Nigeria: Das Mexiko Afrikas

Den nigerianischen Angaben nach verfügten die Fulbe-Banditen auch über G3-Sturmgewehre. Symbolbild: Edmond HUET. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Schwer bewaffnete Fulbe-Banden haben Boko Haram als größte Bedrohung abgelöst

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Am 26. Mai versicherte der Gouverneur des nigerianischen Bundesstaates Sokoto den von Überfällen und Entführungen heimgesuchten Bewohnern des Bezirks Sabon Birni bei einem Besuch persönlich, man habe die Situation unter Kontrolle. Nur Stunden danach überfielen schwer Bewaffnete auf Motorrädern fünf Dörfer in diesem Bezirk und töteten dabei 74 Menschen.

Bei den Tätern soll es sich um Angehörige von Banden gehandelt haben, die in Lagern im Isah-Wald lebten. Diese Lager hat die nigerianische Armee gestern geräumt, wobei nach Angaben ihres Generalmajor John Enenche fast 400 Banditen ihr Leben lassen mussten. Ihnen stehen etwa 550 Menschen gegenüber, die den Zahlen der International Crisis Group nach alleine im Mai 2020 bei Überfällen und Entführungen in der Region starben. In ganz Nigeria waren es den Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International nach in den letzten Jahren Tausende.

Die Banden, die diese Taten verüben, rekrutieren sich vor allem aus einer Volksgruppe: den Fulbe. Dem ehemaligen Bezirksregierungschef Idris Gobir nach sprachen auch die Vertreter der Räuber, die vom Isah-Wald aus Sabon Birni terrorisierten, Fulfulde oder Hausa mit deutlichem Fulbe-Akzent und waren von ihrer Erscheinung her leicht als Angehörige dieser Volksgruppe erkennbar.

Nicht ohne politische und ökonomische Macht

Die Fulbe sind trotz ihrer insgesamt großen Zahl von bis zu 25 Millionen in allen 18 afrikanischen Staaten, in denen sie siedeln, in der Minderheit. Allerdings sind sie besonders in Nigeria durchaus nicht ohne politische und ökonomische Macht. Unter anderem entstammen der amtierende Präsident Muhammadu Buhari und die vormaligen Staatsoberhäupter Shehu Shagari und Umaru Musa Yar'Adua der Fulbe-Aristokratie.

In nigerianischen Medien wird auch deshalb manchmal der Vorwurf laut, dass gegen die Fulbe-Banden nicht entschieden genug vorgegangen wird. Vor allem Amnestien, die im letzten Jahr in größerer Zahl ausgesprochen wurden, stießen ebenso wenig auf ungeteilte Zustimmung wie die Ruga-Siedlungen, mit denen die Regierung Streitigkeiten um Land entschärfen wollte. Ruga steht kurz für "Rural Grazing Area", ist aber auch das Hausa-Wort für die Fulbe-Viehzüchter, für die man diese Siedlungen einrichtet.

Der seit der Bibel bekannte Streit zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern gilt nämlich als eine wichtige Ursache für Konflikte und Massaker, die Fulbe in letzter Zeit nicht mehr nur an christlichen Volksgruppen wie den Berom (vgl. Fulbe verübten Genozid an Berom), sondern auch an moslemischen wie den Hausa verübten (vgl. Nigeria: Fulbe töten mindestens 69 Hausa).

Fulbe-Dschihad

Der ethnische und ökonomische Konflikt hat aber auch eine religiöse Komponente: Die nahezu ausschließlich moslemischen Fulbe-Viehzüchter breiteten sich in den Ländern der Sahel-Zone im 18. und 19. Jahrhundert nämlich vor allem im Zuge des sogenannten Fulbe-Dschihads aus, in dessen Rahmen sie mehrere Reiche gründeten - darunter das Sokoto-Kalifat in Nigeria, Massina, das sich vom heutigen Mali bis nach Burkina Faso erstreckte, Futa Dschalon in Guinea und Futa Toro im Senegal und in Mauretanien. Das Bewusstsein, einst die religiös legitimierten Herren in all diesen Gebieten gewesen zu sein, wirkt auch heute noch nach.

Nicht nur in Nigeria, sondern auch in Mali, wo hinzu kommt, dass es dort einen dschihadistischen Fulbe-Prediger namens Amadou Diallo alias "Amadou Koufa" gibt, der 2012 mit der (von Arabern und Tuareg dominierten) Terrorgruppe Ansar Dine den Norden des Landes eroberte. Als der dort errichtete salafistische Gottesstaat nach dem Einmarsch der ehemaligen französischen Kolonialmacht 2013 wieder verschwand, wandte sich Koufa wieder zunehmend der eigenen Volksgruppe zu, unter der er zahlreiche neue Anhänger fand (vgl. Wenn der Staatsfunk die Völker verwechselt). Inzwischen massakrieren Fulbe-Dschihadisten dort auch Imghad-Tuareg, denen sie Kollaboration mit den Franzosen vorwerfen.

Etwas besser läuft es mit den Fulbe im Senegal und in Mauretanien. Beobachter bringen das mit Maßnahmen wie einer Registrierungspflicht für Viehherden in Verbindung, für die nicht die Hirten, sondern die Behörden neue Weidegebiete auswählen, wenn alte abgegrast sind. So soll vermieden werden, dass die Fulbe den Weg ihrer Vorväter gehen und sich einfach das Land von Ackerbauern nehmen.

Trotz der Offenheit vieler Fulbe für islamistische Ideologien ist aber auch ihr Verhältnis zu den nigerianischen Boko Haram nicht spannungsfrei. Im letzten Winter richtete die Terrorgruppe im das Dorf Fuhe an der Grenze zu Kamerun sogar ein Blutbad an der Volksgruppe an (vgl. Nigeria: Jetzt massakriert Boko Haram auch Fulbe). Die Dschihadistenmiliz hat in Nigeria zwar deutlich an Bedeutung verloren, ist aber noch nicht besiegt: Mitte Mai tötete sie in Gajiganna im Bundesstaats Borno 20 Dörfler. Anders als früher wurde dieses Massaker aber nicht mehr mit Erschießungen, Brandstiftungen und Enthauptungen vor Ort, sondern aus der Ferne mit Raketen verübt.

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