Streit in der Nato: Macron kritisiert aggressive Rolle der Türkei in Libyen

Ratlos? Nato-Generalsekretär Stoltenberg. Archivbild: Nato

Die EU will Nato-Unterstützung im Mittelmeer, um Waffenlieferungen nach Libyen besser zu überwachen. Die Türkei droht mit Verweigerung der Zustimmung zum Nato-Verteidigungsplan für Osteuropa

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In der Nato schürzt sich ein Konfliktknoten. Bislang war es so, dass die USA letztlich das Machtwort ausgaben, doch hält sich die Trump-Regierung im Hintergrund. Frankreich will in der Nato über die "zunehmend aggressive Rolle" der Türkei in Libyen sprechen. Die EU will Nato-Hilfe im Mittelmeer, dabei geht es ebenfalls um die Türkei und ihre Beziehungen zu Libyen. Eingebunden in den Knoten ist das Bekenntnis, dem nicht nur die deutsche Kanzlerin folgt: Dass die Türkei geopolitisch so wichtig ist, dass sie Nato-Mitglied bleiben muss.

Das Amt des französischen Präsidenten Macron, der nicht auf bestem Fuß mit Erdogan steht, kritisiert eine "zunehmend aggressive Rolle" der Türkei in Libyen. Das Außenministerium in Paris wirft der Türkei vor, dass sie gegen das UN-Waffenembargo, das Lieferungen gegen Libyen verhängt wurde, verstößt und damit einen Waffenstillstand vereitelt.

Ein Hintergrund dazu liegt völlig klar vor Augen. Seitdem die Türkei mit ihrem Militär, ihren Waffen, besonders die Drohnen, und mehreren Tausend Söldnern in das libysche Kriegsgeschehen eingegriffen hat, hat sich dieses gewendet. Der Gegner der Truppen von General Haftar, die Verbündeten der Einheitsregierung (GNA), konnten die Truppen Haftars von strategisch wichtigen Orten verdrängen. Haftars LNA begann einen Rückzug. Frankreich unterstützt zwar offiziell auch die GNA, es ist aber längst ein offenes Geheimnis, dass Paris die Seite, die von Haftar angeführt wird, stärker unterstützt.

Der andere Hintergrund liegt im Mittelmeer und ist etwas undurchsichtiger. Dort soll die EU-Operation Irini mit Schiffen und aus der Luft das Waffenembargo überwachen. Die Kernfrage lautete von Anfang an: Wie werden EU-Schiffe diesen Auftrag umsetzen, wenn sie es mit einem Schiff zu tun bekommen, das eine verdächtige Ladung hat, aber unter türkischer Protektion fährt?

Die erwartete Antwort darauf gab ein Zwischenfall am Mittwoch vergangener Woche. Eine türkische Militäreskorte verhinderte die Inspektion eines Frachters vor der libyschen Küste. Dass die EU über ihren Sprecher nun betont, das sei kein Grund dafür, dass man um eine Nato-Kooperation bittet, ist wohl nur Teil der Wahrheit. Zwar gab es diese Bitte schon zuvor, aber der "Bedarf" ist gewachsen. Die Nato hatte sich dazu entschlossen, die Mission Irini anders als die zuvor die Mission Sophia, nicht mehr mit Aufklärung und Logistik zu unterstützen.

Gut möglich ist andrerseits, dass die EU-Operation Irini, deren Möglichkeiten innerhalb der EU nicht sonderlich hoch eingeschätzt werden ("Sie ist ein Rohrkrepierer), durch ihre Aufklärung dann doch genügend Datenmaterial gesammelt hat, das erkennen lässt, wie viele Lieferungen aus der Türkei an die libysche Küste verschifft werden. Und dass dies den Ärger der französischen Regierung noch weiter befeuert.

Forderungen der Türkei

Sie will den Konflikt mit der Türkei innerhalb der Nato zum Thema machen: "Von der Türkei wird erwartet, dass sie ein Nato-Partner ist, das kann also so nicht weitergehen", wird ein Vertreter des französischen Präsidentenpalasts wiedergegeben. Wie sich nun herausstellt, hat die Türkei gute Karten, um dies abzublocken.

Nach Informationen der dpa knüpft Ankara seine - nach den Nato-Statuten notwendige - Zustimmung an der "Umsetzung von neuen Verteidigungsplanungen für Osteuropa" (die sogenannten Graduated response plans) an "die Zusicherung einer stärkere Unterstützung ihrer Interessen". Erwähnt wird die Einstufung der kurdischen PYD und YPG als Terrororganisationen, wogegen sich zum Beispiel Frankreich sträubt.

Wahrscheinlich ist, dass auch die Interessen der Türkei in Libyen mit zum Verhandlungspaket gehören. Aktuelle Berichte bestätigen, dass Ankara in Libyen zwei ständige Militärbasen aufbauen will . Das ist keine Nebensächlichkeit, eben so wenig wie Frankreichs Gegnerschaft dazu.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich Nato-Generalssekretär Stoltenberg zuletzt aufseiten der GNA in Libyen gestellt hat, also der Regierung von Sarradsch, die von der Türkei unterstützt wird. Der Konflikt zwischen Unterstützern von Serradsch und dem Lager, das von Haftar angeführt wird, bekommt noch eine zusätzliche Dimension durch den Streit über Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer.

Erdogans Regierung untermauerte ihre Ansprüche darauf durch ein Abkommen mit der GNA-Regierung und stellte sich damit gegen die Interessen von Griechenland, Zypern, der EU und Israel. Dass Israel, wie es regierungsnahe türkische Publikationen unterstellen, im Hintergrund die Vereinigten Arabischen Staaten unterstützen, zeigt, wie kompliziert es um die Verbindungen in Libyen steht. Die VAE sind der stärkste Waffenlieferant für das Lager Haftars. Über die Emirate sind laut Berichten auch russische Waffen an Haftars LNA gelangt.

Diplomatie, die Spaltungen nutzt

Welche Rolle der Nato sich aus diesen verwickelten Zusammenhängen ergeben wird, ist undeutlich. Macron beklagt das Schweigen der Nato zu den aggressiven Akten der Türkei gegenüber den Kurden in Syrien und er beklagt, dass die Türkei die Nato instrumentalisiere. Der Ton habe sich seit vergangenem Sonntag verschärft, berichtet die französisch-sprachige Publikation L'Orient du Jour.

Wie geschickt die türkische Regierung Spaltungen auszunutzen versteht, zeigt sich auch bei den jüngsten Luftangriffen auf Ziele im Nordirak. Die Einschüchterungsattacken der Operation Adlerklaue gegen Jesiden und Flüchtlinge sowie die Angriffe auf "PKK-Nester" machte sich die Spaltung der unterschiedlichen Kurdengruppierungen zunutze, mit der Führung im nordirakischen Erbil steht die türkische Führung auf gutem Fuß. Ohne deren Unterstützung könnte die Türkei nicht derart operieren wie zuletzt, so der französische Nahost-Experte Georges Malbrunot.

Zum Spiel über die Bande, das er in der türkischen Diplomatie, die meist militärisch untermauert wird, ausmacht, gehört auch, dass sich der iranische Außenminister Zarif nach Istanbul begeben hat, während zuvor noch ein russisch-türkisches Treffen verschoben wurde. Es heißt, dass dieses abgesagt wurde, da man sich über strittige Fragen zu Syrien und Libyen nicht einigen konnte.

Dagegen soll das Gespräch des türkischen und iranischen Außenministers neue Brücken gebaut haben. In Syrien stehen die beiden Länder auf unterschiedlichen Seiten. Die Lager-Orthodoxie hat aber nur begrenzt Gültigkeit, man denkt pragmatisch, auf gemeinsame Interessen ausgerichtet. Zum Beispiel, wenn es gegen Kurden geht, die zu viel Eigenständigkeit und Demokratie fordern.