Polizeigewalt: Französischer Innenminister verbietet "Würgegriff"

CRS-Einsatzkräfte. Archiv-Foto (vom 05.02.2019): Patrice Calatayu/CC BY-SA 2.0

Haarsträubende Ähnlichkeiten zum Fall George Floyd. Die französische Regierung windet sich unter Vorwürfen gegen brutale und tödliche Polizeieinsätze. Rassismus ist nicht der einzige Anklagepunkt

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Wenn es um Polizeigewalt und Rassismus geht, hat Frankreich auch einige Leichen im Keller. Sie werden jetzt neu ans Licht getragen. Kein Wunder, dass sich der französische Innenminister Castaner bemüht, die Bewegung in ihrer öffentlichen Wirkung einzugrenzen. Framing nennt man das: "Frankreich, das ist nicht die USA" ("la France, ce n’est pas les États-Unis").

Aber haarsträubende Ähnlichkeiten gibt es schon. Zu den Leichen im Keller gehören zwei Fälle von tödlicher Polizeigewalt, die ähnlich wie George Floyd durch Ersticken im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen sind: Adama Traoré und Cédric Chouviat.

Beider Tod ist bei den kürzlichen Demonstrationen in Frankreich, die sich der Massenbewegung in den USA zum gewaltsam herbeigeführten Tod von George Floyd anschlossen, neu in die öffentliche Debatte gekommen.

"Sozialer Cocktail mit hochgradig explosivem Potential"

Die öffentliche Empörung über Polizeigewalt, die ja schon seit längerem schwärt und immer wieder auflebt, kann die Regierung nicht länger auf die leichte Schulter nehmen. Die Probleme, die der sich nun akut aufdrängenden Auseinandersetzung über Polizeigewalt und Rassismus in Frankreich zugrunde liegen, sind, wie es Le Monde beschreibt, ein "sozialer Cocktail mit einem hochgradig explosiven Potential".

Am Pfingstmontag versammelten sich 20.000 Menschen vor dem Justizpalast in Paris, gerufen wurde "Gerechtigkeit für Adama" - gemeint ist Adama Traoré. Am vergangenen Samstag waren - nach offiziellen, gewöhnlich deutlich untertriebenen Zahlen - 23.000 in ganz Frankreich gegen Rassismus und Polizeigewalt auf der Straße. Für heute und morgen sind weitere Demonstrationen angekündigt, politische Parteien, Gewerkschaften und zivile Vereinigungen haben ihre Beteiligung angekündigt.

Innenminister Castaner steht von vielen Seiten unter Druck, nicht zuletzt auch von Präsident Macron, dessen Signale, dass sich an der Berufsethik der Polizei (déontologie) etwas ändern müsse, sich in den letzten Wochen gehäuft hatten - und jetzt wurde es ganz dringend.

Der Würgegriff

Also musste Christophe Castaner gestern zur Pressekonferenz antreten. Er hatte sich bisher der Öffentlichkeit als von keinem Zweifel geplagter, unbedingter Verteidiger der Polizeieinsätze präsentiert, so war man gespannt. Es gab ein handfestes Ergebnis, immerhin: Künftig soll Polizisten der "Würgegriff" bei Festnahmen oder einer Polizeikontrolle verboten sein.

"Würgegriff" ist eine annähernde Übersetzung. Im Original heißt die "Technik", die in Medienberichten erwähnt wird: la clé d’étranglement. Die Übersetzungsmaschine Deep L spuckt dafür die Ergebnisse "Engpass" oder "Flaschenhals" aus. Ein Blog - vom Februar dieses Jahres - liefert dazu ein Foto, das auffällige Ähnlichkeit zur tödlichen "Knie auf dem Hals"-Technik des US-Polizisten hat, der damit George Floyd tötete.

Auf BMTV erklärt ein Anwalt, spezialisiert auf die Verteidigung von Ordnungskräften, die Technik so:

Der Polizist platziert sich hinter die stehende Person und umklammert seine Hals, damit er ihn zu Boden bringen kann.

Laurent-Franck Liénard

Es gibt mehrere Variationen der polizeilichen Würgetechnik, weswegen von Journalisten nachgefragt wurde, welche Techniken genau vom Verbot des Innenministers abgedeckt sind. Er sagte, dass der "Griff an den Hals", das étranglement, der "Würgegriff" verboten sei. Ob das auch auf Polizeitechniken zutreffe, die bei einer bereits am Boden liegenden Person angewendet wurden, wurde nachgefragt. Insbesondere, wenn die Person genötigt wird, auf dem Bauch zu liegen.

Eine Antwort des Innenministers darauf überliefert der BMTV-Bericht nicht. Das lässt Grauzonen erahnen.

Der Fall Cédric Chouviat

Als Beispiel für das tödliche Risiko der gewaltsam herbeigeführten Bauchlage (franz: plaquage ventral) wird der eingangs erwähnte Fall Cédric Chouviat erwähnt.

Ein Foto der Zeitung Libération macht sofort klar, warum: Der Mann, der Anfang dieses Jahres im Zuge einer Polizeikontrolle einen Kehlkopfbruch erlitt und erstickte, wurde von Polizisten gewaltsam in die Bauchlage gebracht, wie das Foto zeigt. Der Artikel berichtet, dass Frankreich schon 2007, vor dreizehn Jahren, wegen dieser Technik, die 1998 zum Tod von Mohamed Saud führte, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde.

Der Fall Adama Traoré

Dennoch wurde die Technik von Sicherheitskräften weiter angewendet. Zum Beispiel im Juli 2016 im eingangs erwähnten Fall Adama Traoré - so lautet der Vorwurf der Familie des damals 24-Jährigen, der eine Polizeiaktion zu seiner Festnahme nicht überlebte: Dabei soll die Methode auch angewendet worden sein. Allerdings ist der Fall nach offizieller Darstellung nicht eindeutig.

Seit vier Jahren tobt ein Expertenstreit um die Todesursache, so die Kurzzusammenfassung, allerdings:

Ein neues Gutachten im Auftrag der Familie belastet erneut die drei Polizisten, die Traoré bäuchlings am Boden fixierten, nachdem er vor einer Kontrolle geflohen war. Offizielle Gutachten führen den Tod dagegen auf Vorerkrankungen und Drogenkonsum zurück.

Salzburger Nachrichten

Dem Streit genauer nachzuspüren, ist einen eigenen Artikel wert. Aus dem Fall Traoré hat sich eine eigene zivile Bewegung namens comité La Vérité pour Adama entwickelt, initiiert von seiner Schwester Assa. Das comité Adama spielte bei den Gelbwesten-Protesten eine Rolle und ist nun bei den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus ein prominenter Akteur.

Wie schon die Polizeieinsätze bei den Gelbwestenproteste zeigten, hat das brutale Vorgehen der Polizei gegen Gruppen und Einzelne eine Dimension, die mit Rassismus allein nicht ausreichend erklärt ist - und ebenso wenig mit der Bedrohlichkeit der Opfer der Polizeieinsätze.

Der genannte Cédric Chouviat, der sein Leben bei einer Polizeikontrolle verlor, war weiß und kein Gewalttäter. Er widersetzte sich der Kontrolle, Privataufnahmen zufolge auch nicht in einer Art, die im Polizeiprotokoll als "äußerst aggressiv" eingestuft wird.

Auch unter denen, die durch sogenannte nicht-lethale Polizeiwaffen ihr Augenlicht oder eine Hand verloren, findet sich ein ganzes Spektrum an unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die großen Medien steuerten in den letzten Monaten Berichte bei, die wenig Zweifel an der Willkür von Polizisten ließen, unter der Unschuldige litten.