Rechte Freiwilligenbataillone, westliche Sicherheitsfirmen und Geheimdienste in der Ukraine

Aufmarsch der rechtsnationalistischen Asow-Bürgerwehr in Kiew.

Privatarmeen in der Ukraine - Teil 2

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Im ersten Teil des Artikels über Privatarmeen in der Ukraine ging es um die von Präsident Wolodimir Selenski am 5. Juni 2020 vorgetragene Absicht, noch vor den Parlamentsferien ein Gesetz in der Werchowna Rada zu verabschieden, das ukrainische Privatarmeen legalisiert. Seit 2014 wurden von ukrainischen Oligarchen Privatarmeen, rechte Freiwilligenbataillone, private Wachfirmen und Bürgerwehren gegründet (z.B.: "Nationale Kommandos"). Eine rechtliche Grundlage für diese, zum Teil bewaffneten Einheiten, gibt es nicht.

Präsident Selenski meint nun, man müsse die Gefahr, dass "jeder Geschäftsmann seine eigene Armee hat", ausschließen. Dazu brauche es ein "ausgewogenes Gesetz". Was "ausgewogen" genau bedeutet, sagte der Präsident nicht. Selenski äußerte sich auch nicht zu den schlimmen Erfahrungen, welche die Ukraine in den letzten sechs Jahren mit den Privatarmeen und rechten Freiwilligen-Bataillonen machen musste (Militante rechtsextreme Gruppen können in der Ukraine ungestraft Gewalt anwenden). Um diese Erfahrungen, aber auch um die Rolle westlicher Sicherheitsfirmen und Geheimdienste sowie die Militärhilfe aus den USA, geht es im zweiten Teil des Artikels.

Die "besonderen Kenntnisse" der ukrainischen Freiwilligenbataillone

Als unberechenbar und besonders gefährlich gelten in der Ukraine diejenigen Männer, die in nationalistischen und rechtsradikalen Freiwilligenbataillonen, wie Asow, Aidar, Rechter Sektor und Tornado, gekämpft haben. Diese Freiwilligenbataillone wurden von Kiew im Krieg gegen die Aufständischen in Lugansk und Donezk als Stoßtruppen eingesetzt. Sie machten die Drecksarbeit an der Front, verhafteten Verdächtige, folterten und beschossen - oft auf eigene Faust - Wohngebiete in den Volksrepubliken.

In den von Kiew kontrollierten Gebieten entlang der Trennlinie zu den Volksrepubliken führten sich die Freiwilligen-Bataillone wie neue Herren auf. Sie plünderten und schafften ganze Lastwagen-Ladungen (Video aus der Stadt Awdejewka, 2015) mit Teppichen, Fernsehern und anderen Gebrauchsgegenständen zu sich nach Hause in die Zentral- und Westukraine.

Schutzgeld-Erpressung, Foltern und Morden unter staatlichem Deckmantel

Die Freiwilligenbataillone sind für ihren Sadismus und ihre rechtsradikale Gesinnung berüchtigt. Sie sind gefürchtet, weil sie immer wieder Gesetze überschreiten. Doch für diese Gesetzesüberschreitungen und Mordaktionen gegen Zivilisten werden sie fast nie zur Verantwortung gezogen. Warum?

Es ist ein offenes Geheimnuss, dass die Aktionen dieser Bataillone von dem ukrainischen Geheimdienst und Innenminister Arsen Awakow gedeckt werden. Nur in Einzelfällen kam es zu Strafverfahren, wie bei der Polizei-Kompanie "Tornado", die als offizielle Einheit des ukrainischen Innenministeriums schlimmste Menschenrechtsverletzungen beging, Schutzgelderpressungen, Entführungen, Morde, Folterungen, Vergewaltigung von Gefangenen unterschiedlichen Alters und Geschlechts mit Handy-Aufnahmen (Video: Opfer berichten am Tatort, im Keller einer Schule).

Als es im Juni 2015 zu strafrechtlichen Untersuchungen gegen die Kompanie "Tornado" kam, verbarrikadierte sich die Mitglieder der Einheit auf ihrem Stützpunkt mit Granatwerfen und weigerten sich, die Waffen abzugeben. Nach Angaben des damaligen ukrainischen Militär-Staatsanwaltes Anatoli Martios waren von 170 Mitgliedern der Kompanie "Tornado" 43 vorbestraft. Die Vorbestraften trugen trotzdem Waffen.

Am 7. April 2017 verhängte das Obolon-Bezirksgericht in Kiew Urteile gegen zwölf Tornado-Polizisten. Tornado-Kommandeur Ruslan Onischtschenko, der in einem Telefongespräch zu einem Untergebenen sagte: "Wenn du bereit bist Folter zu ertragen, hast du das Recht zu foltern", bekam elf Jahre Gefängnis, sein Stellvertreter neun Jahre. Weitere "Tornado"-Mitglieder erhielten Strafen von acht bis zehn Jahren Gefängnis. Militärstaatsanwalt Martios, der die Ermittlungen vorangetrieben hatte, wurde nach der Wahl von Präsident Selenski von seinem Amt abberufen.

Söldner anwerben, obwohl es verboten ist

Nach Meinung ukrainischer Experten haben heute alle ukrainischen Oligarchen Privatarmeen. Der Oligarch Igor Kolomoiski finanzierte die ersten Freiwilligenbataillone im Donbass, die gegen Aufständische im Südosten des Landes in den Kampf zogen. Nach unbestätigten Medienberichten finanzierte Kolomoiski auch den Angriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014.

Der Oligarch schickte sogar eine seiner Einheiten nach Kiew. Im März 2015 drangen 40 bewaffnete Männer der Kolomoiski-Privatarmee Dnjepr-1 in das Hauptgebäude der staatlichen Ölfirma UkrTransNafta ein. Die Bewaffneten sollten die Absetzung des Kolomoiski nahestehenden Unternehmens-Direktors Oleksander Lazarko rückgängig machen (Oligarch Kolomoiski lässt Pipeline-Unternehmen stürmen).

Damit hatte der Oligarch eine rote Linie überschritten. Der damalige Präsident Petro Poroschenko erklärte: "Es wird keinen Gouverneur mit einer Privatarmee geben." Ende März 2015 setzte Poroschenko Kolomoisko von seinem Posten als Gouverneur von Dnjepropetrowsk ab. Die von ihm kontrollierte Privatbank wurde im November 2016 wegen Überschuldung nationalisiert. 2017 emigrierte Kolomoiski nach Israel, von wo er im Mai 2019 - also nach der Wahl von Selenski zum Präsidenten - in die Ukraine zurückkehrte.

Die "deutschen Helden" von Slawjansk

Am 14. April 2014 hatte der damalige ukrainische Übergangspräsident Oleksandr Turtschinow den Befehl gegeben, mit einer "Antiterroristischen Aktion" die Kontrolle über die abtrünnigen Gebiete um Lugansk und Donezk wiederzugewinnen.

Kurze Zeit später machten sich Militärbeobachter des der Öffentlichkeit bis dahin nicht bekannten "Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr" unter Leitung von Bundeswehr-Oberst Axel Schneider auf den Weg, um sich im Krisengebiet Ost-Ukraine ein authentisches Bild der Lage zu verschaffen (Das ist ein Verstoß gegen alle Standards). Am 25. April 2014 wurden drei Bundeswehroffiziere - darunter Axel Schneider - sowie Soldaten von vier anderen Nato-Staaten von Aufständischen im Raum Slawjansk gefangengenommen, später aber wieder freigelassen.

Für die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die Bild-Zeitung war es Anlass, die Nation um die tapferen deutschen Offiziere in Slawjansk zu scharen. Bundeswehr-Oberst Axel Schneider und seine Leute wurden nach ihrer Freilassung als deutsche Helden auf dem Berliner Flughafen von Ursula von Leyen empfangen. Bild titelte "Deutsche Geiseln sind frei!", "8 Tage Geisel-Hölle für OSZE-Gefangene", "Das Protokoll der Befreiung", dabei war es einfach nur eine Freilassung. Es hatte ein paar Telefongespräche zwischen Berlin und Kiew gegeben. Spezialeinheiten kamen nicht zum Einsatz.

Die OSZE widersprach öffentlich der Behauptung, die deutschen Offiziere seien Gesandte der OSZE. Doch das wurde in den großen deutschen Medien überhört.

Academi/Blackwater

Auch eine bekannte amerikanische Sicherheitsfirma war 2014/15 in der Ost-Ukraine aktiv. Im Mai 2014 meldeten Bild am Sonntag und Spiegel Online, 400 Mitarbeiter der US-Sicherheitsfirma Academi (bis 2009 Blackwater) seien im Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine im Raum Slawjansk im Einsatz. Ein Sprecher des Weißen Hauses in Washington dementierte den Einsatz in der Ukraine.

Im April 2015 erklärte der Sprecher des Verteidigungsministeriums der Volksrepublik Donezk, Eduard Basurin, 70 Mitarbeiter von Acadami seien nicht weit von der Trennlinie zu den Volksrepubliken bei dem Ort Wolnowacha im Einsatz.

Polnische Sicherheitsfirma bildete auch ukrainische Nazis aus

Eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung ukrainischer Spezialeinheiten nach dem Staatsstreich in Kiew 2014 spielt die European Security Academie (ESA). Sie wurde 1992 von dem Polen Andrzej Bryl gegründet und verfügt bei der polnischen Stadt Poznań, über eines der größten Trainingszentren für Sicherheitsfirmen weltweit.

Wie das Internetportal Baltnews berichtet, wurden bereits 2015 und 2016 Mitglieder der ukrainischen Nationalgarde, ukrainische Polizei- und Spezialeinheiten sowie Mitglieder der vierten Asow-Kompanie von der ESA ausgebildet.

Bellingcat hat 2018 eine Dokumentation veröffentlicht, in der nachgewiesen wird, dass unter den Absolventen der ESA-Ausbildungsmaßnahmen auch zahlreiche Neonazis aus der Ukraine und Veteranen des rechtsradikalen Asow-Freiwilligen-Bataillons waren.

Der Kommandeur der vierten Kompanie des Asow-Bataillons, mit dem Kampfnamen Gatti, berichtete im Februar 2016 begeistert von der Ausbildung seiner Einheit durch ESA-Mitarbeiter, die extra auf einen ukrainischen Truppenübungsplatz angereist waren. Nach einem 35 Kilometer langen Marsch durch sandiges Gelände habe man verschiedene Schutz- und Kampftaktiken geübt. Die Kämpfer von Asow hätten nicht mehr als vier Stunden Schlaf gehabt. Nach einer Woche Ausbildung hätten die Asow-Kämpfer "sehr müde und kraftlos, aber erstaunlich glücklich" ausgesehen, berichtet Kommandeur Gatti.

Manöver mit Nato-Einheiten, Javelin-Raketen aus den USA

Für westliche Militärs und Sicherheitsdienste sind die Erfahrungen der ukrainischen Soldaten und Freiwilligen von großem Interesse, weil diese gegen Aufständische kämpfen, die von Freiwilligen aus Russland unterstützt werden. Wie Russen heute kämpfen, interessiert die westlichen Militärs, welche Russland als einen der Haupt-Feinde und als aktuelle Bedrohung für Europa sehen.

Zum Abschöpfen der Front-Erfahrungen ukrainischer Soldaten und Freiwilligen sind gemeinsame Manöver mit Soldaten aus Nato-Staaten hilfreich. Solche Manöver finden seit 2015 regelmäßig auf dem in der Westukraine gelegenen Truppenübungsplatz Jaworowski statt.

An Militärhilfe aus den USA mangelt es in der Ukraine nicht. Eine im Juli 2019 auf Anweisung von Donald Trump zurückgehaltene Zahlung von Militärhilfe in Höhe von 400 Millionen Dollar, wurde im September 2019 doch noch gezahlt.

Seit 2014 haben die USA die Ukraine mit 1,5 Milliarden Dollar Militärhilfe unterstützt. 2018 lieferten die USA an die Ukraine 210 Javelin-Panzerabwehrraketen (Waffen für die Ukraine). Im Oktober 2019 gaben die USA bekannt, dass man weitere 150 Javelin-Raketen an die Ukraine liefern werde.

Wie die Botschaft der USA in Kiew am Mittwoch mitteilte, traf am Dienstag die zweite Ladung von Javelin-Panzer-Abwehrraketen in Kiew ein. Insgesamt traf am Dienstag militärische Ausrüstung aus den USA mit einem Gesamtwert von 60 Millionen Dollar in Kiew ein. Zu der Lieferung gehörten auch "Funkgeräte und Munition". In der Mitteilung der US-Botschaft heißt es, "die Sicherheitsunterstützung“ gehe "auch während COVID19 weiter". Die USA stehe "fest an der Seite der Ukraine zur Unterstützung der Souveränität und territorialen Integrität angesichts der russischen Aggression".

Schlussbemerkung

Was über die Gräuel rechtsradikaler Bataillone in der Ukraine bisher bekannt wurde, führt nicht zu dem Urteil, die Bevölkerung in der Ukraine sei "faschistisch". Der Terror rechter Gruppen und Bataillone gegen Andersdenkende in der Ukraine ist dafür verantwortlich, dass die Masse der Bevölkerung Angst hat, seine Meinung sagen.

Der Sprecher der Volkspolizei Lugansk, Jakow Osadschi, erklärte am Sonnabend, dass Mitarbeiter der britischen Sicherheitsfirma Erinys am 10. Juni zu Ausbildungszwecken im Frontgebiet zur Volksrepublik Lugansk eingetroffen seien. Bei den Mitarbeitern von Erinys handelt es sich um ehemalige britische Soldaten. Die eingetroffenen Ausbilder seien spezialisiert auf Objektschutz, die Liquidierung von Protestaktivitäten und die Evakuierung von Personen aus umkämpften Gebieten. Osadschi teilte mit, dass die Mitarbeiter von Erinys derartige Aufgaben im Irak, Afghanistan, Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo ausgeführt haben.