritter für die Grünstromanlagen nichts zu tun hatte.

"Die ausgehandelten Tarife reichten jedoch nicht aus, um die Erneuerbaren voranzubringen", erklärt David Jakobs. Der Berliner Energieberater hat seine Dissertation zum Werdegang des EEGs verfasst. "Deshalb kam der Windmarkt erst in Bewegung, als Kalifornien 1984 das Standard Offer Contract 4 (SOC4) erließ." SOC4 koppelte die Vergütung zwar an die vermiedenen Brennstoffkosten, "doch waren diese in die Zukunft projiziert und man ging 1984 von stark steigenden Ölpreisen aus", sagt Jacobs. Als die Ölpreise Mitte der 80er allerdings sanken, "hat Kalifornien kalte Füße bekommen und alle Verträge annuliert." Kalifornien hätte damals vor 35 Jahren beinahe die weltweite Energiewende angestoßen. Allein 15 GW an Windkraft waren dort in der Projektpipeline, und das auf einem globalen Markt, der immer noch in Zehner-MW zählte.

Bürgerenergie

Erst mit dem deutschen EEG ab 2000 blieb ein Land so lange der Förderung von Wind und vor allem Solar treu, bis schließlich die Anlagenpreise auf dem Weltmarkt anfingen zu purzeln. Und trotzdem: Die Einspeisetarife verschwinden zunehmend. Immer mehr Länder steigen auf Ausschreibungen um und der Zubau bricht ein. Warum unterstützen so viele Solar- und Windfirmen diesen Politikwechsel - wo bleibt der Aufstand?

Die Antwort ahnt man in einer weiteren Aussage von Hans-Josef Fell: "Bis 2015 machten die vier größten Stromversorger in Deutschland nur 10% der Investitionen in erneuerbaren Energien aus." Die anderen 90% waren neue Investoren: Bürger, Bauern, Genossenschaften, KMU, usw. Die Bürgerenergie war geboren.

Die Geschäftswelt hat nie vergessen, was vor PURPA allen klar war: Der Strom-Kuchen hat nur eine bestimmte Größe und wird nicht endlos wachsen. Irgendwann ist unser Stromverbrauch gesättigt. Innerhalb dieses Verbrauchs gibt es einen Kuchen für Solar, Wind, usw. Große Firmen wollen den Wettbewerb um diese Kuchenstücke untereinander auf Augenhöhe führen und nicht auch noch mit Haushalten und Kleingewerbe. PURPA und das EEG haben den Kuchen - den Stromverbrauch - nicht größer gemacht, sondern diese Gesetze haben für Wettbewerb zwischen David und Goliath gesorgt. Und diesen Wettbewerb gibt es mit den Ausschreibungen nicht mehr.

Craig Morris (@PPchef) ist Koautor von Energy Democracy, der ersten Geschichte der Energiewende, und arbeitet bei der Agentur für Erneuerbare Energien. Zusammen mit Couture und Jacobs macht er gelegentlich die Parks der Hauptstadt unsicher beim Frisbee-Werfen. Rebecca Freitag (@Freitag4Future) war die deutsche UN-Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung und schreibt gerade ihre Masterarbeit zum Thema Akzeptanz einer CO2-Steuer. Zusammen moderieren sie die zehn Episoden des neuen englischsprachigen Community Renewables Podcast.